21. Dezember 2024

2024: Trump vs. Andreanum

2024 ist aus Sicht eines konservativen, republikanischen Beobachters das Jahr zweier Extreme: der Wahl Donald Trumps in den USA und 800 Jahre Andreanum in Siebenbürgen. Doch der Reihe nach.
Eine Tafel der Wanderausstellung Andreanum. 800 ...
Eine Tafel der Wanderausstellung Andreanum. 800 Jahre Recht und Verfassung der Siebenbürger Sachsen (Ausschnitt) © Deutsches Kulturforum östliches Europa
Die Wahl Trumps ist der bisherige Gipfel eines seit 50 Jahren währenden Angriffs eines Teils des US-Geldadels auf die Institutionen der ältesten Republik der Welt. Die Kampagne ist eine offene, Interessen-geleitete Bewegung und keine Verschwörung. Trump hielt nicht hinter dem Berg: „Ich will Leute, die ein Vermögen gemacht haben.“ Oder, in Worten des Milliardärs Warren Buffet (kein Erbe): „Es gibt einen Klassenkampf, ja, aber es ist meine Klasse, die reiche Klasse, die den Krieg führt, und wir gewinnen.“ Buffet traf diese Aussage schon 2006.

Die Meilensteine sind bekannt: Den Start setzte das Powell Memorandum (1971). Die Buckley- (1976) und Belotti-Urteile (1977) erlaubten die private Wahlfinanzierung. 1981 zog Reagan ins Weiße Haus. Er legte die Grundlagen für die Exzesse der FIRE-Wirtschaft (Finance, Insurance, Real Estate), die von Clinton (NAFTA 1994, Glass-Steagall 1999) befeuert wurden. 2007-8 führten diese zur Finanzkrise. Wegen verbreiteter Unzufriedenheit gewann Obama 2008 die Präsidentschaft („ich-bringe-Euch-die-Änderung“). Die Entzauberung folgte sofort. 2009 holte er diejenigen ins Weiße Haus, die die Krise des Vorjahres verursacht hatten. Ein einziger Banker musste ins Gefängnis – unter Reagan wegen S&L waren es 5000. 2010 fielen alle Schranken der Wahlfinanzierung. 2016 wurde Trump Präsident. 13% seiner Stimmen waren enttäuschte Obama-Wähler. Er versprach, für den „kleinen Mann“ da zu sein. Im August 2019 waren 20 seiner 23 Kabinettmitglieder Multi-Millionäre und Milliardäre, wie Trump meist Erben.

Diese Entwicklung widerspricht den Absichten, dem Geist und dem Buchstaben der US-Verfassung bei jedem Schritt. Das Aufkommen einer Aristokratie wurde bei Gründung der USA explizit als tödliche Gefahr für die amerikanische Republik betrachtet. Sie fand juristischen Ausdruck im Verbot „aristokratischer Titel“ der Konföderationsartikeln (1781-1789), den Verfassungen von mindestens 5 der 13 Gründungsstaaten sowie der US-Verfassung.

Das Verbot war eine Selbstverständlichkeit, so der Kapitalwirtschaft-orientierte Alexander Hamilton 1788: „Es bedarf keiner weiteren Worte, um die Bedeutung des Verbots von Adelstiteln zu verdeutlichen. Dieses kann wahrhaftig als der Eckstein der republikanischen Regierung bezeichnet werden; denn solange sie ausgeschlossen sind, kann niemals die ernsthafte Gefahr bestehen, dass die Regierung eine andere als die des Volkes sein wird.“ Die Ablehnung einer Aristokratie bzw. Oligarchie ist bis heute Teil der US-Kultur auf beiden Seiten des politischen Spektrums. Kurz: Eine Republik mit Aristokraten ist keine.

2024 ist aber auch das 800. Jubiläum des „Andreanums“ der Siebenbürger Sachsen. Der Kern der seit 1224 verbrieften Rechte der deutschen Siedler in Siebenbürgen ist das explizite Verbot einer feudalen Klasse, im mittelalterlichen Sinne des Lehnswesens: „Den Wald aber mit allem Dazugehörenden und die Nutzung der Gewässer mit ihren Flussläufen, die allein dem König zu vergeben vermag, überlassen Wir allen, den Armen wie den Reichen, zu freiem Gebrauch. Wir wollen auch und befehlen kraft königlicher Vollmacht, dass keiner von Unseren Großen ein Dorf oder ein Landgut von des Königs Majestät zu fordern wage. Wenn es aber jemand fordert, so sollen sie, nach dem ihnen von Uns gewährten Freitum, Einspruch erheben.“

Das Verbot einer Aristokratie war der Kern des Andreanums, der Kultur der Siebenbürger und ihrer Institutionen. Er wirkte im Alltag, der Kirche und den Schulen. Er drückte sich in der Architektur ihrer Orte aus, in deren Mitte kein Schloss stand, sondern eine Burg zum Schutz aller und der darin befindlichen Kirche. Er lebte weiter im Gemeingut, den Nachbarschaften und den Unternehmen, dem Rückgrat ihrer Gesellschaft. Das Andreanum verbat nicht soziale Klassen. Die Saxones waren keine Republik des Mittelalters. Aber der Freibrief enthielt das, was auch die US-Gründungsväter als die Voraussetzung jeder Republik betrachteten, jene Selbstverständlichkeit, über die man in Philadelphia nicht zu sprechen brauchte: Das Verbot der Aristokratie (Andreanum: „Unsere Großen“). Der Drang der Reichen und Vernetzten, den Staat einzunehmen, ist eine Konstante der Geschichte, dem ungarischen König 1224 wie den US-Gründungsvätern 1776 bekannt.

Siebenbürgen war 1224 kein Einzelfall. Während der Siedlungsbewegung der Deutschen nach Osteuropa wurden Rechte unterschiedlicher Prägung angeboten, um Siedler anzulocken. In den Republiken San Marino und Venedig existierten Strukturen die dem feudalen Muster nicht entsprachen. Auch belegen Venedig und Siebenbürgen, dass oligarchische Gesellschaften ein Desaster sind. Venedig wurde als Republik zur Großmacht. Ab 1286 griff der „kluge“ Geldadel nach dem Staat, und die Lagunenstadt wurde langsam zum Freilichtmuseum. In Siebenbürgen lebten neben den freien Deutschen des „Andreanums“ auch solche auf feudalem Boden in deutlich schlechteren Verhältnissen.

Die ohnehin dünnen demokratischen bundesdeutschen Überzeugungen werden durch die US-Wahl belastet. Werden sie halten? Wer weiß. Geschichte ist nur vorbestimmt, wenn man sich für das Nichtstun entscheidet. Die Entwicklung Venedigs nach 1286 und der Siebenbürger Sachsen nach 1224 hätte auch eine andere sein können. Wohin der Weg auch führen mag: Das Andreanum, dieses alte Dokument eines kleinen Völkchens, ist einer der vielen Lichtblicke den man als Republikaner zur Orientierung in dunklen Zeiten braucht.

Dr. Paul Milata

Schlagwörter: Geschichte, Andreanum, Trump

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