Sinn und Form aphoristischer Geistesblitze: Eine nachdrückliche Würdigung des Gedankenspielers Franz Hodjak durch Sprachforscher Wolfgang Mieder
Schon wieder ist ein halbes Jahr ins Land gegangen, seit der am 27. September 1944 im siebenbürgischen Hermannstadt geborene Romancier, Dichter, Aphoristiker, Übersetzer und ehemaliger Verleger in der hessischen Kleinstadt Usingen im Kreis seiner Familie und einiger Gäste seinen 80. Geburtstag gefeiert hat. Franz Hodjak, mehrfach geehrt mit Stipendien und literarischen Auszeichnungen, hat bereits ein umfassendes, auch mannigfaltiges literarisches Werk vorgelegt, das er allein im Jahr 2024 um weitere fünf Gedichtbände vergrößert hat.
2025 sind schon zwei Bände mit neuen Gedichten von ihm erschienen, und zwar „Ehrenplatz im Jenseits“ (Pop Verlag, Ludwigsburg) und „Ewig ist das Vorläufige“ (Verlag Könighausen & Neumann, Würzburg). Es zählt allerdings nicht die Breite eines Oeuvres, sondern der ästhetische Wert und die gesellschaftliche Bedeutung eines literarischen Werkes. Franz Hodjak gehört zur Spitze der deutschen Gegenwartsdichtung. Daher hätte man mit einer Flut von ehrenden Aufsätzen und Essays über den Autor in den Feuilletons deutscher Zeitungen und Zeitschriften rechnen können, doch die blieb befremdlicherweise aus, sogar die FAZ begnügte sich mit der Veröffentlichung eines zwar exzellenten, aber aufgewärmten Porträts, verfasst von Alexandru Bulucz, das bereits einmal erschienen war.
Über Gründe zu spekulieren, warum Bücher rumäniendeutscher Autoren – sieht man von der Ausnahme und Nobelpreisträgerin Herta Müller mal ab – inzwischen ganz selten bis nie in hiesigen Feuilletons berücksichtigt werden, wäre müßig, ist jedoch als zumindest bedenklich zu vermerken. Liegt es an einer zentralgermanischen Überheblichkeit gegenüber den aus der balkanischen Peripherie stammenden Schriftstellern, ist es perfider Chauvinismus, böswillige Ignoranz und gepflegte Blindheit für ästhetische Kriterien, vielleicht nur ausschließende Cliquen-Arroganz? Es ist jedenfalls ein Skandal, der mit der ausgebliebenen angemessenen Würdigung des Schriftstellers Franz Hodjak nicht beginnt und mit den nicht rezensierten Büchern Eginald Schlattners im Pop Verlag nicht aufhört, dem 1933 in Arad, am westlichen Rand Rumäniens, geborenen Schriftsteller, dessen Romane in viele Sprachen übersetzt sind und der immer noch schreibend in Siebenbürgen lebt, dem bis heute kein einziger deutscher Literaturpreis zugesprochen wurde.
Aphoristische Weltbetrachtung, Lichtenberg’sche Brillanz: Franz Hodjak bei einer Lesung 2013 in Dinkelsbühl. Foto: Konrad Klein
Trotz solch verdächtiger Ungereimtheiten gibt es sie dennoch punktuell, Publikationen literarischer Prägung, die sich den sogenannten „rumäniendeutschen Schriftstellern“ öffnen, anstatt sie auszuklammern. Ein solches Beispiel ist die renommierte, traditionsstarke literarisch glänzende Zeitschrift Sinn und Form, herausgegeben in Berlin von der Akademie der Künste. Darin finden wir im ersten Heft 2025, zwischen bekannten Namen, wie Siegmund Freud, Rainer Maria Rilke, Carl Zuckmayer, Durs Grünbein oder Tomasz Różycki auch den Dichter Franz Hodjak mit vier herrlichen Gedichten unter der eingängigen Überschrift „Der Februar ist eine Silbe zu kurz“. In dem Gedicht „Deutliche Anzeichen“ beginnt der meisterliche Schöpfer mit an Goethe anklingenden drei Zeilen und ufert sodann schöpferisch zu bildstarken, memorablen Versen aus, die er einfallsreich mit genialer Leichtigkeit und großzügig wie Perlen vor die Säue streut: „Wenn einem der Sinn danach steht,/ so vor sich hinzugehen und/ nichts zu suchen, findet man das meiste./ Ich habe nur eine Holzwanne geerbt/ und den Segen Gottes, dass er/ die Holzwanne mit genug Wasser füllt/ damit ich immer baden kann./ Träume und Wirklichkeit liegen eng/ nebeneinander wie in der/ Fußgängerzone Nobelboutiquen/ und Billigdiscounter…“
Die aus Sinn und Form zitierten Verse faszinieren nicht nur durch eine Art lyrische Gegenwelt, die sie aufbauen, sondern auch durch eine stilistische Eigenart des Dichters Hodjak, und zwar den für ihn bezeichnenden Zugriff auf aphoristische Weltbetrachtung und hintersinnige Wirklichkeitsdeutung. Hodjak, Autor mehrerer hin- und mitreißender Aphorismen-Bände, ist literaturkritisch dafür aber noch weit seltener gewürdigt als der sprachmächtige und brillante Dichter Hodjak. Doch es gibt auch hier eine unbedingt erwähnenswerte Ausnahme, bezeichnenderweise hat auch die nichts mit dem bundesdeutschen Literaturbetrieb zu tun, sondern der Essay über den Aphoristiker Hodjak erschien in der Fachzeitschrift Linguistische Treffen in Wrocław, Heft 26/2024 (II), in Polen und stammt aus der Feder des Sprachforschers Wolfgang Mieder von der University of Vermont, Burlington (USA). Er hat sich in dem Aufsatz über die Aphorismen Hodjaks gebeugt und sie in einem 21 Seiten umfänglichen Aufsatz analysiert, klassifiziert, bewertet und ihre feinen Hintergründe, spitzfindigen Ableitungen, sprachlichen Herkünfte sowie frappierenden Doppeldeutungen untersucht und aufgeschlüsselt, anlässlich eines linguistischen Treffens in Breslau (Wrocław) unter dem etwas sperrigen Titel „,Sprache macht den Freigang der Gedanken möglich‘. Zu den sprichwörtlichen Aphorismen von Franz Hodjak – Franz Hodjak zum achtzigsten Geburtstag“.
Mieders Aufsatz über Hodjak ist auch in seinem Buch „Sprichwörtliche Aphorismen“, ISBN 978-3-7069-1269-3, erschienen.
Wolfgang Mieder geht auf die treffsicheren Aussagen über gesellschaftliche und menschliche Zu- und Missstände ein, widmet sich der angerissenen Vielfalt an Themen „Wahrheit, Lüge, Liebe, Religion, Moral, Politik und vieles mehr“, lobt die geistige sowie sprachliche Brillanz, Gedankentiefe und die besondere Formulierungskunst des Autors, dessen „beeindruckende Ausdruckskraft“ den Sprachforscher erkennbar besticht, erstaunt darüber, was Hodjak auf aphoristischem Gelände aus der Sprache mit sprachspielerischen Mitteln, Wissen und Esprit alles an innovativen Tiefgründigkeiten freizulegen vermag. Hodjak verfüge „über ein reichhaltiges Sprichwortrepertoire“, das er kreativ für neue Einsichten zu nutzen wisse: „Guter Rat ist teuer. Schlechte Berater sind noch teurer.“, oder „Der Mensch ist die Krone der Schöpfung, nur sitzt sie ihm noch nicht auf dem rechten Schädel.“ Wirkungsvoll gelinge es Hodjak vorhandenes Material aus dem Arsenal der Sprache auszubauen, wobei er „Sprichwörter aus ihrer herkömmlichen Struktur befreit“ und sie in neue Denkfiguren fügt, wie zum Beispiel diese Aphorismen: „Der einzige Schein, der richtig trügt, ist, wenn man der ist, der man scheint.“, oder sie aus philosophischen Anklängen löst und sie realiter zu Gesellschaftskritik umformt. So entsteht aus „Kommt Zeit, kommt Rat!“ die Erkenntnis „Die Zeit haben wir gar nicht, bis Rat kommt.“ Und aus der Volksweisheit „Durch Schaden wird man klug“ destilliert er die Weiterung: „Viele werden aus Schaden nicht klug, sondern reich.“
Häufig beschäftigt sich Hodjak, wie Wolfgang Mieder nachweist, mit Gott und der Welt, greift auf biblische Zitate zurück, ohne sich daran zu vergreifen, da er durchaus auch „ohne Sarkasmus und Zynismus auskommt“. So löst er hurtig, mit nur einem einzigen Federstrich und vatikanischer Brisanz sogar existentialistisch grundierte Rätsel: „Päpstlicher Richtspruch: zuerst war Gott, dann die Henne, danach das Ei.“ Basta!
Die Bibelaussage „Der Glaube kann Berge versetzen.“ (1. Korinther 13.2, Matthäus 17,20) bringt ihn zu gesellschaftskritischen Erkenntnissen, von berauschender aktueller Gültigkeit: „Nachdem der Glaube Berge versetzt hat, folgt die Orientierungslosigkeit.“ Oder „Die Berge, die der Glaube versetzt hat, versperren uns den Weg.“
Das Vom-Baum-der-Erkenntnis-essen (Genesis 2,9) wird bei Hodjak in einem analytisch verkappten „Denk-Mal“ fruchtbar: „Die Dummheit ist eine Frucht, die vom Baum der Weisheit fiel, bevor sie reif wurde.“ In seiner Quellenforschung bescheinigt Wolfgang Mieder dem Sprachspieler Hodjak nicht nur eine einprägsame Bildung, die er sich nutzbar mache, um Motive aus der Antike aufzugreifen, sondern auch Märchen, folkloristisches Liedgut, Redensarten oder Sinnsprüche in Variationen aphoristisch durchzuspielen, wobei er auch öfters mal zwei, drei Redensarten kombiniert, um zu neuen Einsichten vorzustoßen, die zuweilen auch etwas lutherisch derber und aufrüttelnder ausfallen können: „Der Mensch erträgt es, in den Arsch getreten zu werden, weil er am Morgen, wenn er in den Spiegel blickt, keine blauen Flecken sieht.“ Kunstfertig nimmt Hodjak gleich auch noch doppeldeutig Beziehungskonflikte aufs Korn: „Immer wenn ein Mann den Kopf verliert, findet ihn eine Frau“, oder in der gereimten Version „Von der Hochzeit bis zur Bahre, hielt sie ihn an der Kandare.“ Auch die musische Spielart gelingt: „Sie bläst Trübsal, er begleitet sie am Akkordeon“, oder die ins Tragische, auch Mahnende mündende: „Er hob sie in den Himmel – und weg war sie.“
Hodjaks Erleuchtungen treffen nicht nur biedere Eheleute, sondern auch Mitläufer, Prinzipienreiter, Puristen, Populisten, Hasenfüße, Egoisten, Trojaner und solche „die mit sich im Reinen sind“, aber nur, weil sie, laut Hodjak, „mit allen Wassern gewaschen“ sind. „Doch bei aller paradoxen Akribie mit sprichwörtlichen Redensarten geht es Franz Hodjak irgendwie immer um Menschen schlechthin“, schreibt Wolfgang Mieder und preist „die Originalität des Gedankens“, bescheinigt Hodjak ein „mehrdeutiges Verständnis des menschlichen Daseins“.
Franz Hodjak ist aus meiner Sicht der Lichtenberg unserer Zeit. Auf scharfschnittige, inspirierte, polemische sowie amüsante, humorige, jedoch stets auch aufhellende Art erfährt der Aufmerksame durch Hodjaks Geistesblitze zudem, wie sich televisionäre Subjekte ohne Eigenschaften, etwa Opportunisten und Karrieristen präzise beschreiben lassen: „Als Trittbrettfahrer steigt er immer dort aus, wo gerade ein roter Teppich ausgerollt wird.“ Jeder kennt sie, die gemeinen Gemeinten, es wimmelt geradezu von ihnen, den ach so um unser aller Wohl bekümmerten und kleine Freiheiten besorgten Dränglern, Netzwerklern, Verdrehern und Schönfärbern, denn denkt man an Deutschland in der Nacht, wird man genau von solchen moralisch verbeulten Gestalten oder gar korrupten Typen ohne Scham und Rückgrat um den Schlaf gebracht. Genau in diesem Sinne packt Hodjak in meiner Lesart den Sinnspruch aus: „Das größte Übel ist, wenn es kein kleineres gibt, das man wählen kann.“
Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist
nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.