13. April 2025

Wenn Poesie auftaucht und Literatur sich (nicht) ereignet

Die Homepage der Schriftstellerin Iris Wolff listet knapp dreißig Auszeichnungen und Nominierungen für ihre Werke auf – unter ihnen ist auch der Chamisso-Preis. Dieser wurde 2017 in Dresden auf Initiative des Vereins Bildung und Gesellschaft e.V. neu gestiftet und 2023 mit der von der Sächsischen Akademie der Künste 2020 wieder aufgenommenen Dresdner Chamisso-Poetikdozentur zusammengeführt. Mit Chamisso-Preis und Poetikdozentur wurde die gebürtige Hermannstädterin Iris Wolff 2023 ausgezeichnet. Das im vergangenen Jahr erschienene Buch „Einladung ins Ungewisse“ enthält ihre Dankesrede zur Preisverleihung und die zugehörigen Vorlesungen.
Diese „Einladung“ ist nur insofern „ungewiss“, als Iris Wolff in Bezug auf ihre Arbeit bekennt, dass sie nicht im Vorfeld weiß, wohin ihre Kreativität sie führen wird: „Ich suche mir kein Thema, über das ich schreiben will, ich warte, bis sich Bilder einstellen“, und weiter: „Poesie taucht auf, sie wird nicht gemacht. Eine Lampe wird gemacht, ein Fernseher, aber Literatur ereignet sich. Ich darf dabei sein, wenn sie sich ereignet, ich muss es aushalten, wenn sie sich nicht ereignet, ich muss darum ringen, dass sie gelingt.“ Diese Zitate aus der ersten Vorlesung „Das Streichholz“ illustrieren sehr anschaulich Wolffs Schreibprozess und den Impetus, aus dem heraus bei ihr ein Werk entsteht, und obwohl ihre Texte von schwebender Leichtigkeit sind, ist der Weg dorthin nicht frei von Hindernissen. „Woran ich scheitere, mit jedem Text aufs Neue, ist die Erfahrung, dass ich mich zuallermeist in Wahrnehmungskonventionen bewege – ich erfahre die Welt nicht, wie sie ist, ich erfahre sie mit meinen vorgefertigten Meinungen, im Schlepptau meiner Biographie.“ Bedauernd stellt sie fest: „Ich werde niemals fähig sein, etwas anderes zu sehen als das, was ich gelernt habe, ich werde nie über dieses fortwährend gefilterte, eingefärbte Bild der Wirklichkeit hinauskommen, weil ich die Welt über meine Biographie und gesellschaftlichen Prägungen wahrnehme.“ Diese Prägungen sind ein weiteres Thema, das sie aufgreift. „Meine Kindheit im Banat und in Siebenbürgen ist getragen von einem Gefühl der unhinterfragbaren Zugehörigkeit, Verfügbarkeit, das ich so nie wieder gefunden habe, in keiner der zwölf Adressen, wo ich seither gewohnt habe. Alles war um meinetwillen da, und ich gehörte allem an. Diese Zugehörigkeit habe ich der Landschaft zu verdanken, der Dorfgemeinschaft und meinen Eltern.“ Das Gefühl, „in der Mitte der Welt“ gelebt zu haben, erlaubt ihr, verschiedene Perspektiven einzunehmen. „Weil ich die Mitte erfahren habe, kenne ich den Rand. Ich mag den Rand wie die Mitte, von beiden Orten aus kann man sehr gut sehen.“

Was Kunst vermag, behandelt Iris Wolff in der zweiten Vorlesung „Die Lichtung“. „Wer wünscht sich nicht bisweilen, einen Moment festhalten zu können? Die Kunst kann das, ihr ist es möglich, auf mehreren Zeitebenen unterwegs zu sein – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Schreiben ist eine Rebellion gegen die Zeit und ihre größte Zumutung, die Vergänglichkeit.“ Einschränkend bemerkt sie: „Widmet sich die Literatur allein dem Verfügbaren, Sichtbaren, dann bleibt sie im Augenblick verfangen, in der horizontalen Zeit. Erst wenn sie an das Unverfügbare rührt, in die vertikale Zeit geht, wird sie Poesie“. Dazu gehört weiter die „Erinnerung“, ohne die es „keine Literatur gäbe“, und die „Phantasie“, die „etwas Zusätzliches ins Spiel [bringt], etwas Verrücktes“. Von beidem hat sie reichlich – davon zeugen ihre Romane und die vielfältige Anerkennung, die sie für sie erfahren hat – und ist dankbar dafür. „Zwischen zwei Buchdeckeln liegt jedes Mal aufs Neue die Erfahrung, dass das, was ich habe oder mir wünsche, nicht selbstverständlich ist.“

Zum Leitgedanken ihrer Dankesrede zur Verleihung des Chamisso-Preises, die den Titel „Luftwurzeln und Einbäume“ trägt und als dritter Text im Buch abgedruckt ist, machte Iris Wolff die Herkunft. „Heimat ist eben nicht nur Herkunft, sondern auch Ankunft; ist der Weg auf sich selbst zu. (…) Orte prägen Menschen, formen sie, erfinden sie. Aber Herkunft ist auch Festschreibung, der es zu entkommen gilt.“ Warum dieses Thema sie so beschäftigt? „Ich schreibe über meine Herkunft, weil ich mir bewusst werden möchte, was mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich jetzt bin, und wer ich künftig sein will. Ich möchte wissen, was mich in die Literatur geführt hat, den familiären, gesellschaftlichen, kulturellen und geistigen Kosmos erfassen, die Koordinaten, wenn Sie so wollen, in die mein Leben gelegt wurde.“

Lässt man sich auf Iris Wolffs „Einladung ins Ungewisse“ ein, wird man manche Gewissheit erlangen, denn der schmale Band öffnet viele Zugänge zu Leben und Werk dieser Schriftstellerin, die eine außergewöhnliche Erzählerin ist.

Doris Roth

Iris Wolff: „Einladung ins Ungewisse“. THELEM Universitätsverlag, Dresden, 2024, 71 Seiten, 14,80 Euro, ISBN 978-3-95908-715-5.

Schlagwörter: Iris Wolff, Buch, Chamisso

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