27. April 2025

Wasserworte und andere Poesie: 35. Auflage der Deutschen Literaturtage in Reschitza

Vor 35 Jahren trafen sich die Mitglieder der ersten Auflage der Literaturtage in Reschitza und pflanzten einen literarischen symbolischen „Apfelbaum“. Am 9. Juni 1991 eröffnete der Initiator und Organisator der Deutschen Literaturtagen, Erwin Josef Ţigla, die ersten Reschitzaer Literaturtage mit dem Motto „Lasst uns doch heute ein Apfelbäumchen pflanzen, auch wenn das Deutschtum in Rumänien morgen untergeht“. Nach nunmehr 35 Jahren wurden wie all die Jahre davor die Früchte dieses literarischen Apfelbaums geerntet. Das Plakat der Literaturtage in Reschitza trug das Symbol des reifen Apfels.
Die Teilnehmer der Deutschen Literaturtage vor ...
Die Teilnehmer der Deutschen Literaturtage vor der Bibliothek in Reschitza. Fotos: K. Kilzer
Zahlreiche Autoren, Moderatoren und sonstige Teilnehmer sind in die Jahre gekommen und neue, junge Autoren kamen hinzu. Seit Jahren bereichert die Veranstaltung die Verleihung des Rolf-Bossert-Gedächtnispreises, der während der Literaturtage verliehen wird an den Gewinner des Wettbewerbs für Poeten, die jeweils sieben Gedichte einreichen können. Die Gewinnerin von 2025 ist Nicola Quaß aus Düsseldorf.

In der Alexander-Tietz-Bibliothek am Ufer der Bersau gelegen, lädt die Einrichtung mit ihrem Lese- und Konferenzraum zur viertägigen Veranstaltung ein. In diesem Jahr eröffnete Erwin Josef Tigla die vom 3. bis 6. April währende Veranstaltung mit der Präsentation des Buches über die deutschen Literaturtage von 2016-2020, das als 122. Buchausgabe im Rahmen der Deutschen Vortragsreihe Reschitza erschienen ist. Das diesjährige Programm zeigte erneut die vielfältigen, bunten, multikulturellen und interkulturellen Beiträge: Albert Bohn, Werner Kremm und Anton Sterbling stellten ihre Zeitzeugen-Sammlung „Flucht der Deutschen aus dem Banat im Herbst 1944: Erzählberichte“ vor, herausgegeben in der Reihe der Banater Bibliothek 2024. Es folgte ein Beitrag von Udo Peter Puschnig aus Klagenfurt mit einer Dokumentation aus Kärnten, die auch Beiträge aus Rumänien beinhaltet. Zum Thema Erinnerung und Zeitgeschichte las auch Barbara Zeizinger aus ihrem Roman „Leben in Etagen“, 2025 im Pop-Verlag erschienen. Die Lesung aus dem Gedichtband von Franz Hodjak „Ehrenplatz im Jenseits. Gedichte. Mit elf Illustrationen von Astrid Hodjak“ (Pop-Verlag, Ludwigsburg 2025) von Horst Samson, brachte eine nachträgliche Hommage an Hodjak zu dessen 80. Geburtstag. Edith Ottschofski las einige ihrer unveröffentlichten Gedichte aus „wasserworte“.

Zu den interkulturellen Beiträgen gehörte unter anderem die Ausstellungseröffnung im Universitätszentrum Reschitza zum Thema „Schreiben gegen den Krieg – Ingeborg Bachmann 1926-1973“ und „Paul Celan – unter den Wörtern“, organisiert vom Österreichischen Kulturforum Bukarest. Österreich war auch durch die renommierte Suhrkamp-Autorin Valerie Fritsch aus Graz vertreten, die am Samstagabend aus ihrem Roman „Zitronen“ vorlas. Weitere österreichische Teilnehmer waren der siebenbürgische Arzt und Autor Kurt Thomas Ziegler, der seinen Erinnerungsband vorstellte, sowie Christian T. Klein, Preisträger des Rolf-Bossert-Gedächtnispreises 2023, mit neuen Gedichten zum Thema „Aus der Ferne gefallen“. Auch Ungarn trug mit bemerkenswerten Beiträgen aus Kunst, Kultur und Musik zur Veranstaltung bei. Christina Arnold aus Nadasch, die Leiterin der deutschen Radio-Redaktion in Fünfkirchen, moderierte und präsentierte eigene Gedichte und Kinderreime auf Deutsch. Gábor Ruda, Vorsitzender des Kulturvereins in Werischwar, organisierte die Fotoausstellung „Schein und Wirklichkeit“. Weitere ungarndeutsche Vertreter wie der Autor Josef Michaelis aus Schomberg präsentierten ihre Werke, darunter die Anthologie „Mehrstimmig“. Die Stimmen der Deutschen aus Slowenien wurden durch Veronika Haring aus Maribor vertreten, die die Anthologie des Kulturvereins deutschsprachiger Frauen vorstellte und auf die Herausforderungen der deutschsprachigen Minderheit in Slowenien hinwies. Mit der Foto-Präsentation „Auf den Spuren der Inka“ führte Éva Seiler-Iszlai die Teilnehmer in die Welt der Inkas ein. Die Aufnahmen hatte die Künstlerin letztes Jahr auf ihrer Reise in Peru gemacht.

E. J. Țigla und Nicola Quaß bei der Rolf ...
E. J. Țigla und Nicola Quaß bei der Rolf-Bossert-Gedächtnispreis-Verleihung 2025
Dr. András F. Balogh (Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg) stellte die dreibändige Ausgabe „Deutsche Sprache und Kultur in Rumänien, 1918 - 1933“ vor. Nina May, Chefredakteurin der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien, debütierte mit dem Buch „Das gibt’s doch gar nicht: Die Walachei ist nicht im Nirgendwo, sondern mitten unter uns“ (Pop-Verlag, Ludwigsburg) und wurde dafür mit dem Debüt-Preis ausgezeichnet. Beatrice Ungar, Journalistin der Hermannstädter Zeitung, und Mariana Gorczyca präsentierten das ins Deutsche übertragene Buch „Rubla, Ort ohne Schatten“. Weitere bekannte Autoren wie Heinrich Hoechsmann, Dagmar Dusil und Hellmut Seiler bereicherten die Veranstaltung mit Lesungen aus ihren neuesten Werken.

Horst Samson moderierte die Präsentation des Buches von Yiani Mantsu über die Minderheit der Aromunen, „Von den Aromunen, Vlachen, Makedo-Romanen“ (Timme-Verlag, Berlin 2024), das die Geschichte und Ethnogenese dieses Völkchens beleuchtet. Bastian Kienitz aus Wittenberg und Britta Lübbers aus Oldenburg präsentierten ebenfalls ihre bildreiche Poesie. Sprachpoesie feinster Art konnte man auch bei dem bekannten Horst Samson genießen aus seinem neuen Gedichtband „Vom Auftauchen und Verschwinden der Landschaft“ (Pop-Verlag 2025) sowie sein Essay „Ein Molekül springt aus der Bahn - Vom Schreiben und Reiben an der Sprache und der Welt”. Sein Kollege Anton Sterbling las aus seinem Band „Ungewissheiten heimwärts fliehender Krähen. Neuere Gedichte, Kurzprosa und Erzählungen“ (Pop-Verlag) sowie unveröffentlichte Gedichte. Die Preisträgerin von 2021 Britta Lübbers aus Oldenburg erfreute wieder mit ihrer bilderreichen Poesie zum Thema „Osten”. Auch der neuauferlegte Gedichtband „Geschlossene Kirchen“ (Pop-Verlag 2025) von Ana Blandiana war Thema einer Lesung mit Katharina Kilzer, Horst Samson und Hellmut Seiler. Auch Gedenkmomente an Helmut Frauendorfer und den Künstler und Dichter PAPI fanden während der Lesung statt.

Ein Höhepunkt war der Besuch im „Diaconovici-Tietz“-Nationalkolleg, Reschitza, wo der Rolf-Bossert-Gedächtnispreis 2025 an die Dichterin Nicola Quaß verliehen wurde. Sie sprach in ihrer Dankesrede über die Einflüsse in ihrer Familie von Ost und West und las aus ihrem letzten Band „Moorland“. Zum Abschluss der Literaturtage präsentierten die Mitglieder des „Stafette“ (Arnold Schlachter, Benjamin Burghardt, Arthur Funk und Henrike & Lorette Brădiceanu-Persem) aus Temeswar neue und alte Gedichte aus ihrem neu erschienenen Poesieband.

Katharina Kilzer

Nicola Quaß

Grüne Blitze

Am Abend dreht der Wind, und es kehrt
die Stille zurück. In den Bäumen brennt November;
auf den Straßen tanzt Laub.
Ich schaue auf den sonnenbeschienenen Hof.
Zu beiden Seiten: Herrenhäuser, unterbrochen
von Landschaftsrissen. Vereinzelt Krähen im Geäst.
Von meiner Mansarde aus betrachte ich die Dächer der Stadt.
Fensterhimmel, gefächertes Licht. Eine Papageienkolonie umrundet das Viertel. Zwitschernd schwingen sich die Vögel durch die Luft.
Ich stelle mir vor, wie sie einst aus dem Fenster entkamen,
sich in die Freiheit wagten. Jetzt drehen sie ihre Runden,
als blickten sie noch einmal in ihr früheres Leben.
An manchen Tagen betritt mein Nachbar den Balkon.
Den Blick gen Himmel gehoben, in Erwartung
der schwarzen Nacht. Heute ist Freitag.
Ein Virus geht um. Auf den Straßen: Menschenleere.
Gespräche hinter verschleiertem Mund. Seit Tagen finden
keine Geräusche mehr statt. Jeder bleibt bei sich zu Haus.
Nur mein Nachbar betrachtet die Leere
der Straßen. Dann, für einen kurzen Moment,
kreuzen sich unsere Blicke, während die Papageien
an uns vorbeiflitzen wie grüne Blitze.
Im Augenblick ihres Schattens beugt er sich
über die Brüstung, schlägt mit den Fäusten
durch die Luft. Mein Blick folgt den Wolken darüber,
als letzter Versuch, ein wenig von der Welt zu erhaschen,
die mir seit Wochen verborgen bleibt. Später halte ich
Netze bereit. Zwischen fallendem Laub fange ich
auch ein paar Federn.

Schlagwörter: Literaturtage, Reschitza, deutsch-rumänische Beziehungen

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