30. Juni 2025
Hegt wird gesangen!: „De Biëtklok“ von Ernst Thullner
Im Gedicht „De Biëtklok“ (Die Betglocke) beschreibt Pfarrer Ernst Thullner (1862-1918, Näheres zum Autor finden Sie in der Siebenbürgischen Zeitung, Folge 11 vom 8. Juli 2024, S. 10) die wiederkehrende Aufforderung der Betglocke (Abendglocke), die auch in verschiedenen Lebensphasen jeden dazu aufruft, nach Hause zu kommen. Alle Kinder wussten, wenn 19.00 Uhr die Glocken läuten, dann muss man wieder heim. „Wonn de Nuëchtklok leogt, dro kutt ir hiemen!“ Am Ende des Gedichts wird die Sehnsucht nach dem seligen Frieden angesprochen, wenn am Lebensabend die Glocke schließlich ihren letzten Ruf zum ewigen Heimgang ertönen lässt.

Dieses Gedicht wurde sowohl von Hans Mild (siehe SbZ, Folge 13 vom 5. August 2024, S. 6) als auch von Rudolf Lassel vertont. Die Melodie von Mild im 4/4-Takt ist eingängiger und weiter verbreitet. Jene von Rudolf Lassel ist durch den Wechsel von Moll und Dur stimmungsvoller und wird auch heute noch sehr gerne von Chören vorgetragen. Auf www.siebenbuerger.de/go/2L156 finden Sie Aufnahmen beider Melodien. Das Zeidner Gesangstrio (Effi Kaufmes, Annette Königes, Diethild Maier) trägt Lassels Melodie vor.

Rudolf Lassel hat die evangelische Kirchenmusik in Kronstadt nachhaltig geprägt. Als einer der begabtesten und bedeutendsten siebenbürgischen Musiker erwarb er sich bleibende Verdienste und wurde vielfach geehrt und von höchsten Stellen ausgezeichnet. Von Kaiser Wilhelm II., der 1917 während eines Besuchs der Schwarzen Kirche von Lassels Orgelspiel und dem Schülerkirchenchor höchst begeistert war, erhielt er als Anerkennung den Roten Adler Orden IV. Klasse und von Königin Elisabeth von Rumänien (Carmen Sylva) den Orden Bene merentis 1. Klasse. Lassel spielte oft Klavier und Orgel am Hof in Bukarest und in der Residenz in Sinaia der musisch gebildeten und dichtenden Königin Carmen Sylva. Am 18. Januar 1918 erlag der Musiker unverhofft einer Lungenentzündung, die er sich wohl in der noch unbeheizten Schwarzen Kirche zugezogen hatte. (Nähere Informationen zu Rudolf Lassel siehe auch SbZ, Folge 8 vom 15. Mai 2000, S. 6, und Folge 5 vom 31. März 2011, S. 9.)
In der Wende zum 20. Jahrhundert erschienen die ersten Publikationen mit Vertonungen von Mundartgedichten des aus Thüringen zugewanderten Mediascher Organisten Hermann Kirchner, der eine ganze Strömung, den Siebenbürgischen Liederfrühling (siehe auch SbZ, Folge 3 vom 12. Februar 2024, S. 1 und 6) von Kunstliedern in Mundart auslöste. Viele Mundartautoren wie z.B. Viktor Kästner, Martin Kutschis, Josef Lehrer, Georg Meyndt, Otto Piringer, Frida Binder-Radler, Carl Römer, Fritz Schuller, Anna Schuller-Schullerus, Christine Maly-Theil, Grete Lienert-Zultner haben ihre Texte teilweise selber mit Melodien im Volkston versehen – oder sind u.a. von Heinrich Bretz, Hans Mild, Andreas Nikolaus und Carl Reich vertont worden. Sie alle trugen in den folgenden Jahrzehnten zur Blütezeit des Mundartliedes bei. Auch Rudolf Lassel schloss sich dieser Strömung an und schuf eingängige Vertonungen hochdeutscher und siebenbürgisch-sächsischer Gedichte, von denen einige ins Volksgut übergegangen sind: „Mein Sachsenland“ (Ich kenn ein Fleckchen auf der Welt) von Franz Oberth (1828-1908); „Kronstadt“ (O trauteste Stadt) von Carl Thomas (1844-1913); „Blau und Rot“ (Wenn ich durch die Felder schreite) von Ernst Kühlbrandt (1857-1933); „Drå Wängsch“ (Ich wil, ich wer e Vijjelchen) und „Ech bän deng und ta bäst meng“ von Viktor Kästner (1826-1857); „De Biëtklok“ (Hiren ich de Biëtklok logden), „Än ases Nobers Guërten“, „Äm Må“ (Der Må äs wedder hä) und „Äm Frähjohr“ (Äm Frähjohr kåm e Vijjeltchen) von Ernst Thullner (1862-1918); „Iensem“ (Wat satzʼte si trourij) und „Sachsenlied“ (Ich bin ein Sachs! Ich sag’s mit Stolz) von Friedrich Wilhelm Seraphin (1861-1909) u. a. m.
In Kronstadt, Schäßburg, Mediasch und sicher auch in vielen anderen Ortschaften Siebenbürgens erklang während den Gottesdiensten am Heiligen Abend jahrzehntelang von den Emporen Lassels „Weihnachtslied“ (Was tönt so wundersamer Klang) von J. Claus, gesungen von den jeweiligen Kirchenchören. Der Kronstädter Bachchor unter der Leitung von Steffen Schlandt und der Mediascher Kirchenchor/Familienchor, geleitet von Edith Toth, führen das „Weihnachtslied“ auch heute noch alle paar Jahre auf. Lassels geistliche Kompositionen befinden sich auch gegenwärtig noch im Repertoire der Organisten und Kirchenchöre in Hermannstadt, Mediasch, Kronstadt und der Siebenbürgischen Kantorei in Deutschland. Als langjährige Chorsängerin erlebte ich, dass Lassels unverkennbare spätromantischen Vertonungen und Chorsätze nicht nur den Sängern Freude bereiteten, sondern auch die Zuhörer stets begeisterten. Dr. Steffen Schlandt, der derzeitige Organist und Kantor der Kronstädter Schwarzen Kirche, hat 2012 folgendes Chorbuch herausgegeben: „Lassel, Rudolf – Geistliche und weltliche A-Capella-Chöre“. Hermannstadt-Bonn: Schiller Verlag, erhältlich in Hermannstadt und über www. schiller.ro.
Angelika Meltzer

Schlagwörter: Hegt wird gesangen, Lieder, Mundart
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