9. März 2006

Urzelntag in Sachsenheim

„Eindrucksvolle siebenbürgische Brauchtumspflege in Sachsenheim ohne Pappnasen“, titelte die Lokalzeitung und bescheinigte dem diesjährigen Urzelntag „das rundum spürbare Zusammengehörigkeitsgefühl der Siebenbürger Sachsen und die tiefe Verbundenheit mit alter und neuer Heimat“.
Bereits zum 41. Mal (seit 1965) geriet am 25. Februar die 17 000 Einwohner zählende Stadt Sachsenheim im Landkreis Ludwigsburg zur Hochburg der Urzelnzunft Sachsenheim e.V. Viele Hundert Schaulustige und Aktive feierten den traditionellen Urzelntag als spektakuläres Gemeinschaftsereignis. Die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen war vor Ort prominent vertreten durch etliche Mitglieder des Bundesvorstands, an der Spitze Bundesvorsitzender Dipl.-Ing. Arch. Volker Dürr mit Gattin, sowie des Vorstands der Landesgruppe Baden-Württemberg.

Am Fasnetsamstag trafen sich diesmal 235 Urzeln schon morgens um 8 Uhr in der Sporthalle. Auf dem Programm stand zunächst das gemeinsame Foto mit und ohne Maske. Thomas Lutsch, seit 1993 amtierender Zunftmeister, und seine Helfer waren voll im Einsatz. Nach dem Fototermin nahm die von der Urzelnzunft Sachsenheim e.V. organisierte Brauchtumsveranstaltung ihren Lauf. In drei Bussen fuhren die Teilnehmer des Urzelntags, begleitet von den Partenführern Ingo Andree, Hans-Walter Thellmann, Hubert Wachsmann, Richard Henning, Hans-Edwin Steilner und Josef Kowatsch, in die Ortsteile Kleinsachsenheim, Hohenhaslach, Ochsenbach, Häfnerhaslach und Spielberg. In Spielberg schlossen sich den Urzeln auch die Häfnerhaslacher Hexen an, und zusammen mit den Ochsenbacher Musikanten setzte sich der Umzug gen Ortsmitte in Bewegung. Die Straßen waren geschmückt und die Bewohner hatten manch originellen Einfall. So hatten die Spielberger Metzger eine Urzelnwurst kreiert, die jeder Hästräger zur Stärkung bekam. Nach der Begrüßung durch Zunftmeister Thomas Lutsch und der Ansprache des Ortsvorstehers Ulrich Salewski folgten die Brauchtumsvorführungen.
Die Urzelnzunft in Sachsenheim leistet einen bedeutenden Beitrag zum Erhalt des siebenbürgisch-sächsischen Kulturbes in der neuen Heimat.<br>Foto: Inge Waas
Die Urzelnzunft in Sachsenheim leistet einen bedeutenden Beitrag zum Erhalt des siebenbürgisch-sächsischen Kulturbes in der neuen Heimat. Foto: Inge Waas


Die große Parade fand wie jedes Jahr in Großsachsenheim statt. Als Ehrengäste der Urzelnzunft trafen um 11 Uhr der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V., Volker Dürr, mit Gattin, die stellvertretenden Bundesvorsitzenden Dr. Bernd Fabritius und Karin Servatius-Speck mit Ehemann, der Bundesreferent für die Organisation des Heimattages, Johann Schuller mit Gattin, sowie Michael Konnerth, Vorsitzender des Verbandes Siebenbürgisch-Sächsischer Heimatortsgemeinschaften, ein. Begrüßt wurden sie von den in Urzelkostüme gewandeten, gebürtigen Agnethlern, Alfred Mrass und Ortwin Gunne, Mitglieder des Bundesvorstandes und Landesvorsitzende von Baden-Württemberg bzw. Rheinland-Pfalz. Mrass machte die angereisten Mitglieder des Bundesvorstandes mit Zunftmeister Lutsch bekannt. Dann reihten sich die Ehrengäste in den beginnenden Umzug ein, in dem auch heuer wieder alle Generationen vertreten waren - als jüngste Teilnehmer die Zwillinge Andreas und Catrin Fleischer, keine drei Jahre alt, der älteste Teilnehmer, Michael Knall, 86 Jahre alt.
Begrüßung des Bundesvorstandes der Landsmannschaft in Großsachsenheim, von links nach rechts: Ortwin Gunne, Dr. Bernd Fabritius, Karin-Servatius-Speck, Volker Dürr, Alfred Mrass und Johann Schuller. Foto: Heinz Stirner
Begrüßung des Bundesvorstandes der Landsmannschaft in Großsachsenheim, von links nach rechts: Ortwin Gunne, Dr. Bernd Fabritius, Karin-Servatius-Speck, Volker Dürr, Alfred Mrass und Johann Schuller. Foto: Heinz Stirner


Dem Fahnenträger der Urzelnzunft folgend, schritt der Festzug unter den Klängen der Stadtkapelle Sachsenheim aus der Bahnhofstraße zum Schlosshof. Hier drängten sich einschließlich der Urzeln rund 1 000 Veranstaltungsteilnehmer. Mit einem kräftigen „HIRRÄI!“ leitete der Zunftmeister die Brauchtumsvorführung ein. Bürgermeister Horst Fiedler, u.a. eskortiert von dem Vorsitzenden der Sport- und Kulturgemeinschaft Sachsenheim, Heiner Bierbrot, und Siegfried Brenner, Vorsitzender des Turnvereins Sachsenheim, begrüßte die Gäste mit fein Gereimtem.

An die Historie der Urzeln, die bis ins Agnetheln des 17. Jahrhunderts zurückreicht, erinnerte Bundesvorsitzender Volker Dürr in seiner nachfolgenden Ansprache. Der Ursprung des Urzelnbrauchs sei das Handwerk mit seinen Zünften und Bruderschaften gewesen, und so seien die Traditionsfiguren aus der Verbindung zu den damaligen wichtigsten Agnethler Berufen zu verstehen. „Heute laufen die Urzeln neben ihren Brüdern der Alemannischen Fasnet in Flecklehäs und mit Holzlarve.“, so Dürr, der neben der identitätsstiftenden Bedeutung gerade die integrative Wirkung dieser Tradition pries: „Ein Schaulauf für die Freude an der Freiheit und Freundschaft in einer neuen, guten Heimat, zu der man in Gänze gehört!“

Begleitet vom Musikverein Stadtkapelle Sachsenheim, zog der Tross samt Stadtoberhaupt geräuschvoll weiter zur Stadtkirche. An der Spitze, wie immer, ein Hauptmann (Horst Wellmann) als Vertreter der Schusterzunft, auf dem Kopf einen Marderhut, von dem rückwärts breite Goldborten bis zur Erde hängen. Das weiße Hemd, das den Oberkörper deckt, ist mit breiten bunten Bändern besetzt und wird durch einen roten Gürtel an den Leib gezogen. Mit der Rechten stützt er sich auf einen mit einem Bande geschmückten Stock. Flankiert wird er von den Engelchen (Sabine und Thomas Lang), ein jedes ein goldbesticktes Fähnlein in der Hand. Bei den Schneidern tritt an Stelle des Hauptmanns das Schneiderrösschen (Marion Koch) mit dem Mummerl (Christian Lang). Der das Rösschen darstellende junge Teilnehmer bewegt sich in einem dazu angefertigten Holzgestell, das mit einem farbigen Tuch verdeckt ist. Auf dem vorderen Teil des Gestells ist ein gepolsterter Pferdehals mit Kopf angebracht, der sich auf und ab bewegen lässt. Das Mummerl hält eine Peitsche in der Hand, durch deren häufigen Gebrauch das Rösschen hin und her tanzen muss. Den Bär (Alfred Hütter) und den Treiber (Alfred Hütter jun.) mit der Krone und den ausgestopften Füchsen stellt die Kürschnerzunft. Wie immer erfreuen sich auch in diesem Jahr die Reifenschwinger (Sunhild Pascher, Stefanie Pascher und Björn Nußbaumer) von der Fassbinderzunft mit ihren Vorführungen großer Aufmerksamkeit. Als Brauchtumsführer der Zunft hat Christian Lang hier gute Arbeit geleistet.

An der Stadtkirche angelangt, setzte man das Zeremoniell Pfarrer Gerhard Burr zu Ehren fort mit dem Siebenbürgenlied und dem Narrenruf „Hirräi!“. Der Geistliche erwiderte nicht etwa mit Gottes Wort, sondern verkündete vielmehr den topaktuellen Goldmedaillen-Gewinn des deutschen Biathleten Michael Greis. Maria Henning überreichte im Gegenzug einen Teller mit wunderbaren Urzelnkrapfen.

Zum gemeinsamen Mittagessen und weiteren Brauchtumsvorführungen mit Knallwettbewerb zogen die Urzeln heuer mit dem „Agnethler Rekrutenmarsch“ in die festlich geschmückte Sporthalle ein. Dort bot sich den Ehrengästen die Gelegenheit zum Gedankenaustausch mit den örtlichen Vertretern, zu denen auch Altbürgermeister und Ehrenurzel Andreas Stein zählte. Immer wieder begrüßte der Zunftmeister die Urzelnfreunde mit einem lauten HIRRÄI! Diese waren aus ganz Deutschland und sogar aus dem Ausland angereist. Für musikalische Unterhaltung sorgten u.a. die „Modern Enztown Spatzen“. Am Abend trafen sich erneut über 800 Gäste in der Tanzhalle zum Urzelnball. Die „Starlights“ spielten zum Tanz und die gute Stimmung riss bis in die Morgenstunden nicht ab. Einmal mehr hatte die Urzelnzunft gemeinsam mit der örtlichen Kreisgruppe, unter der Leitung von Maria Henning, Jutta Bahmüller und Reinhard Lang, eine organisatorische Bravourleistung vollbracht. Beide profitieren wechselseitig: Die Kreisgruppe unterstützt die Urzelnzunft bei der Gestaltung des Urzelntages; im Gegenzug sind die Urzeln beim Baumstriezelbacken, dem Sommerfest und dem Kathreinenball der Kreisgruppe zur Stelle. Zurecht erhielten Thomas Lutsch mit Gattin Monika, Maria Henning, Brigitte Mrass, Reinhard Lang und Jutta Bahmüller auf der Bühne ein offizielles Dankeschön aus dem Munde der Pressereferentin der Urzelnzunft, Kerstin Paal. Andreas Henning wurde zudem für 40 Jahre Urzelnlauf geehrt.
Begrüßung im Schlosshof in Großsachsenheim durch Zunftmeister Thomas Lutsch, eine Urzel mit zwei Fuchsschwänzen, neben ihm Bürgermeister Fiedler, Bundesvorsitzender Volker Dürr und Ehefrau Judith Dürr, im Vordergrund: Reifenschwingerin Sunhild Pascher, Stefanie Pascher, Björn Nußbacher, „Hauptmann“ Horst Wellmann, die beiden Engelchen Sabine und Thomas Lang sowie „Mummel“ Christian Lang. Foto: Heinz Stirner
Begrüßung im Schlosshof in Großsachsenheim durch Zunftmeister Thomas Lutsch, eine Urzel mit zwei Fuchsschwänzen, neben ihm Bürgermeister Fiedler, Bundesvorsitzender Volker Dürr und Ehefrau Judith Dürr, im Vordergrund: Reifenschwingerin Sunhild Pascher, Stefanie Pascher, Björn Nußbacher, „Hauptmann“ Horst Wellmann, die beiden Engelchen Sabine und Thomas Lang sowie „Mummel“ Christian Lang. Foto: Heinz Stirner


Das Urzelnlaufen ist heute keine ausschließliche Agnethler Veranstaltung. In den 41 Jahren seit Beginn des Urzelnlaufes in der neuen Heimat gestalten viele Landsleute aus ganz Siebenbürgen zusammen mit alt eingesessenen Sachsenheimern, die Mitglieder in der Zunft sind, diese Brauchtumsveranstaltungen. Darüber hinaus ist die Urzelnzunft Sachsenheim e.V. seit 1987 Vollmitglied der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte und folgt den Einladungen der anderen Zünfte, um das Brauchtum in der Vereinigung zu pflegen. Die Urzelnzunft Sachsenheim e.V. hält sich an die strengen Regeln der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte und ist kein Karnevalsveranstalter. Ihr Leistungsvermögen stellte die Urzelnzunft 1995 unter Beweis, als sie das Freundschaftstreffen der schwäbisch-alemannischen Narrenzünfte der Landschaft Neckar-Alb ausrichtete. Insgesamt vier Wochenenden am Stück zogen die Urzeln durchs Land mit Peitsche und Schelle, der Urzelntag in Sachsenheim bildete den Abschluss und Höhepunkt der Saison. Der öffentliche Zuspruch beim diesjährigen Urzelntag bestätigt den nicht zu verkennenden Trend zur Tradition. Die Urzelnzunft Sachsenheim e.V. verdient bei ihrem Bemühen, dieses alte Agnethler Brauchtum in seiner traditionellen Reinheit zu bewahren, Respekt und Unterstützung.

Ortwin Gunne


Schlagwörter: Urzeln, Brauchtum

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