16. Juli 2006

Schule aufgrund breiter Materialbasis erforschen

Seit 1995 fanden im (und in Zusammenarbeit mit dem) Haus des Deutschen Ostens in München sechs Seminare der Sektion Schulgeschichte des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde zu dem Thema "Dokumentation der siebenbürgisch-sächsischen Schulgeschichte nach 1944" statt. Ihr Ziel: Die Sammlung von Dokumenten und die Ergänzung der Bestände im Archiv des Siebenbürgen-Instituts in Gundelsheim.
Die Ausgangslage war folgende: Wir besaßen eine fast vollständige Sammlung der nach dem Zweiten Weltkrieg verwendeten Schulbücher. Wir besaßen Stundentafeln und Lehrpläne, "Programme". Und wir hatten die deutschsprachigen Tages- und Wochenzeitungen Rumäniens, in denen viel ausführlicher über Schulprobleme berichtet wurde als in vergleichbaren Publikationsorganen der Bundesrepublik.

Rückkehr der Absolventen 1954 des Honterus-Gymnasiums vom Honterushof zur Schule.
Rückkehr der Absolventen 1954 des Honterus-Gymnasiums vom Honterushof zur Schule.

Uns fehlten Dokumente anderer Art, die wir zu sammeln begannen: Persönliche Berichte, Erinnerungen, biographische Aufzeichnungen, Briefe, Zeugnisse, Schulfotos ... Es interessierten vor allem Quellen für das Leben einer Schule, für das Qualitative der Schularbeit - für das, was man in Schulgesetzen, Erlassen, Lehrplänen, Schulbüchern und Zeitungsberichten nicht ohne weiteres findet (besonders nicht für die Hintergründe). Aus der Zeit bis 1990 gab es dazu nur wenige ungeschminkte Unterlagen: Dokumente wurden bei Beratungen nicht angefertigt und Briefe selten geschrieben, weil viele Beteiligte es erfahren hatten, dass solche Unterlagen gegen sie verwendet werden konnten.

Die Münchner Tagungen zeigten sehr bald, dass das Dokumentationsprojekt sowohl "nach hinten" als auch "nach vorn" ausgeweitet werden muss. "Nach hinten", in die vorangegangene Zeit, weil es hier nicht nur weiße Flecken, sondern auch neue Fragestellungen gibt. In den bisherigen Darstellungen der siebenbürgisch-sächsischen Schulgeschichte dominieren Schulordnungen, der politische und kulturelle Zusammenhang der Schularbeit wird (meist hervorragend) dargestellt - zu kurz kommen oft die Realisierung der Pläne, der Schulalltag, die andern Nationen und ihr Einfluss und (im Blick auf den Lehrer) die Sozialgeschichte des Lehrerberufs. Gerade dazu sind Briefe, Memoiren, Erinnerungen von Lehrerinnen und Lehrern und von Menschen, die "die Schule selbst durchlaufen haben" (Capesius) wichtig.

Auch die Ausweitung "nach vorn" bis in die Gegenwart erwies sich als notwendig. Deshalb wurden immer Referate eingeplant, die sich mit der aktuellen Schulsituation in Siebenbürgen beschäftigten. Hinzu kommt ein neuer Akzent, der nicht nur ein interessanter Farbfleck in den Tagungsprogrammen ist: Die Berichte von Hans Gerhard Pauer (seit 2002 Leiter der Sektion Schulgeschichte) und seiner Schülerinnen und Schüler über die Projekte des Leistungskurses Geschichte am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Leverkusen: Die Monografien der Bergschule in Schäßburg und des Mediascher Gymnasiums sind ein erstaunlich erfolgreicher Versuch, Brücken zu nichtsiebenbürgischen Jugendlichen zu schlagen, bei ihnen Interesse an Siebenbürgen und seiner Schulgeschichte zu wecken und ihre Perspektive einzubeziehen.

Die Bemühungen der letzten Jahre erbrachten eine Fülle von Material. In drei Ordnern haben wir rund 70 Berichte von Lehrerinnen und Lehrern gesammelt, die auf den Tagungen vorgetragen wurden, Berichte aus Stadt und Land (wobei allerdings die Stadt überwiegt), aus verschiedenen Schulzweigen, aus der Sicht verschiedener Funktionen bis hin zu Berichten und Referaten zu grundsätzlichen Fragen wie der nach Schule und Ideologie.

Zunächst dominierten die Berichte über das Schulleben und die außerschulischen Veranstaltungen, dann kamen zunehmend die Probleme des Unterrichts zur Sprache und die Probleme der Gratwanderung in politisch schwieriger Zeit. Die Berichte wurden oft ergänzt durch Fotografien aus dem Schulleben, durch Zeugnisse und andere Dokumente. Alle Materialien werden dem Archiv des Siebenbürgen-Instituts übergeben. Hans Gerhard Pauer hat vorgeschlagen und es übernommen, die jeweiligen Referate auf einem elektronischen Datenträger (DVD) zu sammeln und diesen an die Tagungsteilnehmer zu verteilen. Die Sektion Schulgeschichte des Arbeitskreises sammelt für das Gundelsheimer Archiv natürlich auch Dokumente, die vor und unabhängig von den Seminaren der Sektion entstanden sind. Dazu einige Beispiele:
Geradezu vorbildlich (und eine Fundgrube) sind die Erinnerungen, Aufzeichnungen und Dokumente von Andreas Kloos, 1946 Lehrer am Stephan-Ludwig-Roth-Gymnasium in Mediasch, Schulinspektor (1949), Direktor der deutschen Schule in Mediasch (1950) und Mitglied verschiedener Gremien. Diese Erinnerungen sind noch keine Schulgeschichte, aber eine unentbehrliche Quelle z. B. für die Monografie des Mediascher Gymnasiums, die, wie erwähnt, Hans Gerhard Pauer mit seinen Schülern erarbeitet hat. Ähnliche Bedeutung haben die Aufzeichnungen und Dokumente des letzten gewählten Direktors des Honterusgymnasiums Otto Liebhart, die Hansgeorg von Killyen gesammelt hat.

Vorbildlich sind die Foto-Dokumentationen und Projekt-Berichte von Gustav Servatius aus seiner Arbeit an Mediascher Gymnasien:
- Unsere Bukowinafahrt Sommer 1954. Tagebuchberichte für den Elternabend der Deutschen Sektion des Stephan-Ludwig-Roth-Gymnasiums in Mediasch.
- Freizeitgestaltung der Schüler des Deutschen Gymnasiums in Mediasch (Stephan-Ludwig-Roth und Deutsche Abteilung des Axente Sever-Gymnasiums).
- Das gewandelte Berufsbild einiger Ortschaften des Siebenbürgischen Weinlandes 1977. Zusammengestellt von Schülern der Deutschen Abteilung des Axente Sever-Gymnasiums.

Eine wertvolle Quelle sind die vollständigen Personalakten von Lehrerinnen und Lehrern, die beim Ordnen von Nachlässen oder bei Haushaltsauflösungen sichergestellt werden konnten - zum Glück, denn oft werden solche Dokumente achtlos vernichtet. Werner Kuchar z. B. hat bei der Haushaltauflösung die vollständigen Personakten (einschließlich der Gehaltsabrechnungen, z.T. noch in Naturalien!) seines Großvaters, des Volksschullehrers Michael Guist (1874-1951) entdeckt und gerettet, der in seiner fünfzigjährigen Berufstätigkeit fünf Diensteide auf fünf Staaten bzw. Regime und Schulträger leisten musste. Ein Fallbericht macht manchmal Sachverhalte viel deutlicher als eine wissenschaftliche Analyse.

Sehr interessant sind in diesem Zusammenhang die "Klassenbücher" z. B. der Absolventen der Pädagogischen Schule in Schäßburg und des Honterusgymnsiums in Kronstadt, die jeweils anlässlich des fünfzigsten Maturajubiläums erschienen sind - natürlich mit unterschiedlichen Beiträgen und nicht nur Schul-Erinnerungen, sondern eindrucksvolle Lebensschicksale in schwerer Zeit. Wertvolle "Dokumentationen" sind bei der Vorbereitung von Büchern und Gedenkschriften entstanden. Geradezu beispielhaft sind die Fotografien, Dokumente und Erinnerungen, die Werner Kuchar bei der Vorbereitung der "Gedenkschrift 1919-1994. 75 Jahre seit der Gründung der Ev. Höheren Handelsschule A.B. in Kronstadt/Siebenbürgen" in mehreren Ordnern gesammelt hat.

Aber auch die Gedenk- und Festschriften selber sind oder enthalten ein Stück Dokumentation, so z. B. die unter der Redaktion von Konrad Gündisch von der Heimatgemeinschaft der Deutschen aus Hermannstadt herausgegebene Festschrift zum 625-jährigen Jubiläum der Brukenthalschule "Eine Pflanzstätte des Gemeinwesens. Die Brukenthalschule in Hermannstadt 1380-2005" oder die umfang- und materialreiche Arbeit von Hans Mieskes aus dem Jahr 1991 "Das Theologisch-pädagogische Landeskirchenseminar der evangelischen Landeskirche A.B. in Siebenbürgen zu Hermannstadt", die diesen Aspekt schon im Untertitel "Studien zu seiner Geschichte und Dokumentation" betont.

Einige "Kostbarkeiten". Dokumente zur Geschichte des "Coetus", der Organisation der weitgehenden Schülermitverantwortung an den Oberklassen der siebenbürgisch-sächsischen Höheren Schulen, seien hier besonders genannt: Erhalten geblieben sind im Original von dem "Coetus Seminarii", dem Coetus des Landeskirchenseminars
- "Das Große Gesetzbuch" mit einer älteren Satzung o.J., den Satzungen von 1912 und 1930, den Unterschriften der "Fuchsia" und den Protokollen der Fuchsprüfungen von 1916 bis 1938.
- Das "Unterrichtsbuch" mit den Berichten über die Fuchsstunden von 1935 bis 1939.
- Das "Protokollbuch der Handballmannschaft" mit Berichten über die Spiele von 1933/ 1934 bis 1948.

Wo viele wichtige Dokumente anderer Coeten geblieben sind - wie das "viele Jahre vor 1915 angelegte ... dicke, in Leder gebundene Coetus-Buch des Coetus Honteri", von dem Heinrich Zillich berichtet, oder das 1910 angelegte "Haupt- und Stammbuch des Coetus Cibiniensis" in Hermannstadt - ist nicht bekannt.

Eine Stelle müsste den Überblick haben, wo was zu finden ist. Ein Beispiel: Die Hermannstädter Biologie-Lehrerin Marga Grau hat eine mit Fotos und Zeitungsausschnitten illustrierte Chronik ihrer 32-jährigen Lehrtätigkeit (in Frauendorf, an der Brukenthalschule, der 15-er Schule in Hermannstadt und am "Päda" in den Jahren 1955-1987) angelegt, wo sie für jedes Schuljahr ihre Unterrichtsfächer, schulische und außerschulische Tätigkeiten, die Namen der jeweiligen Direktoren sowie sämtlicher Schüler mit Fotos der Absolventen und ihrer Lehrer, Klassentreffen mit dem Werdegang der Schüler u.a. aufgezeichnet hat. Eine ausgezeichnete Quelle (die vielleicht auch einem Archiv übergeben werden sollte). Es ist zu hoffen, dass die Sektion Schulgeschichte oder das Gundelsheimer Archiv diese Stelle mit dem Überblick sein kann.

Deshalb auch hier die Frage, die den Seminarteilnehmern gestellt wurde: Wo finden sich im Privatbesitz für die Schulgeschichte interessante Dokumente wie Briefe, Tagebücher, Erinnerungen, autobiographische Aufzeichnungen, Personalakten, Fotos ..., die (auch bei Haushaltsauflösungen und bei der Durchsicht von Nachlässen) gesichert und zumindest in Kopien dem Gundelsheimer Archiv übergeben werden könnten? Ziel bleibt, eine möglichst breite Materialbasis für die künftige Forschung zu sichern.

Und Interessenten sollten wissen, dass es ein Zentrum gibt, in dem Dokumente aller Art gesammelt werden: Das Siebenbürgen-Institut, Schloss Horneck, 74831 Gundelsheim. Kontaktadresse der Sektion Schulgeschichte: Hans Gerhard Pauer, Bahnhofstraße 3, 51399 Burscheid, Telefon: (0 21 74) 28 64 oder (01 70) 3 23 97 00, E-Mail.

Walter König


Schlagwörter: Tagungen, AKSL, Schulgeschichte

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