29. August 2006

Das Siechenhaus in Hermannstadt - ein Ort der Nächstenliebe

Von außen bietet die Kirche keinen einnehmenden Anblick: Ein frühgotischer Chor, schön und vertraut, aber die beiden Anbauten, die ihn flankieren, und das unsymmetrische Dach lassen Zweifel aufkommen, ob man jemals imstande sein wird, diesen Kirchenbau zu begreifen.
Der Hermannstädter Archäologe und Mediävist Petre Beșliu führt uns in das Innere und erzählt, was die in mehreren Anläufen ausgeführten Grabungen ergeben haben. Ich sehe Fundamente von Pfeilern und Mauern, dunkle Gebeine und einige zur Seite geräumte Schädel. In einer Grube pinselt und kratzt Herr Fink das Skelett einer jüngeren Frau frei. Es gäbe auch eine frühere Bestattungsschicht aus dem 13. Jahrhundert. Petre Beșliu erklärt: "Wir vermuten hier Holzbauten in tieferen Schichten. Der Eingang war da und ein anderer gegenüber." Deutlich wahrnehmbar ist das Engagement des Archäologen für sein Sorgenkind, die vom Verfall bedrohte Siechenhauskirche in Hermannstadt.

Die Besitzverhältnisse wechselten häufig. Heute gehören die Kirche und das Altenheim wieder zur Stadtverwaltung. Ihre Geschichte ist rätselhaft: War es die erste Kirche der Siedler, auf halbem Weg zwischen Unter- und Oberstadt gelegen? Entstand sie ursprünglich als Kapelle des frühesten Friedhofs, oder um einiges später als eine Klosterkirche? Der Kreuzgang des Klosters ist im hofseitigen Arkadengang des langgestreckten Asylgebäudes zu erkennen. Inwieweit ist jene spannendste Bauphase nachweisbar und rekonstruierbar, als hier ein Hospital der Brüder vom Heiligen Geist lebendig war?

1292 erhielten die Brüder vom Heiligen Geist von der Stadt ein "seit langem" als Spital genutztes Haus, um ein Hospital einzurichten. Es handelte sich nicht um ein Seuchekrankenhaus, eher um ein Altenheim, und ein solches ist es bis auf den heutigen Tag geblieben. Als soziale Einrichtung der Gemeinde wurde es etwa 40 bis 50 Jahre nach dem verheerenden Mongolensturm ins Leben gerufen und hat ohne Unterbrechung dem gleichen Zweck dienend die Zeiten überdauert. Dieser Ort der tätigen Nächstenliebe, der Pflege Hilfsbedürftiger, ist ein beeindruckendes Zeugnis vom Gemeinsinn der Hermannstädter Bürger. Die Bruderschaft vom Heiligen Geist wurde 1198 in Montpellier in Südfrankreich gegründet. Eine Reihe von Bruderschaften der Krankenpflegerorden sowie Männer und Frauen des Laienstandes hatten sich zusammengeschlossen, um als bürgerlicher Hospitalsorden Unabhängigkeit vom jeweiligen Bischof zu erringen.

Das Schiff der Siechenhauskirche erinnert an ein mittelalterliches Hospital (Hypothese A. Avram), das seinem Wesen nach sowohl einen Sakral- als auch einen Profanbau darstellt. Da es eine Trennung nach Ständen nicht gab, ist der Bautypus des Heilig Geist Spitals bestimmt durch die Einraum- oder Hallenanlage, eventuell mit Galerien und enger Verbindung zum Altar. Das Allerheiligste befand sich mit den Kranken unter dem gleichen Dach. Die Leidenden und Alten lebten und starben hier wie in einer Kirche in der ständigen Gegenwart Christi. Die Pflege bestand vorrangig darin, die Seele zu stärken, während der Körper verfiel. Man kann annehmen, dass sich erst mit den Kreuzzügen, gegen Ende des 12. Jahrhunderts das Hospitalwesen im christlichen Abendland nach dem Vorbild arabischer Krankenhäuser entwickelte. Die Muslime hatten schon im 10. Jahrhundert vorbildliche Anstalten für Kranke, in denen auch das Studium und die Lehre der Medizin gepflegt wurden.

Den Blick zur Decke gerichtet, zeigen sich auf leuchtendem Grün dicke rostrote Batzen. Das ist nicht Stuck auf einer gemalten Kirchendecke, es sind Algen und der Hausschwamm, die sich in dem feuchten Gewölbe festgesetzt haben. Das Dach ist leck, die Bausubstanz bedroht. Wie kommt es, dass unsere Heimatliebe und unser Stolz vor allem an trutzigen Mauern und wehrhaften Türmen hängt, indes diesen wahrhaft heroischen Ort der Nächstenliebe, der Kranken- und Altenpflege vergessen hat? Die Kirche des Siechenhauses verdient es nicht, dem Verfall preisgegeben zu werden.

Johanna Letz

Schlagwörter: Hermannstadt

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