17. September 2006

Levantinische Fabulierkunst

Das rumänische Banat – jene Grenz- und Mischlandschaft so verschiedener Kulturen wie die der Rumänen, Ungarn, Deutschen, Serben, Bulgaren und Roma – hat in den vergangenen Jahrzehnten eine große Zahl begnadeter Erzähler hervorgebracht. Die jüngere Generation wird unter anderem durch den in der Schweiz lebenden Catalin Dorian Florescu aus Temeswar – Florescu spricht betont von Timisoara – vertreten.
Der 39-Jährige verließ Rumänien erstmals 1976 zusammen mit dem Vater, kehrte aber wohl des Heimwehs willen zurück. 1982 reiste er endgültig aus dem Land der Ceausescu-Diktatur aus. Seinen Brotberuf des Psychologen hat er nur kurz ausgeübt. Florescu lebt heute wohl vor allem von den zahlreichen Preisen und Stipendien, die er in den letzten Jahren eingeheimst hat.

Und das offenbar nicht schlecht. Seine Internet-Seite zeugt von einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein. Ohne Zweifel: Dieser Mann kann erzählen. Erzählen mit levantinischer Fabulierfreude und –kunst. Es hat ja seine Gründe, dass man einst die Walachei – eines der Donaufürstentümer – als „Die Kleine Levante“ bezeichnet hat. Levantinisch – das ist nicht nur die Physionomie der hier lebenden Menschen, sondern auch deren Neigung zu fantastischen Erzählungen. Und solch eine stellt uns der Autor in seinem Roman „Der blinde Masseur“, ISBN 3-86612-079-6, Pendo-Verlag München und Zürich, vor.

Es ist die Geschichte einer Heimkehr. Einer Heimkehr in ein Land, das zwar das Rumänien des Jahres 2005 sein soll, in dem man auch Temeschburg und dessen Umgebung identifizieren kann, aber es ist ein sehr fiktives Land. Ein Land der ausländischen Männer, die hier billige Frauen suchen, der Frauen, die eben auf diese Männer aus dem Westen warten, um dort ihr Glück zu machen, ein Land der Zuhälter und ein Land der Roma, die sich prächtige Villen erbaut haben. Ein Land des Schmutzes, der Korruption und der Ausbeutung, aber auch ein Land der Literatur. Florescu sieht seine rumänische Heimat gleichsam durch einen Zerrspiegel. Und so erzählt er uns eigentlich eine jener Geschichten, die gar nicht einmal so weit entfernt im Reiche von "Tausend und einer Nacht" erfunden wurden. Nur dort kann man sich die Geschichte eines blinden Masseurs – Sohn armer ungebildeter Bauern - ausdenken, der sich von Dritten die ganze Weltliteratur vorlesen lässt. Im Frühjahr 2007 erscheinen Übersetzungen des Romans in das Rumänische und das Niederländische.

Horst Schinzel


Der blinde Masseur: Roman
Catalin Dorian Florescu
Der blinde Masseur: Roman

Pendo
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Schlagwörter: Rezension, Banat

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