19. Dezember 2006

Grete Lienert-Zultner und der Volksgesang

Es hat im gesamten deutschen Sprachraum wie in den deutschen Siedlungsgebieten Ost- und Südosteuropas im Laufe der Geschichte Zeiten gegeben, in denen sich im Volksgesang, im Singen von Volksliedern, Ermüdungs-, Verfalls- und Krisenerscheinungen bemerkbar machten, durch die Initiative aber von Persönlichkeiten, Gruppen, Singgesellschaften, Singakademien, Liedertafeln, Sängerbünden, Universitäten, Adjuvantenchören, Gesang- und Musikvereinen, Jugend- und Singbewegungen oder der Singpraxis in den Schulen jedesmal eine Rückbesinnung, Auffrischung und Erneuerung eintrat. Immer waren auch einzelne Musiker, Komponisten, Volkssänger, Volksliedsammler und -forscher, Chor- und Singleiter am Werk, die neue Lieder im Volkston komponierten oder „unbeabsichtigt“ Lieder schufen, die in die Breite drangen und zu Volksliedern geworden sind.
Auch in Siebenbürgen verzeichnen wir eine Reihe von Pädagogen, Pfarrern, Musikerziehern, Chorleitern, Kantoren, Komponisten, Volkskundlern, Volksliedsammlern, Volksliedforschern, Lautensängern und Volksmusikanten, die dem Volksgesang jeweils neues Leben verliehen, Volkslieder sammelten und publizierten, sich aktiv für deren Wiederaufleben, ihre Pflege und Verbreitung einsetzten. Natürlich trugen auch die Schulen allgemein, die Schülerorganisationen der „Coeten“ an den Obergymnasien und Lehrerseminaren mit den von ihnen betriebenen Musik- und Gesangvereinen, die Jugendorganisationen, die „Bruderschaft“ und die „Schwesterschaft“ mit ihren Burschenchören, Mädchenchören und gemischten Chören, der Jugendbund, der Mädchenbund, der „Gehilfenverein“, der „Jugendbildungsverein“, der „Verein junger Kaufleute“, der „Gewerbegehilfenverein“, der „Verein jüngerer Gewerbetreibender“, der „Verein jüngerer Kaufleute“, die Jugendmusikbewegung und die Gesangvereine sowie sonstige Chorgemeinschaften dazu bei.

Die Volkssängerin und Liederkomponistin Grete Lienert-Zultner (1906-1989).
Die Volkssängerin und Liederkomponistin Grete Lienert-Zultner (1906-1989).
Von einer Krise des Volksgesangs bei den Siebenbürger Sachsen können wir seit der vorletzten Jahrhundertwende sprechen. Die alten, zum Teil noch aus dem Mittelalter überlieferten mundartlichen Volkslieder hatten die Jahrhunderte überdauert, waren jetzt aber vom Untergang bedroht. Nur wenige noch hatten sich in der älteren Generation lebendig erhalten. Der Gesang in hochdeutscher Sprache war mit der Reformation durch das lutherische Kirchenlied aufgekommen. Weitere Volkslieder fanden den Weg aus Deutschland nach Siebenbürgen. In der Schule wurde ebenfalls in der Hochsprache gesungen. Sogar einige Mundarttexte übertrug man ins Schuldeutsch. Um die Jahrhundertwende überwog im Volksliedrepertoire jenes abgeschmackt-sentimentale deutsche Volkslied aus dem 19. Jahrhundert. Mit dem hochsprachigen Lied aber taten sich die Siebenbürger Sachsen allgemein schwer. Ein latentes Verlangen nach Neuschöpfungen und Erneuerung des Volksgesangs war nicht von der Hand zu weisen.

Als der aus Wölfis in Thüringen stammende Kirchenmusiker, Sänger und Komponist Hermann Kirchner (1861-1928) das Amt des Kantors und Musikvereinsleiters in Mediasch angetreten hatte, ging er 1897 auf die Suche nach authentischen, bodenständigen mundartlichen Volksliedern, die er in seine „siebenbürgische Volksoper“ Der Herr der Hann einzubauen gedachte. Da er keine solche Lieder fand, komponierte er sie (auf Mundarttexte von Joseph Lehrer, Ernst Thullner und Carl Römer) selbst. Diese und andere Lieder – er nannte sie Siebenbürgisch-sächsische Volkslieder – veröffentlichte er dann auch separat in mehreren Heften. Er sprach damit so sehr die Empfindungswelt des siebenbürgischen Menschen an, die Lieder fanden so großen Anklang, dass sie zu wirklichen Volksliedern wurden, sich auch mündlich und anonym schnell verbreiteten, ins Brauchtum übergingen und aus der Volksmusikpflege aller Bevölkerungsschichten und dem musikalischen Volksleben bald nicht mehr wegzudenken waren.

Gleichzeitig löste Kirchner eine liedschöpferische Welle aus: Zahlreiche Laienkomponisten, Lehrer, Pfarrer, Volkssänger, andere ausübende Musikliebhaber schufen nun Lieder im Volkston, teils in der Mundart, teils mit hochdeutschem Text: Friedrich Schiel, Heinrich Bretz, Josef Eisenburger, Anna Schuller-Schullerus, Carl Reich, Hans Mild, Gustav Schmidt, Christine Maly-Theil, Fritz Schuller, Paula Wagner-Henning, Martin Kutschis, Rudi Klusch, Rolf Müller, Käthe Zerbes-Rosenauer, Hans Wellmann. Aber auch professionelle Musiker und Komponisten beteiligten sich mit Eigenschöpfungen, Bearbeitungen oder als Multiplikatoren an dieser Bewegung: Rudolf Lassel, Eduard Orendi, Andreas Nikolaus, Friedrich August Friedsmann, Franz Xaver Dressler, Ludwig Schmidts, Norbert Petri, Walter Scholtes, Anneliese Barthmes, Ernst Irtel, Karl Fisi, Hans Peter Türk. Vor Kirchner schon hatten Johann Lukas Hedwig, Hermann Bönicke, Andreas Buchholzer, Georg Meyndt und Michael Zikeli ähnliche Lieder komponiert. Diese waren jedoch – außer der Volkshymne von Hedwig – zu Kirchners Zeit im Volk noch wenig bekannt.

So erhielten die Siebenbürger Sachsen wieder ein Volks- und Mundartlied. Dieses Ereignis ist als Beispiel dafür zu werten, wie der Volksgesang gewissermaßen von oben befruchtet und zu neuem Leben und lange dauernder Blüte gebracht werden kann. Man hat vom „siebenbürgischen Liederfrühling“ gesprochen. Er hielt das ganze 20. Jahrhundert hindurch an. Viele auch dieser neuen Lieder erlangten große Beliebtheit, sie werden heute noch in der älteren Generation und von Singgruppen und Chören gerne gesungen. Allen voran die Lieder von Grete Lienert-Zultner, die diesen Liederfrühling mitgestaltete.

Sie ist in die geschilderte Gesamttradition zu stellen. In Jahrzehnten schuf sie eine große Anzahl von Kleinoden dieser Art, zumeist auf eigene Worte. Sie erfüllten den Anspruch, Volkslieder im tradierten Sinne zu sein: Sie trafen das Ganze und Allgemeingültige, die Gemeinschaft der Bevölkerung nahm sie an und auf, behielt sie und gab sie – oft mündlich und anonym – weiter. (Stilkritische Wertungen oder Qualitätseinstufungen sind hier nicht am Platz). Jung und Alt sangen sie, Kinder, Schüler, Studenten, alle Stände und Berufsschichten, auf dem Land und in den Städten. Die wenigsten kannten ihre Urheberin. Die aber, die sie kannten, begegneten ihr und ihren Liedern mit besonderer Anerkennung, hoher Wertschätzung und großer Dankbarkeit. So schrieb Hans Mieskes 1986, die Lieder „waren das geistige Bindeglied zwischen uns, ehe wir uns kennen lernten. […] Die Zielrichtung des Schaffens ist im Sinne von Fritz Martini als ‚national-religiöse Sendung’ zu kennzeichnen, gespeist von Menschenachtung, dem ‚geheimen Bekenntnis’. Der subjektive Charakter verleiht den Worten und Weisen ihre Herzenswärme. […] Grete Lienerts Kunst ist ‚dienende Volkskunst’, die Kultur an der Wurzel des Lebens hervorbringt, einer humanen Welt, einer Ordnung von Werten und einem geistigen Habitus verpflichtet, denen niemand Rang und Geltung absprechen kann. […] Und dies würden wir zu den erwähnten Grundmerkmalen ihrer Kunst hinzuzählen: echte Einfachheit; klare und wahre Bodenständigkeit; Einheit von Wort und Melodie, von Rhythmus und Gehalt, von Intuition und Wirkung. Sachverständige Zeitgenossen sprechen von meisterlichen Liedern; Schuster Dutz: ‚Ich bin begeistert von der Schönheit, von der Güte und Liebe, die Du in deine Lieder gelegt hast’; Irtel: ‚Ihre Melodien sind edel gebildet, anregend, einfallsreich, vielseitig im Ausdruck.’“ Mieskes spricht weiter von einem „produktiven Überschuss von Innerlichkeit“, von Versen und Tonfolgen, die „Wehmut, Heimatliebe, Mitgefühl und Trost“ verbreiten, sie spenden „was uns unsere sächsische Geschichte ein- und aufgetragen hat. Die Dichterin selber ist geprägt und gewachsen durch das sächsische Wort“ (Siebenbürgische Zeitung, 15. 12. 1986). Wilhelm Zebli bekennt: „Du hast alles in Worte und Töne gefasst, was ich, was wir alle erlebt, empfunden, besessen haben: eine einzigartige Welt voller Wärme, Tiefe, Reinheit“ (Siebenbürgische Zeitung, 15. 11. 2006).

Diese und andere Stellungnahmen verdeutlichen, dass der Volksgesang bei den Siebenbürger Sachsen – nicht anders als bei allen Völkern, Ethnien und Volksgruppen Südosteuropas – auch Teil und Ausdruck ihres Selbstbehauptungsstrebens und ihres ethnischen Selbstverständnisses war, Mittel der Identitätsfindung und Selbstbestätigung. Der Gesang in der deutschen oder mundartlichen Muttersprache schenkte sprachliche und kulturelle Geborgenheit und Sicherheit. Gemeinsames Singen wurde während der kommunistischen Zeit als Ersatz empfunden für die tradierten aber nun verbotenen Formen des Gemeinwesens und Gesellschaftslebens. Die sogenannten Heimatlieder, das Pendant zu den hiesigen Vaterlandsliedern, aber waren – das muss deutlich angemerkt werden – keine patriotisch oder nationalistisch gefärbten Gesänge oder gar Kampflieder. Sie besangen, wie alle neuen Mundartlieder und wie die Lieder von Lienert, die Schönheit der Heimat, beschworen die Liebe und Treue zum Volksstamm, dem man angehörte, sie wollten die Menschen durch die Tages- und Jahreszeiten und durch ihr Leben begleiten, singend von Freude und Schmerz, Liebe und Freundschaft, von Wald, Bäumen und Blumen. Die äußere und innere Not der in der letzten Jahrhunderthälfte geschundenen Menschen, die Tragik der Deportationen und Vertreibungen nach dem Krieg, klingen in manchen Liedern nach: Wer will es den Dichtern verargen?

Leben und Lebenswerk von Grete Lienert-Zultner waren vorwiegend dem Volksgesang, der Liedpflege, dem Brauchtum und der volksnahen dramatischen Gattung gewidmet. Geboren am 28. Dezember 1906 in Malmkrog bei Schäßburg im „sonnigen Weinland Siebenbürgens“ (wie ihr Sohn Pfarrer Dr. Hans Lienert in der Siebenbürgischen Zeitung vom 15. 9. 2006 anmerkt), kam Gretchen – wie sie im Elternhaus, Familien- und Freundeskreis genannt wurde (auch in einigen Veröffentlichungen nennt sie sich Gretchen Lienert-Zultner) – früh mit dem ländlichen Brauchtum, mit Musik, Volkslied und Dichtung in Berührung. Es verging kaum ein Tag, an dem im Elternhaus nicht gesungen wurde. Die Eltern, der Vater Johann Zultner war Dorflehrer, stammten aus Großkopisch bei Mediasch, dem eigentlichen „Weinland“, wechselten aber mit Gretchen oft den Wohnort: Maldorf, Hohndorf, Schellenberg, Vereinigte Staaten, Schäßburg, Birthälm. Von 1920 bis 1925 erhielt sie Gitarrenunterricht. Sie besuchte die Volksschule in Schellenberg, anschließend die Bürgerschule in Hermannstadt, danach die Lehrerinnenbildungsanstalt in Schäßburg. Hier erhielt sie Klavier- und Violinunterricht. Ihre Musiklehrer waren Persönlichkeiten des siebenbürgischen Musiklebens: Arthur Stubbe (1866-1938) in Hermannstadt, Gustav Fleischer (1865-1927), Hanns Schlüter-Ungar (1896-1974), Friedrich August Friedsmann (1882-1936) und Paul Schuller (1900-1969) in Schäßburg. Ihr Berufsleben als Lehrerin begann 1925 in Waldhütten, ein Jahr danach finden wir sie in Neithausen, 1942 ging sie nach Neustadt, die kommunistische Zeit verbrachte sie als staatlich angestellte Lehrerin von 1948 bis 1952 in Denndorf, bis 1963 in Schaas und bis 1964 schließlich in Schäßburg. Wohnhaft blieb sie in Schäßburg bis 1976. In Waldhütten hatte sie ihren späteren Mann, den Notar Michael Lienert, kennen gelernt, der ihre musikalischen Aktivitäten unterstützte. Aus der Ehe gingen zwei Söhne, Hans-Richard und Günther, und eine Tochter, Grete, hervor. Hans Lienert schreibt: „1978 wanderte sie mit ihrer Familie nach Deutschland aus. Siebenbürgen zu verlassen, war wohl die schwerste Entscheidung ihres Lebens. Auch in der neuen Heimat wurde sie mit ihren Liedern, Gedichten und Theaterstücken in die Mitte ihrer siebenbürgischen Landsleute gerufen. Ein Höhepunkt in ihrem Leben war, als die inzwischen Achtzigjährige mit ihren Liedern und Gedichten sogar unseren Landsleuten in Kanada und in den Vereinigten Staaten ein Stück Heimat bringen durfte. Zwei Jahre darauf setzte ein Schlaganfall ihrem Leben ein Ende.“ Grete Lienert-Zultner starb am 1. April 1989 in Traunreut. Am 4. April wurde sie auf dem Traunreuter Waldfriedhof beigesetzt.

Die junge Gretchen Zultner begann, wie Hans Lienert ausführt, „sehr früh, eigenes, aber auch erlebtes Leben ihrer Mitmenschen in Liedern und Gedichten einzufangen“. Als Neunzehnjährige schrieb sie ihre ersten Theaterstücke, Äm Ir uch Gläck und Bäm Brännchen, in die sie Volkslieder einflechten wollte. Dann entschied sie sich, eigene Lieder dafür zu schreiben und nannte das zweite Stück (es wurde erst 1931 in überarbeiteter Form gedruckt) „Sängspäll“. Die drei darin enthaltenen Lieder – „Kut ir Frängdännen erbä“ (später erschienen unter dem Titel „Spänn-Liedchen“), „Do derhim blähn de Valcher“ und „Na gohn ich dervun“ (erschienen als „Uewschid vum Brännchen“) – waren die ersten, die öffentlich dargeboten wurden (1927). Die ersten „unabhängigen“ Lieder heißen „Himetgemin äm Owendrit“ und „Do derhim blähn de Valtcher“. Einige ihrer frühen Gedichte vertonte Schlüter-Ungar und veröffentlichte sie 1925 in seinen Siebenbürgischen Volksliedern für vierstimmigen gemischten Chor, op. 13 (Schäßburg, Verlag F. Kamilli). 1927 entstand ihr vielleicht bekanntestes Lied „De Astern blähn insem äm Gärtchen“; es wird im Roman Der Föhn braust durch das Land von Heinrich Bauer wiedergegeben und als „altes Volkslied“ bezeichnet. Zwischen 1926 und 1935 leitete Grete Lienert-Zultner in Großkopisch und Nimesch den Frauen- und den Jugendchor, mit denen sie auch eigene Theaterstücke aufführte und für die sie eigene Lieder schrieb. „Die Liederabende mit der Dorfjugend waren für mich immer das Schönste“, schreibt sie (Neuer Weg, 14. 2. 1967). Diese Tätigkeiten setzte sie in den folgenden Berufsstationen fort. Sie veröffentlichte in einem Heft Äm Ir uch Gläck, en Vulksstäck än 4 Afzäjen und Bauernliesel, Singspiel in einem Aufzuge 1928 in Cleveland/Ohio (Das Siebenbürgisch-Amerikanische Volksblatt spricht von „Höhe der Gestaltungskraft“, „straffer Konzeption“ und „Meisterschaft in der Handhabung der mundartlichen Ausdrucksmittel“). In Hermannstadt erschien 1931 Bäm Brännchen, e Sängspäll än zwä Beldern („Ein Volksstück von echtem Schrot und Korn“, so das Siebenbürgisch-Deutsche Tageblatt 1931) und 1970 Fosnicht hu mer, Lustspiel mit Gesang und Tanz. Die Zeitschrift Volk und Kultur, Bukarest, publizierte 1972 Das Salzfaß, Lustspiel. Im Selbstverlag brachte Lienert-Zultner 1936 Die verbrannte Maid heraus, Bühnenstück in vier Bildern (1956 preisgekrönt). In Schäßburg war sie Mitbegründerin des dortigen „Kammerchors“, leitete den Kirchenchor und brachte Laienspiele auf die Bühne. Hier hatte sie schon vorher eine eigene Singgruppe um sich versammelt – Vorläuferin des Kammerchors –, mit der sie 1967 vierzehn ihrer Lieder (darunter die bekannten und weitverbreiteten „Det Frähjohr kit än de Weden“, „De Astern blähn insem äm Gärtchen“, „Der Owend kit erun“, „Medchen mät de Kirschenujen“, „Kut, ir Frängdännen erbä“, „Angderm Wängert“ „Ställ uch fridlich“, „Iwer de Stappeln“ ) bei Electrecord in Bukarest unter der Leitung von Paul Schuller auf Schallplatte mit dem Titel „Siebenbürgisch-sächsische Lieder in volkstümlichem Stil“ einspielte und selbst auch gesangssolistisch mitwirkte. (Diese „legendäre Schallplatte“, wie sie die Siebenbürgische Zeitung vom 15. 11. 2006 nennt, ist unlängst in der Übertragung auf CD erschienen.) Die Schäßburger Gruppe trat unter Lienerts Leitung des Öfteren auch in der Deutschen Stunde des rumänischen Fernsehens auf. Das Lied „Ta Drimer“ wurde preisgekrönt und in Volk und Kultur 1956 veröffentlicht. Mundartgedichte von ihr vertonten Hans Mild und Carl Reich. In Traunreut/Oberbayern, wohin sie 1978 übersiedelt war, übernahm sie die Leitung des Siebenbürgischen Chors und gestaltete Feierstunden mit Gesang und Gedichtvorträgen. Im GIMA-Musikverlag in Stadtallendorf publizierte sie 1983 De Astern uch ander Liedcher in drei- und vierstimmigen Sätzen von Norbert Petri, Horst Gehann und Erwin Barth, im Selbstverlag erschienen 1986 Der Owend kit erun uch ander Liedcher, Liederheft, und 1987 der Gedichtband Wachsen, blühen, reifen sowie 1987 Wat u menjem Wiej gebläht, Lieder und Gedichte in siebenbürgisch-sächsischer Mundart. Zahlreiche Lieder von Lienert-Zultner wurden in anthologische Lieder- und Chorbücher aufgenommen wie in Siebenbürgen, Land des Segens (Wort und Welt, Innsbruck, 1952, 1986), Siebenbürgisches Chorbuch (Wort und Welt, 1983), Lieder der Heimat (Kronstadt 1970), Af deser Ierd (Hermannstadt 1971), Deutsches Liedgut aus dem Banat, Siebenbürgen und dem Sathmarer Land (Bukarest 1972). Außer der erwähnten Schäßburger Schallplatte ausschließlich mit Lienert-Liedern ist in Köln eine Schallplatte unter dem Titel „Angderm Lirber saß ech ist“ gepresst worden, die u.a. mehrere Lieder von Lienert bringt. Einige Lieder erlebten Rundfunkaufnahmen (Bayerischer Rundfunk 1982, unter der Bezeichnung „Siebenbürgische Volkslieder“ bei mehreren Rundfunkanstalten der Bundesrepublik). Auf Tonband hat die Komponistin 1985 privat sämtliche Lieder aufgenommen. Eines der Bänder hat sie selbst besungen.

Wie steht es um die Zukunft der Lienertschen Lieder? Noch gehören sie zum geistigen Besitz der in Deutschland lebenden Siebenbürger Sachsen, wenn auch überwiegend in der älteren Generation. Die Lieder bieten ihnen ein Stück verlorener Heimat. Sie bedeuten Erinnerung, Nostalgie, aber auch seelisches Erkennen für die, denen die Prämissen, aus denen sie erwuchsen und die sie widerspiegeln, geläufig sind und gelebt worden waren. Diese Komponenten fallen bei der jungen Generation, die Zukunft verkörpert, weg. Nun gehören ja aber allgemein der Volksgesang und das Volkslied selbst nicht mehr zum Grundbestand der Lebensäußerungen und der künstlerischen Bedürfnisse breiterer Bevölkerungsschichten. Selbst wo das Volkslied bekannt ist und gepflegt wird, singt man es nicht mehr spontan, aus einem Augenblick, einer bestimmten Situation oder emotionalen Regung heraus, sondern aus dem sogenannten zweiten Dasein in schriftlicher Fixierung in organisierten Singgemeinschaften und einschlägigen Kreisen, Gesellschaften oder Vereinen, oft mit der Absicht einer öffentlichen Darbietung, so dass es fast zum Gegenstand einer speziellen elitären Neigung und Beschäftigung geworden ist. Dafür ist es jedoch den Interessierten aller Berufs- und Bildungsschichten zugänglich. Hier liegen die Chancen der Lienert-Lieder und des übrigen siebenbürgischen Volksliedschatzes. Auf diese Weise können die Lieder weiterleben, junge Menschen können an sie herangeführt werden. Sie müssen nicht zwangsläufig zu historischen Kategorien und zu Archiv- und Museumsobjekten werden. Selbstverständlich ist eine beabsichtigte Wiederbelebung, Verbreitung und Weiterentwicklung – wenn das nicht von vornherein als „pädagogisierend“ abgelehnt wird – kein natürlicher, spontaner, gewachsener Vorgang. Beispiele aus der Vergangenheit zeigen jedoch, dass sich aus einer künstlichen Volksliedpflege sogar auch wieder ein natürliches, unmittelbar verinnerlichtes Singen tradierter oder auch neuer Lieder entwickeln und das Volkslied wieder heimisch werden kann, so wie es in manchen deutschen Siedlungsgebieten des Südostens bis weit in das 20. Jahrhundert hinein der Fall war. Bemühungen dieser Art gibt es auch auf anderen Ebenen. Auf diesem Weg ist es möglich, das Lied wieder in die Familien, Jugendorganisationen, Singgemeinschaften, Einrichtungen und Gesellschaften hineinzutragen. Hoffen wir, dass dies gewollt und realisiert wird. Die siebenbürgischen Mundartlieder aber müssten, die kommenden Generationen im Auge, zu diesem Zweck in ansprechenden Sätzen präsentiert und (leider) ins Hochdeutsche übertragen werden, wie es im Siebenbürgischen Chorbuch bereits versucht wurde.

Karl Teutsch


Schlagwörter: Porträt, Mundart, Musik

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