6. Januar 2008

Heimat zwischen Buchdeckeln

Was ist ein Heimatbuch? Diese scheinbar einfache Frage stand im Mittelpunkt der Tagung „Das Heimatbuch. Geschichte - Methodik – Wirkung“, die vom 25. bis 27. Oktober in Tübingen stattfand. Veranstalter waren das Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde (Tübingen), der Schwäbische Heimatbund und die Kommission für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südosteuropa. Weil aber diese Frage von der Wissenschaft noch so gut wie nicht gestellt wurde, hatte es sich die von Dr. Mathias Beer (Tübingen) vorbereitete und sehr gute besuchte Tagung zum Ziel gesetzt, Antworten auf die Frage zu liefern, indem das Heimatbuch bestimmende näher betrachtet wurden.
Angefangen bei der Geschichte, denn Heimatbücher gibt es seit dem späten 19. Jahrhundert und sie sind seither zu Tausenden erschienen. Dabei waren und sind Heimatbücher immer Produkte ihrer Zeit und der Menschen, die sie verfasst haben. So finden sich als allumfassende Gesamtschauen angelegte Heimatbücher aus der Zeit der Weimarer Republik neben solchen, die mit nationalsozialistischer Ideologie durchsetzt sind. Oder Heimatbücher aus der Nachkriegszeit, die den Nationalsozialismus bestenfalls am Rande behandeln und wiederum neuere Heimatbücher, denen an einer historisch kritischen Darstellung der Geschichte gelegen ist. Auf diese Unterschiede gingen unter anderem Prof. Wilfried Setzler (Tübingen), Dr. Wolfgang Kessler (Herne) und Dr. Elisabeth Fendl (Freiburg) in ihren Beiträgen ein.

Die Frage, ob es einen Unterschied macht, wer ein Heimatbuch schreibt, bildete einen weiteren Schwerpunkt der Tagung. Denn ohne Zweifel: Der Verfasser eines Heimatbuchs spielt eine große Rolle, weil beim Heimatbuch meist die Verbundenheit des Autors zum Ort ausschlaggebend dafür ist, ein solches Buch zu schreiben. Man kennt den Ort, ist meist dort geboren, sicher hat man lange dort gelebt und kennt seine Bewohner und Eigenheiten und möchte dies an andere und nachfolgende weitergeben. Das ist der Antrieb der meisten sogenannten Laien, ein Heimatbuch zu verfassen.

Selbst ein Wissenschaftler, der ein Heimatbuch im Auftrag verfasst, zum Beispiel anlässlich eines Jubiläums, muss sich intensiv mit dem Ort, seiner Geschichte, seinen Besonderheiten und seinen Bewohnern auseinandersetzen. Für beide dieser Typen von Autoren bot die Tagung mit den Beiträgen von Dr. Andreas Schmauder (Ravensburg) und Georg Schmidt (Grevenbroich) sowohl ein Forum als auch Raum zur Diskussion.

Mit der Frage nach dem Autor befasste sich die Tagung in einem anderen Schwerpunkt jedoch auch entlang einer weiteren – vermeintlichen – Trennlinie: Mit der zwischen westdeutschen und ostdeutschen Heimatbüchern, oder anders ausgedrückt zwischen Heimatbüchern und Heimatbüchern von Vertriebenen. Wie in den Orten Westdeutschlands wurden vor dem Zweiten Weltkrieg auch in den ehemaligen deutschen Ostgebieten oder in Siedlungsgebieten von Auslandsdeutschen Heimatbücher verfasst, denen sich die Tagung in mehreren Beiträgen widmete. Dieses Schreiben über die eigene Heimat riss auch mit der Flucht und Vertreibung am Kriegsende nicht ab. Vielmehr wurde nun – und das unterscheidet die „Vertriebenenheimatbücher“ von den anderen – über Orte geschrieben, an denen man nicht mehr war, über eine Heimat, die man verloren hatte. Dies hoben insbesondere Josef Wolf (Tübingen) und Dr. Ulrike Frede (Münster) in ihren Vorträgen hervor.

Dieser Unterschied darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass allen Heimatbüchern mehrere Eigenschaften gemeinsam sind. Die Herausarbeitung dieser Gemeinsamkeiten zählt zu den wichtigsten Ergebnissen der Tagung. An erster Stelle ist hierbei zu nennen, dass „der Verlust das Verbindende“ (Dr. Mathias Beer, Tübingen) aller Heimatbücher ist. Genauer gesagt: der Verlust der Zeit. Mit dem rapiden Wandel in vielen Lebensbereichen zum Ende des 19. Jahrhunderts machte sich unter anderem das Gefühl breit, dass eine neue, eine andere Zeit begonnen habe, dass die alte Zeit nicht mehr war. Das Heimatbuch entstand deshalb nicht zufällig in dieser Zeit als ein Mittel, die Vergangenheit mit ihren Bräuchen, Sitten, Geschichten, Menschen und Orten festzuhalten und weiterzugeben, wie Jutta Faehndrich (Leipzig), PD Willi Oberkrome (Freiburg) und PD Friedemann Schmoll (Augsburg) zeigten. Heimatbücher sollten dem Rückblick in eine zunehmend verloren geglaubte Zeit und ihre Besonderheiten dienen und den Zurückblickenden und seine Lebenszeit mit der der Vorfahren in Verbindung setzen. Daran hat sich bis heute nichts geändert und das gilt für Heimatbücher westdeutscher Orte ebenso wie für die von Vertriebenen, für von Laien verfasste als auch für von Historikern geschriebene Heimatbücher.

Weiterhin ist allen Heimatbüchern gemeinsam, dass sie sich in den allermeisten Fällen an eine klar erkennbare Gemeinschaft richten und sich auf diese konzentrieren; zum Beispiel die alteingesessenen Bewohner oder die deutschen Bewohner eines Ortes. Mitwohnende, Parallelgemeinschaften oder Minderheiten hingegen werden selten beachtet, worauf unter anderem Dr. Konrad Gündisch (Oldenburg) sowie Dr. Renate und Prof. Georg Weber (Münster) hinwiesen. Für die Gemeinschaft, an die sie sich wenden, wollen Heimatbücher Identität stiften und die Geschichte der Heimat zu einem Bestandteil der eigenen Identität werden lassen.

Ein Anliegen der Tagung war es auch, eine engere Verknüpfung zwischen Wissenschaft und den Verfassern von Heimatbüchern herzustellen. Heimatbücher können für die Forschung von Nutzen sein, auch wenn dies durch die bisher eher stiefmütterliche Behandlung als nicht naheliegend erscheint. Wenn Heimatbücher gut gemacht sind, das heißt, wenn sie sich auch an wissenschaftliche Standards halten und durch Quellentreue und -belege Glaubwürdigkeit herstellen, leisten sie für die Heimatgeschichtsforschung wichtige Dienste, allein schon, weil sie die oftmals umfangreichen ortsgeschichtlichen Quellen erschließen, wie Dr. Wolfgang Sannwald (Tübingen) betonte.

Wer Gelegenheit sucht, die Beiträge und Ergebnisse der Tagung nachzulesen, wird dies im Sammelband tun können, der sich in Arbeit befindet. Darin wird auch der grundsätzlichen Frage nachgegangen werden, „Passt Heimat in ein Buch?“, die Prof. Christel Köhle-Hezinger (Jena) in ihrem einleitenden Vortrag stellte und die wie ein roter Faden die gesamte Tagung durchzog.

Andreas Müller

Schlagwörter: Heimatbuch, Tagung, HOG

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