23. November 2008

Adolf Hartmut Gärtner: Markierungspunkte einer neunzigjährigen Vita

Er ist nicht allein als vorzüglicher Musiker, sondern ebenso als ein humorvoller Mann jenes Schlags bekannt, der auch vertrackte Lagen mit einem Witzwort aufhellt: der Kirchenmusiker KMD Adolf Hartmut Gärtner, München. 1916 in Kronstadt geboren, blickt er auf 92 Lebensjahre zurück – in den siebzehn Texten, die er in dem schmalen Broschurband soeben veröffentlichte, tut er es durchwegs schmunzelnd. Auch dort, wo einem üblicherweise das buchstäbliche Lachen vergehen könnte.
“Nichtalltägliches aus neun Jahrzehnten” nennt er seine knappen memorialistischen Rückblicke, und diese neun Jahrzehnte hatten es in sich. Erst recht für einen, den es aus den südöstlichen Wurzeln riss und westwärts verschlug. Den meisten von uns kommt das bekannt vor.

Doch Adolf Hartmut Gärtners Kalamitäten begannen, darf gesagt werden, bereits im “zarten Kindheitsalter”, wie er selber festhält: schon gleich nach der Geburt. Diese fiel fast genau in die Zeit der – oft beschriebenen – Flucht der Deutschen Südsiebenbürgens 1916 vor den mitten im Ersten Weltkrieg aus dem Süden über die Karpapaten anrückenden rumänischen Armeen. Im Durcheinander jener Tage wäre der Säugling um ein Haar mit einem anderen vertauscht worden. Oder wurde er es? Gärtner ist sich bis dato nicht sicher und stellt eingangs die abgründige Frage: “Bin ich überhaupt ich?” Das ist ein ausgezeichneter Buchbeginn und macht den Leser auf das weitere neugierig.

Adolf Hartmut Gärtner (92) blickt zurück auf ein ...
Adolf Hartmut Gärtner (92) blickt zurück auf ein erfülltes Leben.
Und so fällt denn auch der Dreieinhalbjährige samt sechzehnjähriger Aufpasserin auf Kronstadts evangelischem Friedhof prompt durch die morsche Decke einer Gruft ins fremde Grab hinab; der Autor vermerkt, dass es acht Jahre vor der Veröffentlichung der “Siebenbürgischen Elegie” Adolf Meschendörfers geschah und ihm daher der Vers noch nicht zur Verfügung stand: “Früh fasst den staunenden Knaben Schauder der Ewigkeit./ Wohlvermauert in Grüften modert der Väter Gebein,/ zögernd nur schlagen die Uhren, zögernd bröckelt der Stein...” Dass er dann später ebenfalls in Kronstadt als Geldfälscher hinter Gitter kommt, passt dazu. Ebensowenig entbehrt das Vis-à-vis mit der ehemals über Rumänien hinaus vielkoportierten “Madame Lupescu”, der einflussreichen Geliebten König Karls II., der Kanonenübungsschuss dicht am Turm der Bartholomäer Kirche Kronstadts vorbei oder die Zigeunerhochzeit von Soroca über das Humoristische hinaus einer Note des Nachdenklichen. Kriegsdienst als Soldat, Trennung von Frau und Kind durch das Fallen des Eisernen Vorhangs zwische Europa-Mitte und Europa-Ost, beruflicher und privater Neubeginn in Deutschland u.v.a: sind mit den Augen eines sui generis zur philosophisch heiteren Lebensbetrachtung bestimmten Naturells gesehen und niedergeschrieben. Köstlichkeiten wie die Schilderung des aus Anlass einer Volkszählung, 1950, in München-Sendling über Nacht nicht mehr zählbaren “Zigeuner”clans oder der CarminaBurana-Aufführung in einer Klosterkapelle zu Bordeaux – ungeachtet des berühmten Säuferchores “In taberna quando sumus” –, aber auch der Mitwirkung im Liza-Minelli-Film “Cabaret” oder der Begegnung mit der tunesisehen Bauchtänzerin geben der Erinnerungssammlung insgesamt das Gepräge.

In klarer, leicht lesbarer Sprache geschrieben, lässt Adolf Hartmut Gärtner in den siebzehn Texten sein Leben wie in Momentaufnahmen Revue passieren. So wie die vielen Fotobeigaben – sie reichen vom Standbild des Johannes Honterus vor der Schwarzen Kirche im siebenbürgischen Kronstadt bis zum Hafen des norwegischen Trondheim – einen weiten Lebensraum veranschaulichen, so umspannen sie als Markierungspunkte die Vita des zweiundneunzigjährigen Autors.

Hans Bergel

Adolf Hartmut Gärtner: “Nichtalltägliches aus neun Jahrzehnten”, Selbstverlag, München, 2008, 68 Seiten, 62 teils farbige Abbildungen, 8,50 Euro, zuzüglich Versand: 1,35 Euro, Bestellung bei Susanne Staffler, Junkerstraße 103, 80689 München, E-Mail: susanne.staffler [ät] web.de.

Schlagwörter: Rezension, Kronstadt, München

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