17. Februar 2009

Zeitgeschichte und Literatur: Heft 4/2008 der Vierteljahresschrift „Spiegelungen“

Heft 4/2008 der Vierteljahresschrift „Spiegelungen”, die im IKGS Verlag München (IKGS = Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München) erscheint, eröffnet mit einem Beitrag über die Berliner Fachtagung „Zwei Jahrzehnte Politik für Aussiedler und nationale Minderheiten: Bilanz und Perspektiven“, zu der der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Dr. Christoph Bergner, im September 2008 ins Konrad-Adenauer-Haus eingeladen hatte. Die Einrichtung des Amtes vor zwanzig Jahren markierte den Beginn besonderer politischer Bemühungen zur Unterstützung der Deutschen im östlichen Europa und in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Wolfgang Schäuble gehörten zu den prominenten Rednern der Veranstaltung, bei der u. a. auch Vertreter von Forschungseinrichtungen, die sich mit Kultur und Geschichte der Deutschen in Ostmittel-, Südost- und Osteuropa beschäftigen, zugegen waren. Wie IKGS-Mitarbeiterin Juliane Brandt in ihrem Bericht festhält, wurden als Ergebnisse der Beratung u. a. die kontinuierliche Solidarität und Verpflichtung der Bundesrepublik gegenüber den deutschen Minderheiten in Europa und die Weiterführung dieser Politik mit dem Schwerpunkt auf Identitätsförderung und -bewahrung herausgestellt.

In dem vorliegenden Heft der „Spiegelungen“ finden sich gleich mehrere Beiträge, die sich, sei es literarisch, wissenschaftlich oder publizistisch, schwerpunktmäßig mit neuerer und neuester Zeitgeschichte und den Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa auseinandersetzen. Bei dem fiktionalen Prosatext „Schwäbisches Diariom“, der in unkonventioneller Erzählweise an die Kriegs- und Nachkriegszeit in einem ungarndeutschen Dorf erinnert, handelt es sich um einen Auszug aus dem Typoskript des dritten Bandes einer ungarndeutschen Familiensaga von Robert Balogh. Der 1972 in Pécs/Fünfkirchen geborene Autor schreibt ungarisch, ist mütterlicherseits aber deutscher Herkunft. In dem von Julia Schiff übersetzten Fragment werden dem Leser die Geschehnisse aus der Perspektive einer alten Schwäbin vermittelt, die ihrem Enkel vom Dorfalltag mit seinen Traditionen, aber auch von beobachteten Gräueltaten gegen Juden und Zigeuner, von den Spannungen und Reibereien zwischen den Deutschen und von der Demütigung und der Not, die sie durch die Vertreibung nach dem Krieg zu erdulden hatten, berichtet. Vom nachwirkenden Fluchterlebnis eines donauschwäbischen Jungen im Kriegsherbst 1944 erzählt der aus dem serbischen Banat stammende Helmut Erwert in der Kurzgeschichte „Die Lebenden und die Toten“. In dem Beitrag „’Grenzerfahrungen’ im Schnittpunkt der Traditionen, Kulturen und politischen Mächte“ nutzt der Historiker Hans-Christian Maner die „Oral History“ als Forschungsmethode, um die Lebensgeschichte eines Siebenbürger Sachsen im 20. Jahrhundert und seine Akkulturation in rumänischem Umfeld darzustellen. Von der Zwischenkriegszeit bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges reicht der Bericht.

Neueste Zeitgeschichte wird zu einem Brennpunkt des Interesses durch das eindringliche Interview, das der Literaturhistoriker Stefan Sienerth mit dem seinerzeit vom rumänischen Geheimdienst observierten Banater Dichter Horst Samson, 54, führte, der, rund zwanzig Jahre nach der politischen Wende, mit anderen Kollegen in Bukarest Einsicht in seine Securitate-Akte nehmen konnte. Nach Eindrücken befragt, meinte Samson, der zwecks Klarstellung auch für eine Überführung der bislang geheim gehaltenen Dokumente in die Öffentlichkeit plädiert, u. a.: „Die Verästelungen der Vergangenheit ranken sich mitunter schmerzlich ins Heutige und ihre widerwärtigen Verflechtungen mit unserer Biografie lähmen uns immer noch vor Entsetzen.“ Jüngste Gedichte von Samson und ein sprachlich ausgefeilter poetologischer Essay, „Der Diskurs des Dichters“, sind gleichfalls in diesem Heft zu lesen.

Mit Gedichten präsent ist auch die aus Hermannstadt stammende Autorin Monika Kafka, geb. Vandory, die heute in München lebt. In dem literarhistorischen Essay „Der lachende Siebenbürger“ verleiht Hans Bergel der Gestalt des Dichters, Künstlers, Aussteigers, Naturphilosophen und „grünen“ Propheten Gustav Arthur Gräser (1879-1958), gemeinhin Gusto Gräser genannt, prägnante Kontur. Über Leben, Werk und Wirkung dieses Außenseiters, der in Kronstadt geboren wurde und vor fünfzig Jahren in München verstarb, gibt der Beitrag Auskunft. Aus manchen Gedichten Gusto Gräsers, der in Büchern von Gerhart Hauptmann oder Hermann Hesse als literarische Gestalt auftritt, in Siebenbürgen beispielsweise von Adolf Meschendörfer geschätzt wurde, glaubt Bergel aufgrund seiner „vertrackt-sinnvollen Sprachbilder" eine Ähnlichkeit zu jenen seines Landsmannes, des experimentellen Lyrikers Oskar Pastior, herauszuhören. Ein eindrückliches Bild des Lebens und Wirkens von Edith Silbermann (1921-2008) zeichnet Peter Motzan in dem Nachruf auf die in Czernowitz geborene und in Düsseldorf verstorbene Herausgeberin, Literaturwissenschaftlerin, Publizistin, Übersetzerin, Funkautorin und Vortragskünstlerin. Edith Silbermann war u. a. mit Paul Celan von Jugend auf befreundet und widmete ihm zwei Erinnerungsbücher, würdigte in einem Band die Bukowiner Dichterin Rose Ausländer als „Sappho der östlichen Landschaft“ und gab die Erinnerungen sowie zwei Lyrikbände ihres Freundes Alfred Kittner heraus. Noch in Rumänien, wo sie bis 1963 lebte, trat sie als Übersetzerin rumänischer Literatur hervor und führte diese Vermittlertätigkeit auch in Deutschland weiter, so durch die Übertragung von elf Erzählwerken des im Exil lebenden rumänischen Religionswissenschaftlers Mircea Eliade.

In der Rubrik „Neue Bücher" werden 16 Neuerscheinungen zur Geschichte, Kultur und Literatur südosteuropäischer Regionen (Galizien, Bessarabien, Bukowina, Siebenbürgen, die Levante) und Länder (Ungarn, Rumänien) vorgestellt und fachkundig rezensiert. Das „Forum“ bringt Berichte über wissenschaftliche Tagungen zur Geschichte, Kultur und Literatur der Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa, die, teils international ausgerichtet, in Szeged, Dresden, München, Bad Kissingen und Pecs/Fünfkirchen stattfanden. Ergänzende Berichte und Informationen finden sich wie gewohnt in der „Rundschau“ der Spiegelungen.

Auslieferung, Vertrieb und Abonnementbetreuung erfolgt über: Intime Services GmbH, Postfach 13 63, 82034 Deisenhofen, Telefon: (0 89) 85 70 91 12. Preis: Einzelheft 6,15 Euro (zuzüglich Porto und Versand, Abonnement 22,50 Euro (einschließlich Porto und Versand).

Schlagwörter: Literatur, Zeitgeschichte

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