30. Oktober 2009

Nach der Flucht aus Siebenbürgen zweite Heimat in Österreich gefunden

Der angekündigte Fortsetzungsband des Erin­nerungsbuches „Flucht aus Siebenbürgen“ (siehe Buchbesprechung in der Siebenbürgischen Zei­tung Online vom 6. März 2009), wurde vom Verlag Ennsthaler, Steyr im September herausgebracht und erscheint somit zu einer wegen der 70. Jährung des Weltkriegsbeginns mit Er­innerungen und historischem Gedenken reichlich befrachteten Zeit.
Die der Tochter Mo­nika Görig erzählten und von dieser redigierten Er­in­nerungen der sächsischen Bauerntochter Ma­ria Schneider, geborene Scholtes, aus Weißkirch bei Bistritz an das Ende der Flucht und des Krie­ges und ihre Schilderungen von dem Beginn und Verlauf eines neuen Lebensabschnittes ihrer Fa­milie in Österreich können zu Recht als eine Ergänzung der zum Kriegsgeschehen medial ver­mittelten Bilder gewertet werden.

Im ersten Band stand nach den Bildern einer schweren, aber glücklichen Kindheit im Hei­matdorf die Flucht der Gemeinde Weißkirch im Herbst 1944 bis zur Grenze der damaligen „Ost­mark“ im Mittelpunkt der Erzählung. Im vorliegenden Buch wird anfangs die letzte Etappe der Fluchtroute, die Durchquerung des Burgenlan­des und des hügeligen niederösterreichischen Alpenvorlandes, und deren Beendigung am 6. November 1944 im Raum Steyr/Oberösterreich beschrieben. Damit beginnt die Schilderung des nach dem monatelangen Leben im Fluchtwagen nicht weniger mühsamen Weges der Familie Schneider in eine nach dem Krieg opfervoll erar­beitete „zweite Heimat“ in Österreich. Er führt die nunmehr im Zentrum der Erzählung stehende Großfamilie durch Fleiß, Sparsamkeit und Gemeinschaftssinn zu mehrfachem Hausbesitz und zu bürgerlichem Wohlstand.

Die Erzählerin zeichnet mit einfacher Spra­che und trotzdem packend markante Etappen und alltägliche Episoden dieses Ablaufes bis in die Gegenwart. Sie schildert die Entbehrungen, die Quartiernot, den Hunger, die Armut und die Bedürftigkeit der Flüchtlinge ebenso wie deren anfängliches Heimweh, aber auch die Erlebnisse der Freude, des Erfolges und der Bewährung. Es sind dies die für die Eingliederung der Hei­matvertriebenen typischen Lebensaspekte, die den Angehörigen der damaligen „Erlebnisgene­ration“ der Siebenbürger Sachsen aus jener Zeit bekannt und in zahllosen Varianten auch vertraut sind. Doch im vorliegenden Fall werden auch Zeitzeugen von der erkennbaren außergewöhnlichen (Über)Lebens- und Glaubenskraft der Familie Schneider und von deren Lebens­leistung beeindruckt sein.

Es ist ein Kennzeichen auch dieses Buches, dass die chronologische und detailreiche Ablauf­darstellung oft unterbrochen und von Exkursen über thematisch naheliegende Fragen der Zeit­geschichte, des Brauchtums, der Religion, der Auswanderung, der Kindererziehung, der Haus­wirtschaft und anderem mehr ausgeweitet wird. Diese manchmal naiven Textstellen spiegeln so­wohl die gedankliche Befassung der zwei Auto­rinnen mit ihren Umweltfragen als auch ihren Bezug zur alten Heimat und den starken Zusam­menhalt mit den inzwischen auch nach Kanada und in die USA ausgewanderten Verwandten und Landsleuten der Dorfgemeinschaft. Hohen dokumentarischen Wert haben die vollinhaltlich zitierten Kirchenbucheintragungen des (in Kana­da verstorbenen) Treckführers der Weißkircher, Pfarrer Martin Intscher, die zahlreichen Faksi­miles von Behördendokumenten und die nahezu 200 Fotos von der Entwicklung der Familie, vom Hausbau und von der alten und der neuen Heimat. Einen besonderen Eindruck hinterlässt auch die Schilderung der Erbauung der evangelischen Kirche im neuen Heimatort Sierning, in der die im Zeitraum der Erzählung auf 40 direk­te Nachkommen angewachsene Familie zehn Taufen, neun Konfirmationen, sieben Trauungen und zwei Ehejubiläen abgehalten hat. Das Leben ist weitergegangen ...

Mit der vorliegenden Chronik einer siebenbür­gischen Bauernfamilie und der Schilderung ihrer Eingliederung in eine neue Welt liegt nun, neben den von Dr. Jost Linkner, Wels, herausgegebenen Heimatbüchern der nordsiebenbürgischen Gemeinden, ein weiterer Beitrag zur Erinne­rungsliteratur über das Schicksal der kriegsbedingt ausgewanderten Siebenbürger Sachsen vor. Das Buch ist auch, trotz oder gerade wegen seiner Einbettung in den Alltag, ein Zeugnis für die stützende Kraft des Gottvertrauens, der Familie und der Gemeinschaft. Man kann dafür den Autorinnen dankbar sein und ihrem Werk eine große Leserschaft wünschen.

Dr. Fritz Frank



Monika Görig/Maria Schneider: „Das Ende der Flucht aus Siebenbürgen. Die zweite Heimat Österreich“, Ennsthaler Verlag, Steyr, ISBN 978- 3-85068-823-9, 386 Seiten, Preis 19,00 Euro, zu beziehen über den Buchhandel oder direkt beim Verlag Enns­thaler GmbH, Stadt­platz 26, A-4402 Steyr bzw. www.ennsthaler.at.

Schlagwörter: Rezension, Flucht und Vertreibung, Österreich

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