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19. November 2008

Kulturspiegel

Mehr Tote als an der innerdeutschen Grenze

Besprechung der Neuerscheinung von Johann Steiner und Doina Magheti (Herausgeber): "Die Gräber schweigen. Berichte von der blutigsten Grenze Europas", Verlag Gilde & Köster, Troisdorf, 2008, 162 Seiten, ISBN 978-3-00-024991-4. mehr...

Kommentare

Artikel wurde 5 mal kommentiert.

  • Don Carlos

    1Don Carlos schrieb am 19.11.2008, 10:56 Uhr:
    Ist die völkerrechtliche Kategorie „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ auch auf die Kommunisten-Regime der Dej- und Ceausescu-Diktatur in Rumänien anwendbar?
    Denn was sind die "Morde" an der „blutigsten Grenze Osteuropas“ anderes als staatlich angeordneter und sanktionierter Mord?

    „Verbrechen gegen die Menschlichkeit bedeutet unter anderem: Mord, ethnische Ausrottung, Versklavung, Deportation und andere unmenschliche Akte gegen die Zivilbevölkerung oder: Verfolgung aufgrund von rassistischen, politischen und religiösen Motiven; unabhängig davon, ob einzelstaatliches Recht verletzt wurde.“ (Definition der Londoner Charta vom 8. August 1945)
    „Jeder Akt der Vertreibung, so unterschiedlich die historischen Hintergründe auch sein mögen, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ (Zitat Gerhard Schröder, ehem. Bundeskanzler ) Beide Quellen: Wikipedia.
    Und damit eine Angelegenheit für den Internationalen Strafgerichtshof im Haag?

    Den 4000 erfolgreichen Grenzübertretungen enstprechen wahrscheinlich viele Tausend Tote, die das Buch nicht vermerkt, weil nicht hochgerechnet wurde. Doch sie dürften ausreichen, um wenigstens mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Materie in Rahmen der Vergangenheitsbewältigung der Rumänen zu beginnen.
    Nach welchen Kriterien wurden die Fluchtereignisse zusammen gestellt?
    Wurden die Geschichten zufällig gesammelt? Worin besteht die Eigenleistung der Herausgeber?
    Was wurde kommentiert, kritisch ausgewertet?

    Da die Kommunisten in Rumänien- und diese bevölkern noch das Parlament in großer Zahl - selbst kein übergeordnetes Interesse haben, ihre eigenen Schandtaten aufzuarbeiten, muss die Diskussion von deutscher und europäischer Seite her geführt werden.

    Wie aus der Rezension Michael Kroners erkennbar, ist das Werk über die illegalen Grenzüberschreiten und Fluchtversuche an der rumänisch-jugoslawischen Grenze nur ein Kompendium, eine Art Materialsammlung, die noch wissenschaftlicher Aufarbeitung bedarf.
    Wer das Wesen einer Diktatur verstehen will, muss nach den Gründen fragen, die Menschen – unter ihnen viele Repräsentanten der Banater Schwaben und der Siebenbürger Sachsen – unter Lebensgefahr in die Flucht trieben.
    Viele Fragen müssen wissenschaftlich gestellt und politisch-moralisch beantwortet werden, auch von Bukarest und den Nationalhistorikern der Rumänen.

    Wer aus der Regierung der Diktatur war verantwortlich für den Schießbefehl?

    Wer ordnete das systematische Foltern von Opfern an? (Persönlich darf ich als Betroffener in diesem Punkt mitreden und berechtigte Fragen stellen.)

    Wer rehabilitiert die Toten?
    Und wer entschädigt die Folteropfer? Was wurde aus den Inhaftierten?
    Es ist erstaunlich, dass die Wissenschaft bisher einen großen Bogen um diese an sich sehr ergiebige Diskussion gemacht hat.
    Da ist noch viel Stoff für künftige Promotionen.

    Müssen wir an die tristen Ereignisse erinnern?

    Mahnen? Ist es eine Pflicht und ein Gewissensakt?
    Oder soll endgültig Gras über die „schweigenden Gräber“ ohne Kreuz wachsen?

    Don Carlos, Historiker und Zeitzeuge.


    [Beitrag am 19.11.2008, 11:02 von Don Carlos geändert]

    [Beitrag am 19.11.2008, 11:09 von Don Carlos geändert]
  • hein

    2 • hein schrieb am 19.11.2008, 12:29 Uhr:
    Ein guter Bekannter wurde 1989 bei einem Fluchtversuch gefasst. Von seinem Fall erfuhren wir, weil er sich in unserer Wohnung mit seiner Advokatin traf. Sie hatte Einspruch gegen seine Verurteilung als "kommunaler(?)" Krimineller erhoben, da er ja aus politischen Gründen strafbar geworden war, nicht etwa gestohlen oder gemordet hatte. Und dass der rumänische Staat äußerst selten in den Anklagen gegen erfolglose Republikflüchtlinge politische Motive gelten ließ, auch um die Statistiken zu fälschen.
    Während des laufenden Prozesses kam die Wende. Die Advokatin erklärte, dass unser Bekannter als vorbestraft gegolten hätte, wäre es zu einer Verurteilung vor der Wende gekommen.
    Frage: War diese Art der Verurteilung die Regel und wie viele eigentlich politische Gefangene wurden als gemeine Kriminelle verurteilt und tauchen somit nirgendwo als Opfer des kommunistischen Regimes auf?



    [Beitrag am 19.11.2008, 12:34 von hein geändert]
  • Don Carlos

    3Don Carlos schrieb am 19.11.2008, 13:14 Uhr:
    Die gezielte Kriminalisierung von so genannten "Republik-Flüchtlingen" ( ein Terminus der DDR-Offiziellen) - war in der Ceausescu-Diktatur die Regel, nicht die Ausnahme.

    Die beiden Banater Schwaben aus Marienfeld in meiner Zelle im Temeschburger Popa Sacpa Gefängnis waren nicht wegen versuchter Grenzüberschreitung, sondern wegen "Bestechung" verurteilt. Ein Schlepper, der mit den Grenzsoldaten teilen sollte, hatte sie einfach ans Messer geliefert, nachdem er kassiert hatte.

    Der Ungar aus Cluj (Klausenburg), der in die USA fliehen wollte, saß wegen "Devisenvergehen", weil er Dollar und Dinar bei sich hatte.

    Weitere vom System bewusst kriminalisierte Streikteilnehmer aus dem Schiltal saßen wegen angeblicher "Vergewaltigung" - einige Baptisten aus Caransebes waren "wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt" abgeurteilt worden - und einem Zeugen Jehovas, der den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen verweigert hatte, wurde "Desertieren aus der Armee" unterstellt. Er wurde zweimal für das gleiche Delikt verurteilt. (Details in meinem jüngsten Buch.)

    Tragische Implikation dieser Vorgehensweise: Die Häftlingshilfeorganisation "amnesty international" konnte solch offensichtlich vom Regime kriminalisierte Fälle nicht "adoptieren", weil dies nie nachweisbar war. Also blieb den Hoffenden im Knast jede Hilfe aus dem Westen versagt, auch die moralische. - Auch das hatte System und Methode!

    Im sozialistischen Rumänien, in einer Diktatur ohne funktionierendes Rechtssystem, konnte der Betroffene keine Untersuchungen einleiten, schon gar nicht gegen die Securitate, das Militär oder die Kommunistische Partei. Also konnte er auch kaum Recht finden. Engagierte Anwälte blieben die Ausnahme.
    Soviel, hein, zu Ihrer Frage. Die Diskussion beginnt erst - und sie sollte ernst genommen werden, wenn sich das Unrecht von gestern und vorgestern nicht wiederholen soll. Wehret dem Übel, auch wenn es schon überwunden scheint. Don Carlos, Zeitzeuge und Philosoph.


    [Beitrag am 19.11.2008, 13:23 von Don Carlos geändert]
  • gloria

    4gloria schrieb am 19.11.2008, 21:18 Uhr:
    Endlich erscheint ein Buch zu dem Thema Flucht im kommunistischen Regime.Das von der rumänischen Regierung keine Akten herausgegeben werden finde ich empörend.Rumänien gehört doch zur EU,kann auf diesem Wege nichts unternommen werden.Jedes Land hat seine Verbrechen anerkannt und wenigstens den Versuch unternommen um Vergebung zu bitten.Wann tut Rumänien,die heutigen kommunistische Partei diesen Schritt???
  • Adine

    5Adine schrieb am 20.11.2008, 12:37 Uhr:
    Daß von der rumänischen Regierung noch keine Akten herausgegeben wurden,wundert mich nicht.Es sitzen ja noch Schuldige an der Macht.Ein mea culpa erwarte ich von denen nicht.Rumänien ist zwar offiziell in der EU,aber es hat noch einen weiten Weg ein gutes Land zu werden.Die EU könnte schon Rumänien auffordern,die Akten zu öffnen.Hoffen wir ,daß sie es auch tut.

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