22. November 2014

125 Jahre Zuckerfabrik in Brenndorf

Wie aus der siebenbürgischen Industriegeschichte zu entnehmen ist, gibt es keinen anderen Betrieb, der 125 Jahre, sogar während der beiden Weltkriege, ununterbrochen gelaufen ist. Sogar nach der Wende von 1989, als viele Großbetriebe im Sog der Privatisierung dicht machten, lief die Produktion der „weißen Ware“ in der Zuckerfabrik Brenndorf weiter, wie diese heute mit Genugtuung feststellen kann. Der Bau der Zuckerfabrik hat im Februar 1889 begonnen, und Mitte November wurde die Produktion aufgenommen.
Dass die Zuckerfabrik im Jahr 1889 errichtet wurde, ist kein Zufall, ebenso wenig der Standort Brenndorf. Bei wachsender Nachfrage des Zuckers sowohl bei der Bevölkerung als auch der sich rasch entwickelnden Genusswarenindustrie wurde die Gründung mehrerer Zuckerfabriken in der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie in Erwägung gezogen. Mit Blick auf die örtlichen klimatischen Bedingungen, Bodenbeschaffenheit und anderen wirtschaftlichen Vorteile entschied man sich für Serentsch (Szerencs, im Komitat: Borsod-Abaúj-Zemplén, Ungarn) und für Brenndorf bei Kronstadt. Als erfahrene Zuckerrübenkocher kamen in erster Linie jene aus Mähren in Tschechien und der Slowakei in Frage, die sich schon zum Jahresbeginn 1889 nach Ungarn und Siebenbürgen aufmachten. Unter ihnen befanden sich auch Zimmerleute, Schreiner und Maurer, und zusammen mit sächsischen Handwerkern vor allem aus Heldsdorf bauten sie eine neue Siedlung bei der Zuckerfabrik Brenndorf, die „Kolonie“, auf.

Den wirtschaftlichen Verhältnissen des Burzenlandes Rechnung tragend und aus logistischen Überlegungen heraus wurde die Zuckerfabrik „im Herzen des Burzenlandes“ errichtet, damit die Bauern die Zuckerrüben mit ihren Ochsenwagen zur Verarbeitung bringen können. Der Standort wurde aber auch aus einer anderen Überlegung gewählt. Die Fabrik befindet sich zwischen dem Bahnhof Brenndorf und der Burzen. Der Bahnhof ermöglichte die Zustellung von Rohstoffen, während die Burzen das erforderliche Industriewasser lieferte, denn zum Waschen von 10 kg Zuckerrüben waren im Schnitt 100 l Wasser erforderlich, wobei man sich vorstellen kann, was für eine Wassermenge bei 200 Waggons Zuckerrüben in 24 Stunden verschlungen wurde.
Die nach dem Erdbeben vom 19. November 1940 ...
Die nach dem Erdbeben vom 19. November 1940 umgebaute Haupthalle der Zuckerfabrik Brenndorf mit der neuen Fassade.
Die Zuckerfabrik Brenndorf wurde 1889 auf Anregung der Firma Friedrich Zell und Söhne gegründet, die ein Jahr zuvor die Spiritusbrennerei Quittner in der Kronstadt vorgelagerten Siedlung Dirste (rumänisch Dârste) gekauft hatte. Mit größeren Anteilen am Startkapital der „Ungarischen Zucker-Industrie A.G.“ Brenndorf beteiligten sich neben der Firma Czell das Berliner Bankhaus Bleichröder und ungarische Großinvestoren, insbesondere die Budapester Kreditbank A.G. Das Aktienkapital betrug sechs Millionen Gulden. In wenigen Jahren entwickelte sich die Zuckerfabrik zu einem der größten Industriebetriebe Siebenbürgens. Dass es auch eine der modernsten Zuckerfabriken jener Zeit war, bestätigt auch die Tatsache, dass eine Kohlezeichnung der Fabrik, die das Arbeitszimmer des Direktors schmückte, bei der Pariser Weltausstellung 1901 gezeigt wurde.

Bei der Errichtung der Fabrik sollen nach mündlicher Überlieferung rund 2000 Personen die Ziegelsteine von Hand zu Hand weitergereicht haben. Der Bau begann im Februar 1889 und wurde Mitte November beendet.

Der Antrieb erfolgte durch zwölf Dampfmaschinen mit Collmann-Steuerung mit insgesamt 1100 PS, die ihrerseits elektrische Turbinen vom Typ Brunn-Bauer in Bewegung setzten. Die tägliche Leistung betrug zuweilen 9000 Kubikmeter Rüben und 450 Kubikmeter Melasse. Die ersten Dampfkessel wurden bis zur Modernisierung der Fabrik in den Jahren 1927-1928 mit Kohle geheizt. Bei dieser Gelegenheit wurde die Fabrik mit neuen Maschinen der „Ersten Maschinenfabrik – Brünn“ nachgerüstet, von der auch die ersten Anlagen im Jahr 1889 bezogen worden waren. Mit der Umstellung auf Erdölheizung musste ein höherer, und zwar 80 m hoher Schlot anstelle des alten, nur 60 m hohen, errichtet werden. Die Maschinen dienten zum Reinigen und Zerkleinern der geernteten Zuckerrüben, zur Durchführung der Diffusionsprozesse, zur Läuterung des Zuckersaftes, zum Filtern mit Knochenkohle, zum Abdampfen des filtrierten Saftes in Vakuumpfannen bzw. „Verdampfstationen“ und schließlich zur Kristallisation des Dicksaftes und zum Raffinieren in Kochapparaten, die unter Vakuum standen. Ein historisches Foto Mitte der zwanziger Jahre des 19.

Jahrhunderts bietet eine Übersicht der technischen Einrichtungen, anhand derer auch die wichtigsten Arbeitsgänge nachvollzogen werden können (Abb. 1 = Foto 3). Im obersten Geschoss der Haupthalle befanden sich die Waagen, Schnitzelmaschinen- und Pressen, links davor, die Vorwärmkessel- und Apparate, in der Mitte des darunter liegenden Geschosses waren die Diffusionsgefäße („Diffuseure“) installiert, die zu einer Batterie verbunden waren, daneben links die Verdampfstation und Kristallisation, rechts auf selber Ebene, die Saturationspfannen. Im Erdgeschoss, unter der Diffusionsabteilung, befanden sich die Maschinen zum Reduzieren des Kohlendioxydes, mit dem der Dicksaft leichter aus einem Kessel in den anderen gepumpt werden konnte. Anschließend links waren die Transformatoren und die Elektrowerkstatt untergebracht auf der gegenüberliegenden Seite des Erdgeschosses, die Wasserpumpen.
Innenansicht der Haupthalle der Zuckerfabrik ...
Innenansicht der Haupthalle der Zuckerfabrik Brenndorf (um 1920)
Die Fabrik beschäftigte anfangs in der Kampagne 1000 Arbeiter. Die Zuckerausbeute war in den ersten 15 Betriebsjahren geringer als erwartet (11,8% weiße Masse). Dieses führte auch zur Loslösung der Bierbrauerfirma Czell & Söhne. Durch eine gründliche Kultur, vorsichtige Bodenauswahl, gute und zeitgerechte Bearbeitung, entsprechende Düngung und Sortenwahl wurde die Ausbeute gesteigert. An die Fabrik war auch eine Bewirtschaftung in eigener Regie („Ökonomie“) angeschlossen, die durch die Agrarreform von 1921 stark verkleinert wurde.

Die Hoffnungen, die man an die Einführung der Zuckerrübenkultur knüpfte, haben sich voll und ganz erfüllt. Sie hat auch in Siebenbürgen wie in aller Welt die Betriebsweise der Bauernwirtschaften geradezu auf den Kopf gestellt. Der Rübenbau wurde dadurch, dass er viel Futter abwarf, zum stärksten Hebel des Fortschritts im Bereich der Landwirtschaft und Viehzucht, denn er eröffnete einen neuen Kreislauf der Stoffe und steigerte den Ertrag aller Feldfrüchte, was vor allem im Burzenland sichtbar zu erkennen war. Der Grundsatz lautete: „Viel Futter, viel Vieh, viel Dünger, hohe Erträge“.

So wurden in den Jahre 1889 bis 1924 in der Zuckerfabrik 218.927 Waggons Rüben verarbeitet, wobei allein Brenndorf ein Sechstel dieser gewaltigen Menge lieferte. Die täglich zu verarbeitende Rübenmenge stieg allmählich auf 200 Waggons. Sie kamen auch aus dem Kokeltal, dem Alttal bei Fogarasch, dem Harbachtal, der Gegend um Hermannstadt, Großschenk, Reps und sogar aus den drei Stühlen des Szeklerlandes.

Im Gründungsjahr der Zuckerfabrik wurden im Burzenland 1.446 Joch Rüben angebaut, 1924 waren es bereits 5732. Die größten Anbauflächen waren in Brenndorf, Marienburg, Heldsdorf, Kronstadt und Petersberg. Pro Jahr wurden im Schnitt 11-12000 kg Rüben geerntet, in Brenndorf sogar bis 15.000 kg.

Erwähnt sei auch das Warenangebot, wodurch sich die Zuckerfabrik Brenndorf von anderen unterschied. Brenndorf war bekannt für die Produktion von Zuckerhüten, die bis zu 25 kg wogen und vor allem in die Türkei exportiert wurden. In der Zwischenkriegszeit spezialisierte sich die Fabrik auf die Herstellung des Würfelzuckers, der mit acht Pressen hergestellt wurde. Der Kristallzucker wurde in 100-Kilosäcken gefüllt, was mit einer manuell bedienten Anlage geschah. Die Säcke wurden ebenfalls per Hand zugenäht. Erst 1963 wurde eine Maschine für die Verpackung des Zuckers in Ein-Kilo-Tüten bei der deutschen Firma „Hessert“ bestellt.

Obwohl die Zuckerfabrik von den Auswirkungen der Wirtschaftskrise und der beiden Weltkriege verschont blieb, erlitt sie zwei Rückschläge durch die zwei heftigsten Erdbeben, die in Rumänien im vorigen Jahrhundert verzeichnet wurden: am 19. November 1940 und 4. März 1977 (Abb. 2 = Foto 5).

Nach jenen aus Sascut, Kreis Bacău, in der Moldau, Chitila bei Bukarest und Neumarkt am Mieresch (Târgu Mureș) ist die Zuckerfabrik Brenndorf die viertälteste in Rumänien. Beim steigenden Zuckerbedarf in der Nachkriegszeit bzw. nach der Nationalisierung (Juni 1948) stieg die Produktion zusehends und erreichte in der Kampagne 1961-1962 täglich 32 bis 33 Tonnen, was sich in der Geschichte der Fabrik nie mehr wiederholte. 1986 gab es in Rumänien insgesamt 35 Zuckerfabriken. Kurz nach 1990 blieben von den 35 Fabriken nur noch 20 erhalten, einige Jahre später waren es zehn, 2012 sechs und heute gibt es außer der Zuckerfabrik in Brenndorf nur noch drei: in Großwardein (Oradea), Roman (Kreis Neamț) und Luduș (Kreis Mieresch).

Die Produktion ist nach wie vor von der Dauer der Kampagne abhängig, so z.B. wurden in Brenndorf 1996 in zwei Monaten nur 9.000t Zucker produziert. 2013 waren es 229.000 Tonnen; heuer (2014) verspricht man sich aufgrund einer guten Zuckerrübenernte eine bis fünf Monate dauernde Kampagne, was sich auf die Zuckerproduktion besonders vorteilhaft auswirken dürfte.

Der Brenndorfer Industriebetrieb zeichnet sich durch eine konstante, ja sogar jährlich ansteigende Zuckerproduktion bester Qualität aus. In ihrer 125-jährigen Existenz kam sie nie zum Stillstand und war ein Vorbild für die Lebensmittelindustrie Rumäniens, auch in Zeiten wirtschaftlicher Engpässe. Nicht zuletzt sei erwähnt, dass die Besitzer und Direktoren der Zuckerfabrik von Anfang an stets bemüht waren, ihren Angestellten gute Lebensbedingungen zu schaffen, ihnen komfortable Wohnungen in der „Kolonie“ zur Verfügung zu stellen. Das repräsentativste Gebäude der Siedlung ist das Kasino.

Dr. Volker Wollmann

Schlagwörter: Burzenland, Brenndorf, Industrie

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