26. Juli 2017

Frauenverband im BdV erkundet sächsisches Leben in Siebenbürgen

Wer in Hermannstadt über den Großen oder Kleinen Ring schlendert, die Kirchenburg in Birthälm besucht oder in Schäßburg und Mediasch die Kirchen besichtigt, könnte meinen, alles sei so, wie es immer war, als die Siebenbürger Sachsen noch in der Mehrzahl hier lebten. Aber dem ist nicht so. Wie die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien (EKR) versucht, mit den neuen Gegebenheiten in der Diaspora fertig zu werden, konnten 42 Besucher aus Deutschland erfahren, die im Mai an einer sechstägigen Begegnungstagung teilnahmen.
Eingeladen hatte der Frauenverband im Bund der Vertriebenen (BdV). Frauenverbandspräsidentin Dr. Maria Werthan und Schatzmeisterin Rosemarie Schuran veranstalten jährlich eine Tagung in die früheren Vertreibungs- und Siedlungsgebieten deutscher Volksgruppen. Die Evangelische Akademie Siebenbürgen in Neppendorf bei Hermannstadt als Tagungszentrum war ein hervorragender Ort für eine derartige Veranstaltung und Akademieleiter Roger Pârvu ein unübertrefflicher Organisator und Begleiter.

Das dichtgedrängte Programm führte am ersten Tag zu einer Stadtbesichtigung in Hermannstadt, wo die Investitionen in die Kulturhauptstadt 2007 ein gepflegtes Stadtbild hinterließen, das sich auch international sehen lassen kann. Beim Empfang im Bürgermeisteramt, zu dem Bürgermeisterin Astrid Fodor eingeladen hatte, die jedoch verhindert war, sprach ihre Stellvertreterin Corina Bocor über die wirtschaftliche Entwicklung Hermannstadts seit dem Beitritt in die EU. Sie zeigte sich stolz, dass nach der Wahl von Klaus Johannis zum Präsidenten Rumäniens eine Deutsche Bürgermeisterin wurde. Dass sie als stellvertretende Bürgermeisterin und die Mehrheit im Stadtrat ebenfalls Vertreter des Forums seien, sei ein Beweis des Vertrauens der Gesamtbevölkerung in die deutsche Minderheit.
Stadtkirchenburg in Mediasch. Fotos: Waltraud ...
Stadtkirchenburg in Mediasch. Fotos: Waltraud Steiner
Architekt Dr. Hermann Fabini sprach über Erfolge und Hindernisse bei den Denkmalschutzarbeiten in Hermannstadt. Die Vorsitzende der Frauenarbeit der EKR, Dr. Sunhild Galter, gleichzeitig Lehrbeauftragte an der Universität Hermannstadt, gab einen Einblick in die Frauenarbeit. Nach anfänglichen pessimistischen Vorhersagen zum Bestand der evangelischen Gemeinschaft versuchten die Frauen, die Arbeit fortzuführen und bezogen alle evangelischen Gemeinden, auch die aus Bukarest, dem Banat und anderen Regionen Rumäniens, in ihren Kreis ein. Die Arbeit im sozialen, kulturellen und religiösen Bereich sei erfolgreich.

Mit seinem Vortrag über die 800-jährige Geschichte der Siebenbürger Sachsen im Karpatenbogen konnte Dr. Hermann Pitters, Dekan a. D. und Kirchenhistoriker, am zweiten Tag die Zuhörer begeistern. Um eine Einschätzung für die Zukunft befragt, wies er darauf hin, wie oft im Laufe der Jahrhunderte diese Gemeinschaft schon totgesagt wurde, und doch überlebte. In der einen oder anderen Weise werde das wahrscheinlich auch in Zukunft so sein. Über die Pressearbeit der deutschen Minderheit in der Gegenwart informierte Beatrice Ungar, Chefredakteurin der Hermannstädter Zeitung, einer politisch unabhängigen Wochenschrift, deren Redakteure viel Enthusiasmus und Idealismus aufbringen müssten, um sie am Leben zu erhalten.

Als einen Hort des Glaubens, der Bildung und Identitätsbewahrung stellte Gerhild Rudolf, Leiterin des Friedrich-Teutsch-Begegnungs- und Kulturzentrums der EKR, die protestantische Kirche in Siebenbürgen vor. Sie habe ihre jahrhundertealte Funktion beibehalten. Kontrovers diskutiert wurde der Vortrag von Dr. Iuliana Govoreanu über die Rolle der Frau in der orthodoxen Kirche. Die deutschen Teilnehmerinnen empfanden diese als absolut untergeordnet und dienend.

Pfarrerin Hildegard Servatius-Deppner berichtete im neu erbauten Gemeindehaus der Margarethekirche in Mediasch über die viertgrößte evangelische Kirchengemeinde in Rumänien. Zwei Pfarrerinnen und drei Pfarrer, die in Mediasch wohnen und wirken, betreuen auch das gesamte Dekanat mit etwa 40 Gemeinden als ein Team-Pfarramt. Geistliches Leben, aber auch soziale Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bilden die Pfeiler dieser Arbeit.

Auf dem Pfarrhof in Birthälm wurde ein landestypisches Mittagessen aufgetischt, bevor es zur Besichtigung der renovierten Kirchenburg ging. Die Bedeutung dieser Wehrburgen für das Weiterbestehen sächsischen Lebens in Siebenbürgen wurde deutlich, auch die strengen Gesetze des Zusammenlebens in Nachbarschaften und Gemeinden. Eine Stadtführung in Schäßburg mit seiner bekannten Bergkirche und das Treffen mit Pfarrer Bruno Fröhlich, der über die Bestrebungen und Herausforderungen der Ökumene in Rumänien sprach, rundete den Reisetag ab.
Evangelische Akademie in Neppendorf bei ...
Evangelische Akademie in Neppendorf bei Hermannstadt.
Am letzten Tag wurde die Kirche in Mühlbach besucht, eine der größten Kirchen Siebenbürgens. Pfarrer Alfred Dahinten referierte über den Bevölkerungswandel in Siebenbürgen und die sich daraus ergebenden Herausforderungen bei der Betreuung der oft alten Gläubigen und der Zusammenarbeit mit den anderen Kirchen vor Ort. In Karlsburg (Alba Iulia) sprach Pfarrer Gerhard Wagner über die Sozialarbeit in Rumänien. Die kleine Gemeinschaft von Gläubigen, die nach der Ausreisewelle noch zu betreuen ist, brachte ihn dazu, nach weiteren sozialen Aufgaben Ausschau zu halten. Der Zustand behinderter Kinder in Rumänien, der nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die halbe Welt beschäftigte, brachte ihn dazu, sich dieses Problems anzunehmen. Die Zustände hätten sich inzwischen in ganz Rumänien geändert, aber es bleibe noch genug zu tun. Im Sozialwerk der evangelischen Gemeinde Karlsburg werden behinderte Kinder und Jugendliche nach westlichen Standards betreut. Der Besuch der Festung von Karlsburg und der Krönungskirche der rumänischen Hohenzollern-Könige war ein Erlebnis. Die Begegnungsreise klang mit einem Wortgottesdienst mit Pfarrer Dietrich Galter in der Neppendorfer Kirche aus.

Waltraud Steiner

Schlagwörter: Reisebericht, Siebenbürgenfahrt

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