4. Juli 2018

Machtkampf in Rumänien zwischen Johannis und Dragnea

Bukarest – Staatspräsident Klaus Johannis hat am 23. Juni angekündigt, bei den Präsidentschaftswahlen im Herbst 2019 für eine zweite Amtszeit zu kandidieren. Die Ankündigung kommt für seine Anhänger zu einem wichtigen Zeitpunkt, steht Johannis für sie doch für die Verteidigung des Rechtsstaats und europäischer Werte. Vor allem aber ist es ein Zeitpunkt, an dem sich die Lage in Rumänien erneut zuspitzt: Der vorbestrafte PSD-Chef Liviu Dragnea will die Justiz zu seinen Gunsten umbauen, um seiner Haftstrafe zu entgehen.
Nach Dragneas Verurteilung am 21. Juni zu einer Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch – hinzu käme die auf Bewährung ausgesetzte zweijährige Haftstrafe aus dem Jahr 2016 wegen Wahlbetrug – zieht sich die Schlinge langsam zu. Dragnea hatte veranlasst, dass zwei Frauen bei der Behörde für Sozialhilfe und Kinderschutz im Kreis Teleorman angestellt würden, obwohl diese ausschließlich für die PSD tätig waren. In den über sechs Jahren entstand dem Staat dadurch ein Schaden von über 23000 Euro, berichtet die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien (ADZ). Gegen das Urteil kann allerdings noch Berufung eingelegt werden. Ermittelt wird außerdem seit Herbst 2017 gegen Dragnea wegen angeblicher Veruntreuung von EU-Geldern für den Straßenbau in Höhe von 21 Millionen Euro. Nachdem auch noch Oppositionsführer Ludovic Orban (Nationalliberale Partei / PNL) im Zusammenhang mit der umstrittenen Verlegung der rumänischen Botschaft nach Jerusalem Strafanzeige gegen Premierministerin Vasilica Viorica Dăncila und Liviu Dragnea erstattet hatte wegen Geheimnisverrats (Dragnea hatte den Inhalt eines geheimen Memorandums vor der Presse ausführlich ausgeplaudert), kündigte die Antimafiastaatsanwaltschaft DIICOT die Aufnahme von Ermittlungen an. Dragnea drohte daraufhin offen: Wenn auch nur einer der Staatsanwälte Ermittlungen aufnähme, werde er „schwer dafür bezahlen“, berichtet die ADZ.

Indessen arbeitet die sozialliberale Koalition aus PSD und ALDE unvermindert und mit Nachdruck an weiteren Strafrechtsänderungen, die die Korruptionsbekämpfung zu schwächen drohen. Wer ihnen dabei als einziges Hindernis entgegensteht, ist Präsident Klaus Johannis. So wurde mehrfach mit einem Amtsenthebungsverfahren gegen Johannis gedroht, weil dieser die Leiterin der Antikorruptionsbehörde DNA, Laura Codruța Kövesi, trotz entsprechenden Urteils des (PSD-nahen) Verfassungsgerichts im Mai noch immer nicht entlassen hat. Dieses Verfahren soll nun angeblich in Kürze eingeleitet werden. Die umstrittenen Gesetzesänderungen soll danach Senatspräsident und ALDE-Vorsitzender Călin Popescu-Tăriceanu als kommissarischer Interimspräsident absegnen. Stimmen aus der PNL und der bürgerlichen USR (Union zur Rettung Rumäniens) bezeichnen diesen Plan als „Putschversuch“ und bezichtigen Dragnea, soziale Unruhen rücksichtslos in Kauf zu nehmen. Durch die Umsetzung des Urteils des Verfassungsgerichts bekäme die Regierung, wie in Folge 10 dieser Zeitung vom 20. Juni 2018 auf Seite 2 berichtet, nahezu uneingeschränkten Zugriff auf die Justiz und damit die Möglichkeit, Korruptionsvergehen ihrer Mitglieder unter den Tisch fallen zu lassen. Johannis begründete die Verzögerung der Entlassung der DNA-Chefin mit der erst Mitte Juni veröffentlichten, über hundertseitigen Urteilsbegründung, die er erst eingehend prüfen müsse.
Klaus Johannis gibt eine Pressekonferenz. Foto: ...
Klaus Johannis gibt eine Pressekonferenz. Foto: www.presidency.ro
Wie dreist die Gesetzesänderungen auf den Fall Dragnea zugeschnitten sind, zeigt eine der noch vor dem Urteil am 21. Juni erfolgten Änderungen in der Strafprozessordnung, wie die Süddeutsche Zeitung herausstreicht: Sie legt fest, dass Prozesse, in denen nicht alle Richter das Urteil unterschrieben haben, neu aufgerollt werden müssen. Dies käme Dragnea im Fall des Urteils vom April 2016 zugute, da ein Richter, der in Rente ging, dieses nicht mehr unterzeichnet hatte.

Im Hinblick auf in Kürze geplante weitere Strafrechtsänderungen ermahnte die US-Botschaft in einer öffentlichen Stellungnahme, unterzeichnet von elf weiteren Staaten (Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Schweiz, Belgien, Dänemark, Finnland, Schweden, Luxemburg, Norwegen und Kanada) die rumänische Regierung eindringlich, die GRECO Staatengruppe gegen Korruption und die Venedig-Kommission (Europäische Kommission für Demokratie durch Recht) zu konsultieren, um die Möglichkeiten der internationalen Zusammenarbeit in der Bekämpfung von Organisierter Kriminalität und damit verbundenen Delikten nicht zu gefährden, wie die ADZ vom 30. Juni berichtet. Kommentar aus der PSD: Rumänien sei keine Kolonie der Vereinigten Staaten.

Nach dem jüngsten Urteil gegen Dragnea und der Behauptung seiner Parteikollegen, einschließlich Dăncila, er sei als unschuldig zu betrachten, bis ein endgültiges Urteil gefällt sei, versammelten sich erneut tausende Demonstranten vor dem Regierungssitz. „Wir wollen keine Nation von Dieben sein“, lautete einer ihrer Slogans.

Die Süddeutsche Zeitung kritisierte das Erschwächen der Zivilgesellschaft („Gewiss, einige Zehntausend Menschen demonstrieren in Bukarest und anderen Städten gegen die Gesetzesänderungen“, jedoch: „Von jener halben Million Menschen aber, die Anfang 2017 auf den Straßen waren, ist der rumänische Protest weit entfernt.“

Indessen beklagt der deutsche Journalist Paul Arne Wagner, der auf einer Demonstration seiner eigenen Darstellung zufolge grundlos festgenommen und schikaniert wurde, gegenüber der Tageszeitung (taz), die Taktik der Polizei sei in den vergangenen Monaten zunehmend aggressiver geworden. Der Journalist berichtet bereits seit Längerem aus Bukarest von den Demonstrationen. Möglich, dass seine Festnahme kein Zufall war: Paul Arne Wagner hatte vor Kurzem den Dokumentarfilm „Hier haben wir nichts außer Dragnea“ („Aici nu-l avem decât pe Dragnea“) über die Machenschaften des PSD-Chefs und seiner Parteikumpanen in Teleorman und deren millionenschweren Besitz gedreht, der mehrfach auf Realitatea TV ausgestrahlt und ins Internet gestellt wurde (https://www.youtube.com/watch?v=7ezjeIXH5i8).

Nina May

Schlagwörter: Rumänien, Politik, Johannis, Dragnea, Präsident, Wahlen, Justiz

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