8. Januar 2020

30 Jahre danach: "Freiheit in Kinderschuhen"

Das Deutsche Kulturzentrum Jassy (Iași) hat den Zeitzeugenfilm „Freiheit in Kinderschuhen“ mit anschließender Diskussion am 17. Dezember 2019 in der moldauischen Universitätsstadt gezeigt. Dr. Alexander Rubel, Direktor des Kulturzentrums, hatte die Mitarbeiter des Projektes „Freiheit in Kinderschuhen“ vorletztes Jahr beim DocEST-Filmfestival kennengerlernt und sie zu einer von ihm moderierten Veranstaltung eingeladen. Rubel wurde in Kaiserlautern geboren und lebt seit 2001 in Rumänien, wohin er über den DAAD gekommen ist. Uwe Pelger berichtet.
Für Rumänien war die Woche um Weihnachten 2019 besonders geschichtsträchtig: Vor genau 30 Jahren waren in Temeswar, Jassy, Bukarest, Hermannstadt und vielen anderen Städten Bürgerproteste ausgebrochen, die zum Sturz des Diktators Ceaușescu geführt hatten. Ich war damals noch im Lyzeum und erfuhr über den Radiosender „Europa Liberă“ was durchsickerte. Als der Diktator floh, wurde die sogenannte Revolution live im Rumänischen Fernsehen übertragen.

Jahrzehnte später traf ich den Reutlinger Filmemacher Joachim Stall und wir beschlossen, einen Zeitzeugenfilm zu drehen. Dieses schien ein guter Weg zu sein, um mit Jugendlichen über den Wert der Freiheit in Dialog zu treten. Joe Stall hatte Siebenbürgen zuvor noch nie besucht, durch die filmischen Aktivitäten war er dann oft in Rumänien unterwegs.
Protagonisten der Filmveranstaltung in Jassy, von ...
Protagonisten der Filmveranstaltung in Jassy, von links: Dr. Alexander Rubel, Ute Martini, Madalina Spinaru und Uwe Pelger. Foto: Deutsches Kulturzentrum
Mit dem Dokumentarfilm „Freiheit in Kinderschuhen“ wollen wir auf emotionaler Ebene vermitteln, dass sich Unfreiheit für alle Menschen gleich anfühlte, sei es in der DDR oder in Rumänien. Auslandsreisen, Meinungsfreiheit oder persönliche Entfaltung sind Werte, die wir auch heute achtsam pflegen und nicht als selbstverständlich ansehen sollten. Diese Themen diskutierten wir nach dem Film mit dem Publikum in Jassy, einen Monat zuvor hatten wir das auch in Ludwigsburg getan (diese Zeitung berichtete). Oft dreht sich vieles dann um die Kernfrage „Warum seid ihr weg?“

Bei den Veranstaltungen war auch Ute Martini dabei, die schon im Alter von 13 Jahren in die Bundesrepublik Deutschland ausgesiedelt war, weil ihre Eltern das so beschlossen hatten. Aus meiner Sicht gehörte sie zu den „Glücklichen“, denen die Ausreisepapiere genehmigt wurden. Aber sie erlebte die plötzliche Ausreise ganz anders. Wir saßen in einer Schulbank und quasi über Nacht zog sie einfach weg aus der Heimat, wo sie sich geborgen gefühlt hatte. Über die Jahre reisten weitere Schulkameraden in den Westen aus, und einige habe ich seither nicht mehr wiedergesehen.

Bei mir war es anders: Erst nach dem Sturz des Diktators konnte ich endlich in den Westen ziehen. Ich war gerade 18 Jahre alt und sah in Rumänien keine Perspektive. Auch hatte ich kein Vertrauen, dass die Grenzen dauerhaft geöffnet bleiben. Und so erging es den meisten meiner Schulkameraden, als der Exodus 1990 einsetzte.
Nach der Filmvorführung fand eine ...
Nach der Filmvorführung fand eine Podiumsdiskussion in Jassy statt. Foto: Deutsches Kulturzentrum Jassy
Die Teilnehmer der Filmveranstaltung des Deutschen Kulturzentrums in Jassy fragten bei der Podiumsdiskussion z.B. „Wie denkt ihr, wäre euer Leben verlaufen, wenn ihr in Rumänien geblieben wärt?“ Darüber kann man natürlich nur mutmaßen, denn jeder traf für sich eine sehr persönliche Entscheidung. Eine weitere Frage aus der Reihe der Zuschauer war: „Würdet ihr wieder nach Rumänien zurückkehren?“ Das ist aus meiner Sicht ebenfalls eine sehr individuelle Entscheidung, welche von den privaten und beruflichen Lebensumständen abhängt. Kategorisch ausschließen würde ich das nicht.

Wenn Sie mehr über die Dokumentarfilme von Joachim Stall erfahren und den „Freiheit in Kinderschuhen e.V.“ unterstützen möchten, besuchen Sie uns auf www.finkev.de. An dieser Stelle möchte ich allen Vereinsmitgliedern und Förderern bedanken, die unsere Aktivitäten überhaupt möglich machen. Ein herzliches Dankeschön an Kulturreferentin Madalina Spinaru für die perfekte Organisation der Filmveranstaltung in Jassy, Radu Ghilaș von Radio Iasi für die Synchronisation sowie Francisca Solomon für die Übersetzung und Adaption.

Uwe Pelger

Schlagwörter: Mauerfall, Osteuropa, Ludwigsburg, Jassy, Freiheit

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