29. April 2020

Begehrte Erntehelfer in Deutschland

Bukarest – Die Diskussionen entzündeten sich in Rumänien, als die Bilder von rund 1800 auf ihren Abflug wartenden Erntehelfern am Flughafen von Klausenburg am 9. April über den Bildschirm flimmerten. Denn seit Mitte März gilt der Ausnahmezustand im Land, Polizei und Militär überwachen eine strenge Ausgangssperre. Jeder Verstoß wird mit empfindlichen Strafen geahndet. Am Flughafen hingegen gab es keinerlei soziale Distanzierung, kein Screening auf mögliche Infizierte. Einige hatten sogar ihre Quarantänequartiere illegal verlassen, nur um nach Deutschland zu gelangen. In überfüllten Bussen zusammengepfercht, erreichten sie aus allen Teilen des Landes den Flughafen. Acht Stunden Warten im Gedränge, dann vollbesetzte Flugzeuge, denn die einladenden Unternehmer mussten die Charterflüge bezahlen. In Deutschland erfolgte der Abtransport in vollen Bussen. Es bestand ein großes Risiko angesichts der Pandemie, nur damit die Deutschen wie jedes Jahr möglichst billigen Spargel genießen können.
Positiv ist: Nie zuvor beobachteten Presse und Behörden die Bedingungen der rumänischen „Arbeitssöldner“ so interessiert wie jetzt. Werden die Auflagen für die „Arbeit unter Quarantäne“ mit auf 20 Mann reduzierten Mannschaften oder bezüglich der Unterbringung – nur jedes zweite Bett darf belegt werden – eingehalten?

Ein erster rumänischer Arbeiter ist am 11. April in Bad Krozingen (Baden-Württemberg) an Covid-19 gestorben. Er war schon am 20. März eingereist und hatte sich wohl in Deutschland angesteckt. Moralische Fragen zur Arbeitsausbeutung werden in der Presse aufgeworfen. Kritisiert wird auch unlautere Konkurrenz, denn andere Gemüsebauern müssen ohne billige Erntehelfer aus Osteuropa auskommen. In Rumänien ermittelt nun die Staatsanwaltschaft wegen Verstoßes gegen das Seuchengesetz. Premierminister Ludovic Orban forderte die Entlassung des Flughafenleiters, der versäumt hatte, die Behörden auf den erwarteten Andrang vorzubereiten.

Die Vorgeschichte: Das deutsche Bundesinnenministerium hatte zunächst ein Einreiseverbot für die jährlich rund 300000 Saisonarbeiter, die meisten aus Rumänien, verhängt. Dagegen kämpften jedoch die EU-Kommission, Ernährungsministerin Julia Klöckner und die deutsche Agrarbranche. Daraufhin gestattete das Innenministerium die Einreise von insgesamt 80000 Saisonkräften im April und Mai. Am 4. April verkündete der rumänische Innenminister Marcel Vela, Saisonarbeiter dürften nun trotz der Corona-Krise mit Sonderflügen ausreisen. Als skandalös kritisierte der agrarpolitische Sprecher der Grünen, Friedrich Ostendorff, die Umsetzung der Transporte. Bei der Zahl der Menschen sei es sehr wahrscheinlich, dass manche infiziert waren. Die Grünen fordern einen Stopp der „Spargelstecher-Luftbrücke“.

Saisonarbeiter können in Deutschland in zwei Monaten angeblich zwischen 3000 und 5000 Euro netto verdienen – dies entspricht dem Netto-Jahresgehalt vieler Arbeiter in Rumänien. Wegen der Corona-Krise haben viele Rumänen zuhause ihren Arbeitsplatz verloren oder können ihre landwirtschaftlichen Produkte nicht absetzen, so nehmen sie das Risiko in Kauf. Doch viele sagten aus Angst auch in letzter Minute ab. Ein Teil der Ernte in Deutschland wird wohl liegenbleiben, weil weniger Arbeiter als erwartet angereist sind. Aus der Not der rumänischen Erntehelfer schlagen unseriöse Vermittler Profit. Nicht selten werden die Pässe der Arbeiter konfisziert und unmäßig hohe Gebühren für Unterkunft und Verpflegung vom Lohn abgezogen.

NM

Schlagwörter: Rumänien, Erntehelfer, Corona, Politik, deutsch-rumänische Beziehungen

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