30. Juli 2003

Kennst du das Land...?

Eine Studienreise nach Siebenbürgen unter kundiger Führung des Historikers Dr. Michael Kroner – damit liebäugelte ich schon lange. Siebenbürgen mit den Augen eines Touristen zu sehen – so weit es meine Befangenheit als Kronstädterin erlaubt -, ein aktuelles Bild von Land und Leuten zu bekommen, historische und vor allem kunsthistorische Kenntnisse aufzufrischen -, das waren meine Beweggründe zu dieser Studienreise, die vom 7. bis 21. Juni 2003 nach Rumänien führte.
Im Reisebus, mit 47 Personen an Bord, mit der Aussicht über lange Strecken im Bus festgenagelt zu sein, fast jede Nacht in einem anderen Hotel zu verbringen und viel Verwandtschaft im Gepäck. - Konnte das gut gehen? - Es ging gut. Sogar sehr gut.

Nach dem Einsammeln der Reisenden und dem Erkunden gemeinsamer Freunde und Bekannter fuhren wir über Wien und Budapest nach Großwardein mit seinen wunderschönen Jugendstilhäusern im Stadtzentrum, wo eine rumänische Reiseleiterin Violeta Anghel hinzustieg, die uns bis zum Ende unserer Reise mit aktuellen Informationen versorgte und anfallende administrative Probleme mit Geschick löste. Über den Kaisersteig führte die Reise nach Klausenburg und schon in diesem Abschnitt zeigte sich bei den Teilnehmern die Skala der Gefühlswelten von oben nach unten offen: einerseits beglückend die unverändert schöne Landschaft, andererseits bedrückend die politische Tristesse und ökonomische Lethargie; diese Gefühle wurden zu ständigen Begleitern.

Nach einem Stadtrundgang in Klausenburg, das unverändert das Bild einer lebendigen Universitätsstadt bot, ging‘s weiter nach Bistritz und Mönchsdorf, vorbei an Dörfern, in denen Männer ihre Lebenszeit und ihren Verstand in einem „Magazin Mixt“ versaufen, in denen Störche ihre Nester bauen und einige Zigeuner grotesk-kitschige „Paläste“ (Huedin ist ein Beispiel dafür). Mönchsdorf ist noch immer einen Abstecher wert: Der archaisch wirkende romanische Bau der Kirche auf einer Anhöhe, früher steingrau und vom Verfall gezeichnet, zeigt sich heute renoviert und wirft eine Frage auf, die wir uns im Verlauf der Reise immer wieder stellen: Ist es sinnvoll eine Kirche, für die keine Gemeinde mehr da ist zu renovieren? Soll man eine Kultur, die nicht mehr lebt, dem Verfall preisgeben?

Ein Tag der Reise war dem Besuch der Moldau-Klöster Voronet, Moldovita und Sucevita mit ihren Außenmalereien gewidmet. Während wir den Norden des Landes verließen und Richtung Donaudelta fuhren, war Zeit, die ersten Bilder der Reise zu verarbeiten, ein Picknick mit frisch vom Markt gekauften Köstlichkeiten und dem obligaten Schnaps zu genießen und sich an die noch höheren südlichen Temperaturen des heißen Sommers zu gewöhnen.

Durch die hügelige, niederschlagsarme und doch grüne Dobrudscha fuhren wir Richtung Donaudelta, der weit verzweigten Sumpf- und Wasserlandschaft, in der die letzten Pelikane Europas brüten und 300 Vogelarten nisten. Erstaunt lese ich, dass nur 20 Prozent der Fläche fester Boden, der Rest Wasser, Schilf und schwimmende Inseln sind. Kein Wunder, dass sich die Landschaft durch Verschwemmungen und Winderosion ständig verändert. Bei Herodot soll die Donau sieben Mündungsarme gehabt haben! Von Tulcea, dem idealen Ausgangspunkt für Ausflüge ins Donaudelta, fuhren wir mit dem Schiff durch ruhige Seitenkanäle (Übernachtung in Uzlina) und auf dem Sfantu-Gheorghe-KanaI bis zur Mündung der Donau ins Schwarze Meer. Pelikane, Reiher, Kormorane, Wasserschildkröten und viele, viele Frösche grüßten aus der Wasserlandschaft. Krönender Abschluss des Ausflugs Ins Donaudelta: ein Bad im Schwarzen Meer.

Über Braila und den Buzau-Pass wendeten wir uns Siebenbürgen und damit auch der Besichtigung vieler Kirchenburgen und Stadtpfarrkirchen zu. Mit Siebenbürgen erreichten wir ein Ziel, das unsere Stimmung nachdenklicher werden ließ: sahen doch viele voller Spannung dem Wiedersehen mit Orten entgegen, in denen sie viele Jahre ihres Lebens verbracht hatten.

Die Kirchenburg von Tartlau, als östlichste der siebenbürgisch-sächsischen Siedlungen mit der stärksten Ringmauer unter den sächsischen Kirchenburgen ausgestattet, imponiert noch immer mit begehbarem Wehrgang, den Schießscharten und Gusslöchern, den 270 Vorrats- und Wohnkammern.

Kronstadt war unsere nächste Station mit Besichtigungsrundgang in der Innenstadt, einer Fahrt mit der Drahtseilbahn auf die Zinne, den Hausberg der Stadt, und Gottesdienstbesuch in der Schwarzen Kirche. Eine Stadt, die man trotz baulicher Veränderungen wiedererkennt, und die zu meiner Verwunderung wunderschöne Häuserfassaden hat, - ein Tatbestand, der mir nicht bewusst war, solange ich 18 Jahre in dieser Stadt lebte.

Von Kronstadt durch den Geisterwald, ein Wald, dessen Dichtheit man von der Straße nur erahnen kann, führte uns der Weg nach Hamruden, wo uns der Küster nicht ohne Ironie die Bezeichnung „Sommersachsen“ verpasste, weiter nach Keisd und Schäßburg, dem mittelalterlichen Städtchen mit Stundturm, der Bergkirche und -schule.

Zu den eindrucksvollsten Bildern der Reise gehörte für mich die Kirchenburg von Birthälm (obwohl schon oft gesehen), auf einem Burghügel mitten im Dorf ruhend, zumal die spätgotische Kirche mit dem Netzgewölbe und dem Flügelaltar unter dem Schutz von UNESCO steht und bestens erhalten ist.

Neben dem Besuch der Mediascher Stadtpfarrkirche mit ihrem eindrucksvollen Altar, dem Besuch des Stephan-Ludwig-Roth-Gedenkhauses in Begleitung des Kenners Kroner, der Stadtpfarrkriche von Mühlbach mit ihren einmalig schönen Proportionen des Raumes und dem Schreinflügelaltar, der Veit Stoß dem Jüngeren zugeschrieben wird, waren die Kirchenburgen von Wurmloch, Großau (hier eine Pestkanzel im Vorbau des Pfarrhauses) und Reußmarkt weitere Stationen auf der Reise. Nicht zu vergessen das Wiedersehen mit Hermannstadt, das sich beim Stadtrundgang als relativ gut erhalten erwies, mit Besuch des Brukenthal-Museums, der Stadtpfarrkirche und einem sehr lebendigen Stadtbild.

Über Deva und Arad ging‘s nach Budapest, die Lichter-Stadtrundfahrt am Abend war ein würdiger und schöner Abschluss der Reise.

Mein Fazit: Eine Studienreise nach Siebenbürgen lohnt sich! In angenehmer Gesellschaft haben wir sehr viel gesehen, dank der ortskundigen Reiseleiterin und dem Wissen Herrn Dr. Kroners erreichten wir alle geplanten Sehenswürdigkeiten. Mein Eindruck von Siebenbürgen? Es geht mit dem Land zwar nicht sichtbar aufwärts, es ist aber nach wie vor wunderschön, ein Land, in das man mit einigen Vorsichtsmaßnahmen reisen kann, in dem man Urlaub machen kann, sich erholen kann, in dem man auf bestens ausgestattete Hotels und gutes Essen trifft. Die Straßen sind in erstaunlich gutem Zustand.

Ich werde in den nächsten Tagen Herrn Dr. Kroner anrufen. Möchte Freunde und mich für seine mögliche nächste Studienreise nach Siebenbürgen anmelden.

Anita Meschendörfer


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 12 vom 31. Juli 2003, Seite 4)

Schlagwörter: Reisebericht

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