2. April 2025

Bildungsreise der Abiturienten des Honterus-Gymnasiums 1905 nach Italien

Kürzlich war bei einer Bücherspende an die Siebenbürgische Bibliothek auf Schloss Horneck in Gundelsheim ein schmales Heftchen dabei, das im Bibliotheksbestand noch fehlte: „Italienische Reisebriefe“ von Professor Friedrich Lexen, 1905 bei Wilhelm Hiemesch in Kronstadt erschienen, und vom Verfasser handschriftlich seinem Kollegen Adolf Meschendörfer gewidmet. Der Zusatz zum Titel „Zur Erinnerung an die diesjährige Schulreise der Abiturienten des Honterusgymnasiums“ weckte prompt das Interesse der ehemaligen Honterus-Lyzeum-Absolventin, zumal man in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts mit den Zwölftklässlern höchstens ins Donaudelta gefahren war!
Ende des neunzehnten Jahrhunderts jedoch hatten die Pädagogen des Honterus-Gymnasiums in Kronstadt wohl beschlossen, ihren Schülern humanistische Bildung nicht nur in Form „grauer Theorie“, sondern auch praktisch, etwa durch Reisen in fremde Gefilde, zu vermitteln. So wurden, laut Lexen, mit dem jeweiligen Abiturientenjahrgang Reisen beispielsweise nach Italien, Griechenland, Jerusalem und Ägypten unternommen.

Im „Programm des Honterus-Gymnasiums und der damit verbundenen Lehranstalten am Schlusse des Schuljahres 1905/1906“ findet sich dazu ein Beitrag von Friedrich Wilhelm Seraphin „Über Schulreisen in großem Stil“. Darin geht es um den Bildungswert der Schulreisen, die mit den unteren Klassen erst in der näheren Umgebung der Stadt, und später, mit den Abiturienten, zur „Ergänzung und Vertiefung des schulmäßigen Unterrichts“ in weiterer Ferne stattfinden sollten. Die erste Reise dieser Art wurde, laut Seraphin, 1891 unternommen und hatte entlang der Route „Bukarest – Brăila – Galatz – Cernavodă - Constanza“ das Schwarze Meer zum Ziel. Auch die Reiserouten der darauffolgenden Jahre werden genau beschrieben und sogar auf die Finanzfrage wird in dem Beitrag eingegangen mit konkreten Angaben. So kostete die Teilnahme jeden Schüler durchschnittlich 210 bis 320 Kronen, was heute einer Kaufkraft von etwa 2400 bis 3000 Euro entspricht. Die Reisekasse wurde, was auch Lexen in seinem Bericht bestätigt, durch Schulaufführungen und Konzerte aufgefüllt, sodass der verbleibende Kostenbeitrag der Abiturienten wesentlich geringer ausfiel, denn, so Seraphin: „Unsere Schüler sind meist arm, manche sogar sehr arm!“
Titelblatt „Italienische Reisebriefe“, 1905. ...
Titelblatt „Italienische Reisebriefe“, 1905. Foto: Hanne Schnabel
Den Reisebericht der Italien-Fahrt von 1905, der elften Abiturientenfahrt, verdankt die Nachwelt der Frau von Professor Lexen, die ihren Gatten um ausführliche Briefe gebeten hatte. Der Reiseplan war, laut Verfasser, schon vorab genau ausgearbeitet worden und die Fahrten mit Zug und Schiff waren, ebenso die Übernachtungen, im Voraus gebucht. Aus Kronstadt ging es am 6. Juli mit der Bahn erst nach Budapest, wo es den ersten kurzen Aufenthalt gab und die siebenbürgische Gruppe einiges Aufsehen erregt haben muss: „Interessant war unser Gang durch die Straßen Budapests nicht nur für uns und unsere Schüler, sondern auch für die Budapester selbst, die uns wie Kleinstädter mit neugierigen Blicken verfolgten, und nicht recht wussten, was und wer wir waren. Die einen hielten uns für Engländer, die anderen für Buren, wieder andere für Russen und es mag wohl manchem dieser Neugierigen als etwas Selbstverständliches erschienen sein, dass wir ein kleiner Teil flüchtig gewordener russischer Matrosen seien.“ (S. 4)
Titelblatt „Italienische Reisebriefe“, 1905. ...
Titelblatt „Italienische Reisebriefe“, 1905. Foto: Hanne Schnabel
Weiter ging die Reise nach „Fiume“ (dem heutigen Rijeka in Kroatien), das nach 1867, also nach der Umwandlung des Österreichischen Kaiserreichs in die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn, der einzige Hafen Ungarns war. Dort besuchte die Gruppe die größte und bedeutendste Tabakfabrik Ungarns. Mit dem Schiff ging es nach Abbazia (heute Opatija) und weiter nach Ancona. Dabei sollen einige der Kronstädter, die es nicht gewohnt waren, auf dem Wasser zu reisen, von Seekrankheit geplagt worden sein. Nach Rom wurde dann mit dem Zug gefahren und die Bildungsreisenden besichtigten die klassischen Sehenswürdigkeiten der „Ewigen Stadt“ wie den Petersdom, die Sixtinische Kapelle, die Caracalla-Thermen. Der Bericht liest sich stellenweise wie ein Reiseführer, Professor Lexen muss sich sehr gut auf die Reise vorbereitet haben: „Das achteckige Baptisterium ist die älteste Taufkapelle Roms, sie stammt aus der Mitte des fünften Jahrhunderts. Gegenüber Nordostecke des Lateranpalastes steht das Gebäude der ,Scala Santa‘, der heiligen Treppe […]“ (S. 26). Auch die Umgebung Roms wurde erkundet, die Villa des Hadrian, dessen Grabmal in Tivoli, und die Villa Borghese. Übernachtet wurde im Hotel Ligurie Vallini. Die nächste Station auf der Reise war Neapel. Lexen schreibt begeistert: „Wir sind jetzt angelangt in dem glücklichsten Teil Italiens, wo die Zitronen blühn und im dunklen Laub die Orangen glühn [...] (Die Stadt Neapel; d. Verf.) steht in bezaubernder Pracht da, mit ihren sonderbar gebauten Häusern mit fast horizontalen Dächern, großen Fenstern und unzähligen Balkonen. Und vor uns erstreckte sich weit hinaus das prächtige Meer, im Hintergrunde der Vesuv und rechts davon die vielfach gerühmte Insel Capri.“ (S. 32) Auch die Besteigung des Vesuvs wird beschrieben sowie „zwei der schönsten Tage“ auf Capri. Die Stadt Pompeji, die der Vesuv im Jahre 79 n. Ch. mit Lava und Asche begrub, bezeichnet Lexen nach der Besichtigung als „würdiges Denkmal weit fortgeschrittener Kultur“. Weitere Eindrücke wurden dann in der „italienischen Schweiz“ gesammelt, wo das Städtchen Amalfi, der südlichste Punkt der Reise, besucht und die Kathedrale S. Andrea besichtigt wurden. Nach einem letzten Aufenthalt in Neapel, wo zum Abschluss die Schätze des „Museo Nationale“ bewundert werden konnten und einige aus der Gruppe angeblich auch Erfahrungen mit Taschendieben und Betrügern machen mussten, ging es dann nach knapp drei Wochen am 26. Juli zurück in die Heimatstadt. Am Schluss seines Berichts erwähnt Lexen auch die Begleitpersonen: drei (weitere) Gymnasiallehrer sowie eine Lehrergattin, die Eltern eines Abiturienten und zwei Schwägerinnen des Rektors. Abschließend bringt der Verfasser seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die Schüler auch künftig „mit frischem Mute hinausziehen in die weite Welt, und an Erfahrung gereift, an Wissen bereichert, im Charakter gefestigt und im Gemüt veredelt“ in die Heimat zurückkehren.
Roma Hotel Liguria Vallini, 1923, alte ...
Roma Hotel Liguria Vallini, 1923, alte Ansichtskarte
Die „Reisebriefe“ und das „Schulprogramm“ sowie viele weitere Schulprogramme der verschiedenen Bildungseinrichtungen der Siebenbürger Sachsen, die neben den Schulnachrichten wertvolle Berichte, naturwissenschaftliche Studien und kulturwissenschaftliche Aufsätze enthalten, können jederzeit während der Öffnungszeit im Lesesaal der Siebenbürgischen Bibliothek in Gundelsheim am Neckar eingesehen werden. Ebenso der 1884 als Separatabdruck aus der Kronstädter Zeitung erschienene Bericht „Durch Italien. Reisebriefe eines Kronstädters“ von J. Reichart, der ebenfalls Rom und Neapel bereist hatte. Kontakt: Telefon: (0 62 69) 4 21 50 oder E-Mail: bibliothek[ät]siebenbuergen-institut.de

Hanne Schnabel

Schlagwörter: Siebenbürgische Bibliothek, Honterusschule, Reisebericht

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