8. Februar 2025

Zwei Gießhübel – weit voneinander entfernt und doch vergleichbar

Gießhübel – Siebenbürger denken bei diesem Ortsnamen an das kleine Dorf, das nördlich von Großpold liegt und nun ein Ortsteil von Ludos ist. Dieser Ortsname kommt nun aber im deutschen Sprachraum recht häufig vor, besonders in bergigen Regionen finden wir „die Gießhübel“.
Gießhübel im Sudentenland: Blick vom Rathausplatz ...
Gießhübel im Sudentenland: Blick vom Rathausplatz auf die Pfarrkirche. Fotos: Dietmar Schmidtmann
Der bekannteste Ort mit diesem Namen dürfte wohl Berggießhübel südlich von Dresden im Erzgebirge sein. Eines dieser Dörfer liegt im Adlergebirge, ein Teil des Sudentenlandes. Der Ort ist heute ein Grenzort und liegt direkt an der polnisch-tschechischen Grenze, sein offizieller Name ist nun tschechisch: Olešnice v Orlických horách. Wer vom siebenbürgischen und sudetendeutschen Gießhübel weiß, ist erstaunt, welche Parallelen sich zeigen. Auf einige möchte ich hier hinweisen: Harmonisch wirken diese zwei Dörfer, wenn man die Gassen hinauf und hinunter geht, denn die regionale Bauweise der Häuser gibt den beiden Orten eine Strahlkraft. Die Häuser und Höfe sind nicht Einzelwerke, sondern bilden eine Zusammengehörigkeit. Freilich ist die Bauweise im Adlergebirge schon deutlich anders als in Siebenbürgen. Prägend für beide Orte der Bevölkerungsabbruch. Vor über 70 Jahren waren beide deutschsprachig geprägt, und beide hatten dazu ihren typischen Dialekt. Der Dialekt in Gießhübel/Adlergebirge war schlesisch geprägt, als wollte der Ort zur anderen Seite der Grenze gehören! In beiden Orten gibt es diese Dialekte nicht mehr. Die Menschen dazu leben nun anderenorts, sie wurden vertrieben, deportiert, die Enteignungen gaben keinem mehr das Gefühl, dort heimisch zu sein. Wurden nach dem Kriege die Siebenbürger in die Sowjetunion deportiert, so wurden die im Adlergebirge aus ihren Häusern herausgetrieben. An etlichen Bewohnern wurde Lynchjustiz von tschechischen Soldaten ausgeübt. Der katholische Pfarrer von Gießhübel wurde wie ein Stück Vieh durchs Dorf getrieben und wenige Tage danach von einem Soldaten erschossen und im Wald verscharrt. Neue Siedler wurden nun vom kommunistischen Regime hierhergebracht, doch diese blieben nicht lange, so blieben viele Häuser leer stehen und nahmen Schaden. Erst seit etwa 30 bis 40 Jahren kamen neue Nutzer, die viele Häuser als Ferienhäuser nun nutzen. Es gibt aber keine kulturellen Nachwirkungen mehr.

Aufgang zur Kirche in Olešnice; der Ort hat nur ...
Aufgang zur Kirche in Olešnice; der Ort hat nur diese katholische Kirche.
Heute ist Olešnice zwar weiterhin eine Stadt, doch es wohnen dort weniger als 500 Menschen. Wie die „alte“ Bevölkerung das Leben im Ort organisierte, wie die Dorf- und Familienfeste gestaltet wurden, wie Weihnachten und die kirchlichen Prozessionen abliefen, welche Vereine Geselligkeiten gaben … all das ist verschwunden. Niemand ist mehr da, der davon berichten könnte. Es gibt keine Erzählgemeinschaft vom alten Gießhübel zum jetzigen Olešnice.

Das Dorf Bärnwald, etwas südöstlich von diesem Gießhübel entfernt, macht diesen Abbruch noch deutlicher: 40 Jahre gab es dort kein neugeborenes Kind! Es fehlen da also zwei Generationen! Selbst die Häuser wurden stumm! Die Ähnlichkeiten zum siebenbürgischen Gießhübel können wir Leser gut erkennen. Das siebenbürgi-sche Gießhübel ist eben heute Gusu. Auch hierhinter steckt ein umfangreicher Wechsel. In beiden Orten ist im Alltag von einer Zweisprachigkeit nichts mehr zu entdecken. Nur die Friedhöfe mit ihren Grabsteinen und auch die Wegekreuze (Bildstöcke) tragen deutsche Aufschriften. Auch der Verfall von Häusern ist im siebenbürgischen Gießhübel belegt, man denke da an das vormalige Pfarrhaus.
Bauernhaus (renoviert) ...
Bauernhaus (renoviert)
Beide Orte kannten zweigeteilte Schulen; erst spät, nach dem Ersten Weltkrieg, erhielt das tschechische Gießhübel eine tschechische Abteilung. Die Schulen haben mit ihren Inhalten auch die Nationalitätendifferenz geprägt, zuvor wurden die Trennungen im Alltag nicht spürbar.

Gedenkstein für Pfarrer Weber, direkt an der ...
Gedenkstein für Pfarrer Weber, direkt an der Kirchenmauer, links von der Eingangstür.
Beide Orte hatten je ihre Trachten, die besonders zum Kirchgang gehörten. Geht man im tschechischen Gießhübel zur Kirche, muss man einen „Aufstieg“ nehmen. Dieser Zugang erinnert an mehrere siebenbürgische Kirchen (Alzen, Schäßburg). Und im siebenbürgischen Gießhübel gibt es dann eine Entdeckung, die beide Orte dichter zusammenbringt! Eine Stunde Autofahrt östlich vom böhmischen Gießhübel liegt ebenfalls im Gebirge der Ort Jägerndorf, heute: Krnov. Hier fertigte der Orgelbauer Rieger die Orgel für das siebenbürgische Gießhübel an, die 1904 aufgestellt wurde. Zumindest der Orgelbauer kannte also beide Gießhübel. Diese drei Orte gehörten damals zur habsburgischen Krone. Der Orgelbauer hatte damals die Habsburgermonarchie gar nicht verlassen. Heute müsste er dafür durch vier Länder fahren. Olešnice erinnert mit seinem Wappen weiterhin an die habsburgische Vergangenheit, die linke Seite des Wappens wird gebildet von der österreichischen Fahne.
Dorfansicht vom siebenbürgischen Gießhübel von ...
Dorfansicht vom siebenbürgischen Gießhübel von 2017. Foto: Rudolf Girst
Die evangelische Kirche von Gießhübel ...
Die evangelische Kirche von Gießhübel (Siebenbürgen). Foto: Rudolf Girst

Dietmar Schmidtmann

Schlagwörter: Gießhübel, Ortschaft, Geschichte, Sudetenland

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