25. Juni 2008

Die Securitate in Rumänien: Perfides Überwachungssystem

In diesen Tagen wird hierzulande aus vielen aktuellen Anlässen über Bespitzelung, Überwa­chung und Online-Durchsuchung diskutiert, mit Entrüstung auf der einen Seite und Beschwich­tigungsversuchen auf der anderen. Entsprechende Brisanz hatte der am 30. Mai im Stuttgarter „Haus der Heimat“ gehaltene Vortrag zum gleichen Thema, allerdings in einer vergangenen Zeit verortet: in den 70ern und 80ern in Rumänien. Und das aus der Sicht eines Betroffenen, der seine befremdliche „Personal“-Akte eingesehen und ausgewertet hat: Dr. Peter Motzan, seines Zeichens Literaturwissenschaftler und -historiker, Verfasser und Herausgeber von Mono­graphien, Tagungsbänden, Anthologien, Studien und Essays sowie Übersetzungen aus dem Rumänischen.
Eingangs würdigte Siegfried Habicher, der Leiter dieser Veranstaltungsreihe, die Verdienste des Gastes als Hochschullehrer und Forscher, wofür er von der Universität Klausenburg 2003 mit einer Ehrenprofessur ausgezeichnet wurde.

Zu Beginn seines Vortrags erläuterte Peter Mot­zan sein Motiv, Einsicht in seine Securitate-Akte zu beantragen. Anlass sei ein Gespräch gewesen mit einem jungen Mitarbeiter der Birthler-Behörde, der an einem Buch über die Beziehung Stasi-Securitate arbeitete und dabei auf ein abstruses Dokument des Ministeriums für Staats­sicherheit der DDR gestoßen war, das von einer „reaktionären, nationalistischen und irredentistischen“ Gruppierung deutscher Intel­lektueller in Klausenburg kündete, zu der er, Motzan, angeblich als deren „gefährlichstes und aggressivstes Element“ gehört habe. Damit war seine Neugierde geweckt, dieser und ähnlichen Verdächtigungen seitens der Staatsmächte nachzugehen.

Rund ein Jahr nach der Antragstellung konnte er die drei Bände seiner Akte im Lesesaal des „Nationalen Rates für das Studium der Secu­ritate-Archive“ (CNSAS) im Juli 2006 und im August 2007 in Bukarest einsehen. Sie umfasst 580 Blätter, die beidseitig beschrieben sind (davon sind 196 Blätter Abhörprotokolle von Telefongesprächen) und enthält Berichte aus der Zeitspanne 1971 bis 1989 von 32 Inoffiziellen Mitarbeitern (rumänisch „surse“) sowie Zusam­menfassungen der Ergebnisse (rumänisch „note de sinteză“) und Maßnahmenpläne seitens der Führungsoffiziere zur weiteren Überwachung.

Es liegt Peter Motzan fern, sich nun zum Widerstandskämpfer stilisieren zu wollen. Das wurde gleich zu Beginn seines Vortrags klar, als er sich mit übergroßer Bescheidenheit als „kei­ne besondere Figur der Zeitgeschichte“ und „Schmalspurgermanist“ bezeichnete, der einer privilegierten Generation zugehörig sei, sich damals nicht bedroht oder gefährdet gefühlt habe und daher für eine Opferrolle nicht tauge. Als Hochschullehrer im kommunistischen Rumä­nien habe er dank des zugänglichen kulturellen Kapitals eher zu einem privilegierten Personen­kreis gehört, er habe niemals öffentlich gegen das Regime aufbegehrt, aber die Kompromisse auf Sparflamme zu halten versucht; dies sei ihm bei sich verschärfenden Bedingungen im Ver­lauf dieser Jahre zusehends leichter gefallen als beispielsweise Redakteuren von Zeitungen und Zeitschriften oder Leitern von Bildungs­anstal­ten der deutschen Minderheit.

Einer der Vorzüge des Vortrags war, dass er sehr lebendig gehalten wurde – dank häufiger anekdotischer Einsprengsel oder Motzans Fra­gen ins Publikum. Trotzdem wollte keinerlei Gelöstheit aufkommen; zu bedrückend war das Thema, bei dem jeder Zuhörer, jede Zuhörerin an die eigenen Erfahrungen mit einem System gemahnt wurde, das ausgefeilte Techniken und Strategien der Ausschnüffelung bis in die intimste Privatsphäre, aber auch der Anwer­bung von IM’s entwickelt hatte und dem kein noch so irrwitziges Verdachtsmoment zu gering erschien, um ihm nicht nachzugehen. So entstand bei der Beschreibung der „dosare de urmărire operativă“ („operative Vorgänge“ auf Stasi-Deutsch) vor dem geistigen Auge des Zuhö­rers das Bild eines aufgeblähten Macht­appa­rats, der jede noch so harmlose geistige Regung fürchtete und dagegen ein engmaschiges Netz der Überwachung ausgeworfen hatte, in dem der einzelne Verursacher dieser Regung unwissend hing.

Angesichts der aktuellen Debatte sind die Erkenntnisse aus der jüngeren Vergangenheit von besonderer Brisanz.

Hellmut Seiler

Schlagwörter: Securitate, Kommunismus

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Neueste Kommentare

  • 25.06.2008, 23:50 Uhr von rio: Da hört man wieder mal was (und staunt nicht schlecht dabei), von der einst so gefürchteten ... [weiter]

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