26. Januar 2009

Erika Kelp: Der Fiurtschrätt

Weshalb bezeichnen wir die Wörter einer Spra­che als ihren Wort-„schatz“? Was ist so kostbar daran? Mit ihnen tauchen Bilder auf, Gestalten werden lebendig, das Elternhaus, Erlebnisse der Jugendzeit – kurz: In ihnen lebt Heimat fort. Jede Sprache hat ihren Eigenwortschatz. Das Sieben­bürgisch-Sächsische hat einen eigenen Wort­schatz gegenüber dem Hochdeutschen, aber auch einen regionalen (z. B. in Nord-, Südsiebenbür­gen, im Burzenland u.a.) oder sogar lokalen (nur in einer Ortschaft gebräuchlich, hier mitunter sogar auf bestimmte Ortsteile oder soziale Schichten beschränkt). Die Dialektvermischung und ein Trend zur Angleichung an das Hoch­deutsche bringen es mit sich, dass – vor allem im Sprachgebrauch der jüngeren Generation – manche Wörter bzw. Ausdrücke drohen, in Ver­gessenheit zu geraten. Gleich 48 solcher Wörter hat Erika Kelp in dem folgenden Gedicht aufgezählt.
Erika Kelp

Der Fiurtschrätt

Ach, wo äs sä norr gebliwen?
De noa de ålt huet längst verdriwen:
Meer wozea em glatt äm sich sejt
begent em äng der noaen Zejt.
Nästmi äs, wä et iest wor,
wat zilt hejt uch schiu glatt e Johr?
De Zejt, dä lieft und lieft äng mih,
de Technik mät – vun Hih ze Hih.
Ien Knup den åndern hejt uewliest,
schiu längst te uch glatt nemmi wießt,
wuer mät wellem Fainjer dräcken,
ständich äs em norr um Säcken.
Däjlich mess em derzea lihren,
äm senj Wässen ze vermihren.
O, em kit sich aldiest viur
wä der Iuß viurm noaen Diur.
Wo äs dä ålt Zejt norr gebliwen,
wo em noch normal geschriwen?
Uch dåt schiun wid hejt ämgelihrt,
det ålt Gewund de Noazejt stirt.
Schiun det Betonen äs en Froch,
und dåt än Detsch derzea uch noch.
Äng mih diës Modeschen et git,
de Wealt schär eos den Ongeln nit.
Wat zilt sä noch, dä geat ålt Zejt?
Und frecht em en Jangen hejt,
wi kå se noch – eas sachsesch Sproch?
Dåt se schär norr de Ålden noch.
Derfiur det Englesch hejt floriert,
iwerål em dåt nea hirt.
Wid iest det Detsch net uch verschwaingden?
Ängde mih räckt ät no haingden!
Wä vill mess em doch hejt verstohn
und mejlichst et af Englesch son.
Wie wieß hejt noch vum Karabresel,
vu Pluddergatch odder vum Schesel,
vum Boindjel, Remmel odder Krepel,
Ägefädder, Hapsegekel?
Ow Klucks, Tornaz, Tuest, Kont uch ziepern,
Schoaßelt, Memmen odder hiepern,
Plutzer, Gåller, Hiufertschäss,
Koop uch Toaser äs gewäss
båld äm Eossterwe begräffen.
Toppert, schilzt, Trellesch, beflässen,
Dannerlächt, Korbatsch uch Rijjel,
Dräfft uch Peos, beren uch Bijjel,
Galjereïch, Werbes uch Kläppel,
Gespeet, Kalipp, Gewealw uch Reckel,
Beïbes, Beangert, Zäppelmätzen,
Gebinn uch Häffel nästmi nätzen,
zeräckzedrehn de hejdich Zejt
und mät är uch noch alle Lejt.
Ow Teorleng, Horgesch, Liew, ämstäcken,
ängde gresser sen de Läcken.
Esi äs em glatt net verweangdert,
datt viur allem dett Johrheangdert
vill geschleackt der ålder Zejt:
Brech uch Wirter, Sproch uch Lejt.
De Zejt doch nä wid bleïwe stohn,
det Wealtgeschähn wid wejtergohn.


Erika Kelp, geborene Weinhold, Jahrgang 1927, arbeitete nach der Rückkehr aus Russland in der ehemaligen Rosenauer’schen Schrauben­fabrik in Mediasch und wohnt heute in Freiburg im Breisgau.

Der emotionale Hintergrund mancher Wörter kann im Hochdeutschen nur unzureichend wiedergegeben werden. So ist „eine dicke Scheibe Brot“ nicht ganz genau das Gleiche wie ein „Remmel“, den man schon beim Nennen des Wortes in der Hand hält und seinen Duft spürt. Fragen zur Bedeutung einzelner Wörter können Sie gerne an eine der beiden folgenden E-Mail-Adressen richten: michael.markel [ät] web.de oder bernddieterschobel [ät] web.de.

Hanni Markel und Bernddieter Schobel

Schlagwörter: Mundart

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Neueste Kommentare

  • 27.01.2009, 12:39 Uhr von der Ijel: Erika Kelp äs åf jede Fåll ze gratulieren. Sächer huet sa mih geschriwen, em märkt et un der ... [weiter]

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