15. Juni 2014
Nachhall der Geschichte im Lindendom
Die Knabenkapelle Dinkelsbühl schritt voran an der Spitze eines langen Fackelzuges, der sich am Pfingstsonntagabend bei schwülwarmen Temperaturen durch die Straßen Dinkelsbühls zur Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen hin bewegte. Dort, in der Lindenallee der Alten Promenade, hielt der Vorsitzende der Kreisgruppe Ludwigsburg, Helge Krempels, die traditionelle Rede an der den Opfern von Krieg, Verfolgung, Flucht und Vertreibung geweihten Gedenkstätte. Mit klarer, fester, durchdringender Stimme erinnerte Krempels in seiner Ansprache, die im Folgenden ungekürzt wiedergegeben wird, „an die Heimsuchungen des 20. Jahrhunderts“ in Gestalt der beiden Weltkriege.
Sehr geehrte Damen und Herren, Landsleute und Gäste, liebe Schwestern und Brüder, zu einem Besuch Dinkelsbühls gehört für einen Sohn Siebenbürgens immer auch das Aufsuchen der Gedenkstätte am Ende der Alten Promenade, und dies ausdrücklich nicht nur zu Pfingsten, während des Heimattages der Siebenbürger Sachsen, nicht nur zu dieser Feierstunde. Es tut gut, dem Stein gewordenen Erinnern auch am helllichten Tag zu begegnen und sich von der hier herrschenden Atmosphäre des beeindruckenden Lindendoms, fernab des alltäglichen Getöses, einen Augenblick des Innehaltens, des in sich Hineinhörens zu schenken. Wer sich diesem stillen Erleben hingibt, hört in sich den Nachhall der Geschichte, welcher für viele Namenlose, derer der Stein gedenkt, so verhängnisvoll gewesen ist.
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Die Ruhe, die einen umgibt, ist jedoch nicht gänzlich von Geräuschen entleert, sie ergibt sich vielmehr aus dem Zusammenwirken unterschiedlicher Eindrücke, wenn der Wind sacht durch die Blätter streift, die Vögel in den Ästen der Bäume zwitschern und der schwere Geruch der Lindenblüten einen umgibt. Wie hart und rau, wie unverrückbar und endgültig die Steine des Mahnmals dazu in Kontrast stehen, dennoch hierher gehörend, da sie den Blick auf sich ziehen und unsere Aufmerksamkeit auf sich lenken.
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Als Nachgeborener habe ich den Zugang zu der Gedenkstätte über meine Eltern erhalten, wenn wir anlässlich des Treffens der Heimatortsgemeinschaft meines Vaters, gleichfalls von der Schranne aus hierher hinaufstiegen. Danach, als Vertreter der Siebenbürgisch-Sächsischen Jugend in Deutschland, die bei dieser Gedenkstunde zu Pfingsten jedes Jahr mit großem Selbstverständnis ihre wichtige Rolle annimmt und uns im Schein der Fackeln durch die Gassen der Altstadt, durchs Segringer Tor, bis hierher führt. Den jungen Jahren folgen jene, in denen nunmehr meine Familie den alljährlichen Weg nach Dinkelsbühl antritt, wobei es nun an mir ist, diesen Ort des Gedenkens, aber vor allem seine Bedeutung meinen Kindern näher zu bringen, ist er doch die Verortung eines Teils unserer Identität, der wir uns hier stellen, der wir hier nicht mehr ausweichen können, der wir Raum in unserem Bewusstsein schaffen müssen. Denn auch aus der gemeinsamen Erinnerung an die Heimsuchungen des 20. Jahrhunderts sowie im Besonderen deren Auswirkungen auf die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen offenbart sich das besondere Schicksal, dem sich die Angehörigen und Abkömmlinge unseres Volkes stellen mussten, welche in dem eingeschlagenen Weg unser Leben heute vorbestimmt und beeinflusst haben. Am auffälligsten an dieser Stätte des Gedenkens ist, dass aller aus den Reihen unseres Volkes gedacht wird, ungeachtet der politischen Polarität, die für die Konflikte verantwortlich war, denen sie zum Opfer fielen. Wie sehr dies Absicht, wie sehr dies zum Grundverständnis des Mahnmals gehört, bedarf eines tieferen Verständnisses der Geschichte der Siebenbürger Sachsen im 20. Jahrhundert. In diesem so schicksalhaften Zeitraum wurden die Söhne und Töchter unseres kleinen Volkes zwischen den aufeinandertreffenden politischen Großinteressen auseinandergerissen, so dass sich keine eindeutige Zuweisung zu Staaten, Armeen oder Bündnissen treffen lässt, wenn wir der Opfer gedenken. Vielmehr offenbart die Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Familiengeschichte so vieler Landsleute, praktisch von uns allen, dass unsere Verwandten, unsere Ur- und Großeltern, unsere Eltern jeweils der politischen Macht ausgeliefert waren, die ihrer habhaft werden konnte und die durchaus wechselnder, ja gegensätzlicher Ausrichtung war.
In diesen Tagen erfüllt sich das Jahrhundert seit den schicksalhaften Ereignissen, welche dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahre 1914 vorangingen. Dem Attentat von Sarajevo vom 28. Juni 1914 folgte einen Monat später der Kriegsbeginn, in dessen Folge nacheinander insgesamt vierzig Staaten hineingezogen wurden und insgesamt siebzig Millionen Menschen unter Waffen standen. Die Welt, Europa und auch unsere siebenbürgische Heimat gestalteten sich zu diesem Zeitpunkt in einem gänzlich anderen politischen Zusammenhang, der sich auf die Siebenbürger Sachsen bereits damals in komplexer Weise auswirkte. Während Siebenbürgen selbst zur österreich-ungarischen Krone gehörte und alle seine Söhne für die Durchsetzung seiner Interessen beanspruchte, lebten bereits damals Landsleute in Übersee, vor allem in den USA, jedoch auch im Königreich Rumänien, deren Söhne ihrerseits von den jeweiligen Ländern in die Pflicht genommen wurden. Wie werden sich unsere Landsleute mit den damals brennenden, existenziellen Fragen auseinandergesetzt haben? Die große Politik war nicht unbedingt die ihre. Die Interessen der Konfliktparteien lagen außerhalb ihrer Ziele, ihres Mühens und Strebens nach sicherer und glücklicher Zukunft, nach Ausgestaltung ihres Lebens. Waren ihre Bestrebungen so gänzlich andere als unsere heute?
Jede Zeit kennt ihren eigenen Blick auf das Leben, aber auch in jenen Tagen werden Alters- und Generationsfragen Jung und Alt beschäftigt haben, werden Freuden und Erfüllungen sich mit Sorgen und Mühen im Alltag abgewechselt haben, so dass sich die heraufziehende Katastrophe in ihren ungeahnten Ausmaßen als außerhalb des Horizontes der meisten von ihnen angekündigt haben wird, an deren Ende die alten Ordnungen hinweggefegt wurden und sich neue Machtstrukturen, Grenzen, Wertvorstellungen hin zu politischen Ideologien entwickelten. Diese brachten die siebenbürgisch-sächsische Gesellschaft in Bedrängnis, stellten ihre Werte, ihre Ordnung in Frage und verlangten der agierenden Generation sehr viel ab. Es zeigt sich, dass auch und vor allem in Zeiten krisenerschütterter Umbrüche die gefestigten Persönlichkeiten mit ausgeprägtem Werte- und Rechtsverständnis zu den wegweisenden Leuchtfeuern ihrer Zeit gehört haben. Es gehört nicht nur zur Tragik unseres Volkes im 20. Jahrhundert, dass es Frauen und Männer dieser Prägung hervorbrachte, welche jedoch oft sowohl von außen, aber auch von innen verhöhnt, verfemt und angefeindet, verstoßen, verleumdet und verraten wurden. Dennoch sticht das letzte Jahrhundert diesbezüglich hervor, weil es unsere Heimat, ihre Töchter und Söhne in kollektiver Weise heimsuchte. Andererseits hielt es auch durch ideologische Verführung, durch Überspitzung und Radikalisierung ein hohes Gefährdungspotenzial bereit, welchem sich auch unsere Altvorderen nicht immer, nicht konsequent genug entgegengesetzt haben.
Der erste Konflikt des 20. Jahrhunderts brachte vielfaches, ungezähltes Leid über die Menschen und veränderte Europa und damit auch unsere Heimat grundlegend, da ihm bis zu seinem Ende, am 11. November 1918, über 17 Millionen Menschen zum Opfer fallen sollten. Der Zweite Weltkrieg ließ, wie wir alle wissen, nicht lange auf sich warten, der in seinen Ausmaßen den Ersten bei weitem übertraf, als ob dies die einzige Konsequenz aus der Lehre der Geschichte gewesen wäre. Ein weiteres Mal holten sich die Mächte die Söhne Siebenbürgens, welches nun auch territorial zwei konkurrierenden Staaten angehörte. Während die meisten Siebenbürger Sachsen in der rumänischen, ungarischen und später deutschen Armee dienten, litten, verstümmelt wurden oder fielen, gab es auch den in den USA lebenden Verwandten, welcher beispielsweise als US-Pilot abgeschossen wurde und ums Leben kam und dessen Reußmärkter Mutter, wie jede betroffene Mutter zeit ihres Lebens um ihn trauerte.
Wie sehr sich die Perversion des Krieges und der sogenannten großen Politik offenbart, ist daran erkennbar, dass sogar Bruder gegen Bruder, Nachbar gegen Nachbar in diesen Konflikt gedrängt wurden. Das Schicksal unseres Volkes ist in dieser Zeit dabei nicht singulär. Es betraf unsere Nächsten, die Nachbarn, die Abkömmlinge der zusammenlebenden Völker unserer Heimat gleichermaßen und erfasste die Menschen in 26 Staaten. Am Ende können die Opfer dieses Konfliktes bis heute nur geschätzt werden und übersteigen jene des Ersten Weltkrieges um ein Vielfaches.
Siebenbürgen wurde 1944 ebenfalls zum Kriegsschauplatz. Im Frühjahr durch die einsetzenden alliierten Luftangriffe und ab Herbst durch den Einmarsch der Roten Armee. Daher jährt sich im September die Flucht unserer Landsleute aus Nordsiebenbürgen, aus Bistritz, dem Reener Land und sieben südsiebenbürgischen Gemeinden zum 70. Mal. Das Trauma der Flucht, der Entwurzelung, Verfolgung, Enteignung und Entrechtung teilten die Siebenbürger Sachsen mit unzähligen Betroffenen, den unkontrollierbaren Wahnsinn des industriellen Krieges offenbarend, der vor der Zivilbevölkerung nicht haltmacht.
Wiewohl sich gerade der Zweite Weltkrieg und die in seiner Folge getätigte Deportation aller arbeitsfähigen Frauen und Männer in die Sowjetunion auf das Schicksal unseres Volkes als tiefes Trauma nicht nur der betroffenen Generation ausgewirkt hat, die Familien auseinanderreißend und letztlich mitverantwortlich für den Exodus der Siebenbürger Sachsen aus ihrer Heimat war, ist unbestritten. Das unersättliche Ungeheuer des Krieges holte sich in der Folge die letzten Frauen und Männer, ließ Kinder gänzlich verwaist und schutzlos zurück und lieferte das gesamte Volk der entfesselten Willkür aus. Im Gedenken an die Töchter und Söhne, es waren nicht selten jedoch die Mütter und Väter, die Schwestern und Brüder, die als Reparation versklavt wurden, ihr Leben ließen und in fremder Erde liegen, haben manche Gemeinden ein Fenster ihrer Kirche zugemauert, um auf der dadurch entstandenen Fläche ihre Namen dem Vergessen zu entreißen. Nichts bewegt einen an diesem Symbol mehr, als der Zusammenhang der Düsternis, die über die Gemeinde, die Familien, die einzelnen Menschen gekommen ist, als das Fehlen des unverzichtbaren Lichts zum Leben.
Gedenken als Teil der Identität, als Wissen um den Nächsten, der um sein Leben, um seine Zukunft gebracht wurde, ist für uns heute gegenwärtiger und nötiger denn je. Aus der Auseinandersetzung mit unseren Nächsten, den fehlenden Gliedern der Familie, der Sippe und des Volkes, ungeachtet des Zusammenhangs, in dem sie zu Tode kamen, befähigt uns auch die Schwester und den Bruder in denen zu erkennen, die zwar anderen Blutes sind, aber gleichermaßen die Ihren verloren haben. Dadurch wird offenbar, dass Konfliktlösung mittels Gewalt in ihren Auswirkungen verheerend wirkt, nicht Zeichen der Macht, sondern der Ohnmacht darstellt, nicht hinnehmbar zu sein hat und an den Menschen immer ein Verbrechen darstellt.
An jene denken, die dabei in den beiden Weltkriegen und ihren Folgen zu Tode kamen, sollte uns in unserem täglichen Handeln, als Verantwortungsträger, als Eltern der heranwachsenden, zukünftigen Generation, in unserem gesellschaftlichen Einsatz, in unseren Berufen beeinflussen, auf ein friedliches und fruchtbares Miteinander zwischen den Menschen hinzuarbeiten, hin zu gegenseitigem Respekt und Achtung vor dem Leben. Es sollte uns vor allem in diesen Tagen nicht gleichgültig gegenüber bestehenden und heraufziehenden Konflikten bleiben lassen, in der Erinnerung der Flächenbrände des letzten Jahrhunderts, die auch unser kleines Volk mit grausamer Härte getroffen haben. Um den Kindern eine friedliche und freiheitliche Zukunft zu ermöglichen, bedarf es des stetigen Aufbaus einer gerechteren und friedlicheren Welt. Sich dafür einzusetzen, den Mut und die Energie aufzubringen, Gegensätze konfliktfrei zu bereinigen, kann aus dem gedenkenden Erinnern an die Opfer aus unseren Reihen erwachsen und für unsere Nachkommen beispielhaft dienen. Nicht im Verdrängen, sondern im bewussten und beredten Erinnern lässt sich die Zukunft bauen, die ich uns allen von dieser Stelle aus wünsche.
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Die Ruhe, die einen umgibt, ist jedoch nicht gänzlich von Geräuschen entleert, sie ergibt sich vielmehr aus dem Zusammenwirken unterschiedlicher Eindrücke, wenn der Wind sacht durch die Blätter streift, die Vögel in den Ästen der Bäume zwitschern und der schwere Geruch der Lindenblüten einen umgibt. Wie hart und rau, wie unverrückbar und endgültig die Steine des Mahnmals dazu in Kontrast stehen, dennoch hierher gehörend, da sie den Blick auf sich ziehen und unsere Aufmerksamkeit auf sich lenken.
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Als Nachgeborener habe ich den Zugang zu der Gedenkstätte über meine Eltern erhalten, wenn wir anlässlich des Treffens der Heimatortsgemeinschaft meines Vaters, gleichfalls von der Schranne aus hierher hinaufstiegen. Danach, als Vertreter der Siebenbürgisch-Sächsischen Jugend in Deutschland, die bei dieser Gedenkstunde zu Pfingsten jedes Jahr mit großem Selbstverständnis ihre wichtige Rolle annimmt und uns im Schein der Fackeln durch die Gassen der Altstadt, durchs Segringer Tor, bis hierher führt. Den jungen Jahren folgen jene, in denen nunmehr meine Familie den alljährlichen Weg nach Dinkelsbühl antritt, wobei es nun an mir ist, diesen Ort des Gedenkens, aber vor allem seine Bedeutung meinen Kindern näher zu bringen, ist er doch die Verortung eines Teils unserer Identität, der wir uns hier stellen, der wir hier nicht mehr ausweichen können, der wir Raum in unserem Bewusstsein schaffen müssen. Denn auch aus der gemeinsamen Erinnerung an die Heimsuchungen des 20. Jahrhunderts sowie im Besonderen deren Auswirkungen auf die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen offenbart sich das besondere Schicksal, dem sich die Angehörigen und Abkömmlinge unseres Volkes stellen mussten, welche in dem eingeschlagenen Weg unser Leben heute vorbestimmt und beeinflusst haben. Am auffälligsten an dieser Stätte des Gedenkens ist, dass aller aus den Reihen unseres Volkes gedacht wird, ungeachtet der politischen Polarität, die für die Konflikte verantwortlich war, denen sie zum Opfer fielen. Wie sehr dies Absicht, wie sehr dies zum Grundverständnis des Mahnmals gehört, bedarf eines tieferen Verständnisses der Geschichte der Siebenbürger Sachsen im 20. Jahrhundert. In diesem so schicksalhaften Zeitraum wurden die Söhne und Töchter unseres kleinen Volkes zwischen den aufeinandertreffenden politischen Großinteressen auseinandergerissen, so dass sich keine eindeutige Zuweisung zu Staaten, Armeen oder Bündnissen treffen lässt, wenn wir der Opfer gedenken. Vielmehr offenbart die Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Familiengeschichte so vieler Landsleute, praktisch von uns allen, dass unsere Verwandten, unsere Ur- und Großeltern, unsere Eltern jeweils der politischen Macht ausgeliefert waren, die ihrer habhaft werden konnte und die durchaus wechselnder, ja gegensätzlicher Ausrichtung war.
In diesen Tagen erfüllt sich das Jahrhundert seit den schicksalhaften Ereignissen, welche dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahre 1914 vorangingen. Dem Attentat von Sarajevo vom 28. Juni 1914 folgte einen Monat später der Kriegsbeginn, in dessen Folge nacheinander insgesamt vierzig Staaten hineingezogen wurden und insgesamt siebzig Millionen Menschen unter Waffen standen. Die Welt, Europa und auch unsere siebenbürgische Heimat gestalteten sich zu diesem Zeitpunkt in einem gänzlich anderen politischen Zusammenhang, der sich auf die Siebenbürger Sachsen bereits damals in komplexer Weise auswirkte. Während Siebenbürgen selbst zur österreich-ungarischen Krone gehörte und alle seine Söhne für die Durchsetzung seiner Interessen beanspruchte, lebten bereits damals Landsleute in Übersee, vor allem in den USA, jedoch auch im Königreich Rumänien, deren Söhne ihrerseits von den jeweiligen Ländern in die Pflicht genommen wurden. Wie werden sich unsere Landsleute mit den damals brennenden, existenziellen Fragen auseinandergesetzt haben? Die große Politik war nicht unbedingt die ihre. Die Interessen der Konfliktparteien lagen außerhalb ihrer Ziele, ihres Mühens und Strebens nach sicherer und glücklicher Zukunft, nach Ausgestaltung ihres Lebens. Waren ihre Bestrebungen so gänzlich andere als unsere heute?
Jede Zeit kennt ihren eigenen Blick auf das Leben, aber auch in jenen Tagen werden Alters- und Generationsfragen Jung und Alt beschäftigt haben, werden Freuden und Erfüllungen sich mit Sorgen und Mühen im Alltag abgewechselt haben, so dass sich die heraufziehende Katastrophe in ihren ungeahnten Ausmaßen als außerhalb des Horizontes der meisten von ihnen angekündigt haben wird, an deren Ende die alten Ordnungen hinweggefegt wurden und sich neue Machtstrukturen, Grenzen, Wertvorstellungen hin zu politischen Ideologien entwickelten. Diese brachten die siebenbürgisch-sächsische Gesellschaft in Bedrängnis, stellten ihre Werte, ihre Ordnung in Frage und verlangten der agierenden Generation sehr viel ab. Es zeigt sich, dass auch und vor allem in Zeiten krisenerschütterter Umbrüche die gefestigten Persönlichkeiten mit ausgeprägtem Werte- und Rechtsverständnis zu den wegweisenden Leuchtfeuern ihrer Zeit gehört haben. Es gehört nicht nur zur Tragik unseres Volkes im 20. Jahrhundert, dass es Frauen und Männer dieser Prägung hervorbrachte, welche jedoch oft sowohl von außen, aber auch von innen verhöhnt, verfemt und angefeindet, verstoßen, verleumdet und verraten wurden. Dennoch sticht das letzte Jahrhundert diesbezüglich hervor, weil es unsere Heimat, ihre Töchter und Söhne in kollektiver Weise heimsuchte. Andererseits hielt es auch durch ideologische Verführung, durch Überspitzung und Radikalisierung ein hohes Gefährdungspotenzial bereit, welchem sich auch unsere Altvorderen nicht immer, nicht konsequent genug entgegengesetzt haben.
Der erste Konflikt des 20. Jahrhunderts brachte vielfaches, ungezähltes Leid über die Menschen und veränderte Europa und damit auch unsere Heimat grundlegend, da ihm bis zu seinem Ende, am 11. November 1918, über 17 Millionen Menschen zum Opfer fallen sollten. Der Zweite Weltkrieg ließ, wie wir alle wissen, nicht lange auf sich warten, der in seinen Ausmaßen den Ersten bei weitem übertraf, als ob dies die einzige Konsequenz aus der Lehre der Geschichte gewesen wäre. Ein weiteres Mal holten sich die Mächte die Söhne Siebenbürgens, welches nun auch territorial zwei konkurrierenden Staaten angehörte. Während die meisten Siebenbürger Sachsen in der rumänischen, ungarischen und später deutschen Armee dienten, litten, verstümmelt wurden oder fielen, gab es auch den in den USA lebenden Verwandten, welcher beispielsweise als US-Pilot abgeschossen wurde und ums Leben kam und dessen Reußmärkter Mutter, wie jede betroffene Mutter zeit ihres Lebens um ihn trauerte.
Wie sehr sich die Perversion des Krieges und der sogenannten großen Politik offenbart, ist daran erkennbar, dass sogar Bruder gegen Bruder, Nachbar gegen Nachbar in diesen Konflikt gedrängt wurden. Das Schicksal unseres Volkes ist in dieser Zeit dabei nicht singulär. Es betraf unsere Nächsten, die Nachbarn, die Abkömmlinge der zusammenlebenden Völker unserer Heimat gleichermaßen und erfasste die Menschen in 26 Staaten. Am Ende können die Opfer dieses Konfliktes bis heute nur geschätzt werden und übersteigen jene des Ersten Weltkrieges um ein Vielfaches.
Siebenbürgen wurde 1944 ebenfalls zum Kriegsschauplatz. Im Frühjahr durch die einsetzenden alliierten Luftangriffe und ab Herbst durch den Einmarsch der Roten Armee. Daher jährt sich im September die Flucht unserer Landsleute aus Nordsiebenbürgen, aus Bistritz, dem Reener Land und sieben südsiebenbürgischen Gemeinden zum 70. Mal. Das Trauma der Flucht, der Entwurzelung, Verfolgung, Enteignung und Entrechtung teilten die Siebenbürger Sachsen mit unzähligen Betroffenen, den unkontrollierbaren Wahnsinn des industriellen Krieges offenbarend, der vor der Zivilbevölkerung nicht haltmacht.
Wiewohl sich gerade der Zweite Weltkrieg und die in seiner Folge getätigte Deportation aller arbeitsfähigen Frauen und Männer in die Sowjetunion auf das Schicksal unseres Volkes als tiefes Trauma nicht nur der betroffenen Generation ausgewirkt hat, die Familien auseinanderreißend und letztlich mitverantwortlich für den Exodus der Siebenbürger Sachsen aus ihrer Heimat war, ist unbestritten. Das unersättliche Ungeheuer des Krieges holte sich in der Folge die letzten Frauen und Männer, ließ Kinder gänzlich verwaist und schutzlos zurück und lieferte das gesamte Volk der entfesselten Willkür aus. Im Gedenken an die Töchter und Söhne, es waren nicht selten jedoch die Mütter und Väter, die Schwestern und Brüder, die als Reparation versklavt wurden, ihr Leben ließen und in fremder Erde liegen, haben manche Gemeinden ein Fenster ihrer Kirche zugemauert, um auf der dadurch entstandenen Fläche ihre Namen dem Vergessen zu entreißen. Nichts bewegt einen an diesem Symbol mehr, als der Zusammenhang der Düsternis, die über die Gemeinde, die Familien, die einzelnen Menschen gekommen ist, als das Fehlen des unverzichtbaren Lichts zum Leben.
Gedenken als Teil der Identität, als Wissen um den Nächsten, der um sein Leben, um seine Zukunft gebracht wurde, ist für uns heute gegenwärtiger und nötiger denn je. Aus der Auseinandersetzung mit unseren Nächsten, den fehlenden Gliedern der Familie, der Sippe und des Volkes, ungeachtet des Zusammenhangs, in dem sie zu Tode kamen, befähigt uns auch die Schwester und den Bruder in denen zu erkennen, die zwar anderen Blutes sind, aber gleichermaßen die Ihren verloren haben. Dadurch wird offenbar, dass Konfliktlösung mittels Gewalt in ihren Auswirkungen verheerend wirkt, nicht Zeichen der Macht, sondern der Ohnmacht darstellt, nicht hinnehmbar zu sein hat und an den Menschen immer ein Verbrechen darstellt.
An jene denken, die dabei in den beiden Weltkriegen und ihren Folgen zu Tode kamen, sollte uns in unserem täglichen Handeln, als Verantwortungsträger, als Eltern der heranwachsenden, zukünftigen Generation, in unserem gesellschaftlichen Einsatz, in unseren Berufen beeinflussen, auf ein friedliches und fruchtbares Miteinander zwischen den Menschen hinzuarbeiten, hin zu gegenseitigem Respekt und Achtung vor dem Leben. Es sollte uns vor allem in diesen Tagen nicht gleichgültig gegenüber bestehenden und heraufziehenden Konflikten bleiben lassen, in der Erinnerung der Flächenbrände des letzten Jahrhunderts, die auch unser kleines Volk mit grausamer Härte getroffen haben. Um den Kindern eine friedliche und freiheitliche Zukunft zu ermöglichen, bedarf es des stetigen Aufbaus einer gerechteren und friedlicheren Welt. Sich dafür einzusetzen, den Mut und die Energie aufzubringen, Gegensätze konfliktfrei zu bereinigen, kann aus dem gedenkenden Erinnern an die Opfer aus unseren Reihen erwachsen und für unsere Nachkommen beispielhaft dienen. Nicht im Verdrängen, sondern im bewussten und beredten Erinnern lässt sich die Zukunft bauen, die ich uns allen von dieser Stelle aus wünsche.
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Schlagwörter: Heimattag 2014, Dinkelsbühl, Gedenkstätte, Gedenkfeier, Flucht und Vertreibung
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