9. September 2014

20. Juni wird Gedenktag für Opfer von Flucht und Vertreibung

Ein nationaler Gedenktag soll die Erinnerung an das Schicksal der 14 Millionen deutschen Heimatvertriebenen wachhalten. Das Bundeskabinett hat am 27. August beschlossen, dass der 20. Juni (Weltflüchtlingstag) ab 2015 als „Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung“ begangen werden soll. Wie das Bundesministerium des Innern bekannt gab, wird künftig jährlich am 20. Juni der weltweiten Opfer von Flucht und Vertreibung und insbesondere der deutschen Heimatvertriebenen gedacht. Der Kabinettsbeschuss gründet auf einer Vereinbarung im gemeinsamen Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD für die laufende Legislaturperiode. Zuvor hatten die Länder Bayern (im Mai 2013), Hessen (September 2013) und Sachsen (August 2014) beschlossen, jeden zweiten Sonntag im September einen Gedenktag für die deutschen Opfer von Flucht und Vertreibung zu begehen, in diesem Jahr am 14. September. Während der Bund der Vertriebenen (BdV) die Entscheidung der Bundesregierung begrüßt, verlautet aus den Reihen der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung (OMV) der CDU/CSU Kritik an der Datumswahl des bundesweiten Gedenktages.
Der 20. Juni ist Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen (im Jahr 2001 erstmalig begangen) und mithin den Flüchtlingen auf der ganzen Welt gewidmet. Allein 2013 waren nach Angaben der Vereinten Nationen weltweit 51,2 Millionen Menschen auf der Flucht, in überwiegender Zahl als Vertriebene im eigenen Land, aber auch als Flüchtlinge im Ausland. Indem die Bundesregierung an dieses Datum anknüpft, erweitert sie das Flüchtlingsgedenken um das Schicksal der rund 14 Millionen Deutschen, die als Folge des von Deutschland ausgegangenen Zweiten Weltkriegs aufgrund von Flucht, Vertreibung, Zwangsumsiedlung und Deportation ihre angestammte Heimat in den ehemaligen deutschen Ost- und Siedlungsgebieten im östlichen Europa verlassen mussten. So soll ab 2015 jährlich am 20. Juni der weltweiten Opfer von Flucht und Vertreibung und insbesondere der deutschen Vertriebenen gedacht werden. „Hierdurch wird deutlich gemacht“, erläutert das Bundesministerium des Innern, „dass der Wille und die Kraft zu Versöhnung und Neuanfang, der gemeinsame Aufbau und Zusammenhalt in der Gesellschaft das Fundament bilden, auf dem Deutschland heute Menschen aus 190 Nationen eine Heimat bietet.“

Bundeskanzlerin erklärt die Notwendigkeit des Erinnerns


Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte beim zentralen Festakt des Bundes der Vertriebenen zum „Tag der Heimat“ am 30. August in Berlin zum Beschluss des Bundeskabinetts: „Ich bin sicher, dieser Gedenktag wird dazu beitragen, Schicksal und Kultur der deutschen Heimatvertriebenen vielen Deutschen in Erinnerung zu rufen, denen dieses Thema nicht oder nicht mehr bekannt ist.“ Das Gedenken werde freilich „über das erlittene Unrecht der deutschen Vertriebenen am Ende des Zweiten Weltkriegs hinausgehen“, denn nicht nur Deutsche seien Opfer von Flucht und Vertreibung geworden, „Flucht und Vertreibung – wir erleben es in diesen Tagen – sind leider noch allgegenwärtig“.

Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, MdB, begrüßte den Kabinettsbeschluss, mit dem „ein wichtiges Anliegen unseres Verbandes“ in Erfüllung gehe. Gerade im Hinblick auf künftige Generationen sei es gut, den Gedenktag jährlich am Weltflüchtlingstag zu begehen. Im Kontext mit den zahllosen Vertreibungen weltweit werde deutlich, „dass die Vertreibungen der Deutschen genauso ein Unrecht darstellen, wie die Vertreibungen anderer Gruppen und Völker“. Somit werde „das wichtige Signal gesetzt, dass Vertreibungen weltweit zu ächten und Menschenrechte unteilbar sind“, bekräftigte die BdV-Präsidentin.

Zustimmend äußerte sich auch BdV-Vizepräsident Dr. Bernd Fabritius, MdB. Wie in dieser Zeitung berichtet (siehe "Dr. Bernd Fabritius soll Präsident des Bundes der Vertriebenen werden"), soll der Bundesvorsitzende des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland bei den Präsidiumswahlen im November dieses Jahres zum Nachfolger der aus dem Amt scheidenden Präsidentin Erika Steinbach gewählt werden. Mit dem Beschluss zur Einführung eines nationalen Gedenktages für die deutschen Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler habe die Bundesregierung, so Fabritius, „das Versprechen aus der Koalitionsvereinbarung ohne Abstriche umgesetzt“: „Es ist ein guter Tag für Deutschland, wenn nun auch unser Schicksal in das nationale Erinnerungsgedächtnis aufgenommen und so von jedem wahrnehmbar als Teil unserer gemeinsamen Geschichte positioniert wird.“ Die Festlegung auf den 20 Juni wertete der BdV-Vizepräsident als „guten Kompromiss“, da dieser Tag bereits als Weltflüchtlingstag bekannt sei. Damit werde „das Schicksal der Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg auf die gleiche Ebene mit allen anderen schrecklichen Vertreibungsgeschehen in der Welt gehoben“. Die Wahl dieses Tages sei „eine deutliche Absage an alle Kollektivschuld-Theorien, die den Opfern dieser Vertreibung (…) eine Verantwortung für die eigene Vertreibung anlasten und den Unrechtsgehalt so schmälern wollten“. Gerade für einige Länder in Osteuropa „ist dieses Signal auch im 21. Jahrhundert leider noch wichtig“, betonte Dr. Fabritius.

Konkurrierendes Gedenken in Bund und Ländern?


Kritisch urteilt der Bundesvorsitzende der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung der CDU/CSU (OMV), Helmut Sauer, nach dessen Bekunden dieser Vertreibungsgedenktag ein Kompromiss bleibe. Die OMV habe den Beschluss der Bundesregierung „als ein positiv gemeintes Signal gegenüber den deutschen Heimatvertriebenen zur Kenntnis genommen“. Damit rücke ein wichtiges Anliegen ins Zentrum der Aufmerksamkeit, nämlich die weltweite Ächtung von Vertreibungen als Völkerrechtsverbrechen, „um Schicksale wie das der deutschen Heimatvertriebenen und Flüchtlinge zukünftig abzuwenden“. Freilich müsse sich dieser Beschluss mit den in den Ländern Bayern, Hessen und Sachsen 2013 bzw. 2014 eigens eingerichteten Gedenktagen messen lassen. Nach Ansicht Sauers wäre der richtige Weg gewesen, „einen nationalen Gedenktag nach diesem Länder-Vorbild einzurichten, bei dem die eigene deutsche Geschichte und das Sonderopfer von Millionen deutscher Landsleute im Vordergrund steht, und ausgehend davon auf das bestehende Leid in der Welt, auf Flucht, Vertreibung und Völkerrechtsverbrechen hinzuweisen.“ Noch schärfer fällt die Kritik seitens der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung der CDU-Nordrhein-Westfalen aus. Als „eine Enttäuschung“ bezeichneten es deren Landesvorsitzender Heiko Hendriks, MdL, und der Beauftragte der CDU-Landtagsfraktion für Vertriebene, Flüchtlinge, Aussiedler und Deutsche Minderheiten, Werner Jostmeier, MdL, den nationalen Gedenktag im Rahmen des Weltflüchtlingstages am 20. Juni zu begehen. Dieser Beschluss falle gegenüber den Beschlüssen der Bundesländer Bayern, Sachsen und Hessen zurück: „Dem Anlass angemessener wäre unserer Ansicht nach, einen nationalen Gedenktag nach diesem Länder-Vorbild einzurichten, bei dem die eigene deutsche Geschichte im Vordergrund steht.“

Unklar ist, ob die Einführung eines bundesweiten Gedenktages für die Opfer von Flucht und Vertreibung am 20. Juni die in Bayern, Hessen und Sachsen beschlossenen Gedenktage an jedem zweiten Sonntag im September kippt. Eine entsprechende Anfrage richtete die Siebenbürgische Zeitung an die betreffenden Bundesländer. Nach Auskunft des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration wird Bayern in diesem Jahr am 14. September „in würdigem Rahmen der Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation gedenken. Über die künftige Gestaltung werden Gespräche geführt.“ Die Hessische Landesregierung wird der Landesbeauftragten für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Margarete Ziegler-Raschdorf, zufolge „in diesem Jahr erstmalig einen eigenen Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation am 14. September im Hessischen Landtag begehen“, um danach „in engem Austausch mit Vertretern der Vertriebenenverbände und der Hessischen Landesregierung“ zu klären, „in welcher Form die beiden Gedenktage auf Landes- und Bundesebene künftig organisiert werden können“. Aus dem Sächsischen Staatsministerium des Innern war zu erfahren, dass der Freistaat Sachsen „den Sächsischen Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung am zweiten Sonntag im September begehen (wird). Erstmalig findet dieser am 14. September 2014 statt.“

Christian Schoger

Schlagwörter: Gedenken, Flucht und Vertreibung, BdV, Bundesregierung, Bayern, Hessen, Sachsen

Bewerten:

54 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.