29. August 2025

Bundeskanzler Merz bei Festakt „75 Jahre Charta der deutschen Heimatvertriebenen – Tag der Heimat 2025“ in Stuttgart

Am 5. August kehrte der Tag der Heimat an seinen historischen Ursprung zurück: nach Stuttgart, wo vor 75 Jahren die Charta der deutschen Heimatvertriebenen einen Tag nach ihrer Unterzeichnung vor den Ruinen des Neuen Schlosses feierlich verkündet wurde. Inmitten einer Zeit tiefster Not setzten die Vertriebenen damals ein vielbeachtetes Zeichen: den bewussten Verzicht auf Rache und Vergeltung, die Vision eines freien und geeinten Europas sowie den Aufruf zur aktiven Mitgestaltung des Wiederaufbaus.
Festakt „75 Jahre Charta der deutschen ...
Festakt „75 Jahre Charta der deutschen Heimatvertriebenen – Tag der Heimat 2025“ in Stuttgart: Bundeskanzler Friedrich Merz beim Gruppenbild in der ersten Reihe, neben ihm BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius. Bildquelle: BdV/bundesfoto-Kraufmann
Im Jahr 2025 verbindet sich dieses Jubiläum mit einem weiteren Gedenken: dem 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs – jenem historischen Einschnitt, der Flucht, Vertreibung und Deportationen von rund 15 Millionen Deutschen auslöste. Unter dem Leitwort „80 Jahre: Erinnern – Bewahren – Gestalten“ rief der Bund der Vertriebenen (BdV) dazu auf, das Leid der Vergangenheit nicht zu vergessen, das kulturelle Erbe der Vertriebenen zu bewahren und Brücken in eine gemeinsame, friedliche Zukunft zu schlagen. Festredner am historischen Ort war Bundeskanzler Friedrich Merz, der seine Zusage dazu bereits im vergangenen Jahr, noch als Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, gegeben hatte. Die Landesregierung Baden-Württemberg beteiligte sich an der Durchführung des Festaktes.

Fabritius: „Das Recht auf die Heimat ist ein grundlegendes Menschenrecht“

BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius eröffnete die Jubiläumsveranstaltung und erinnerte in seiner Ansprache eindringlich an die Geburtsstunde der Charta vor 75 Jahren. Diese sei „kein bloßes Dokument deutscher und europäischer Zeitgeschichte, sondern ein zukunftsweisendes Manifest von fortwährender Aktualität“. In einer Zeit größter Not hätten die Vertriebenen den „bewussten Ausstieg aus der Spirale von Gewalt und Gegengewalt“ vollzogen, auf Rache und Vergeltung verzichtet und „eine der ersten modernen Visionen eines freien und geeinten Europas“ entworfen. Gleichzeitig hätten sie ihre Landsleute ermutigt, „sich aktiv für den Wiederaufbau einzusetzen“.

Mit Blick auf die Ursachen betonte Fabritius: „Ja, Flucht und Vertreibung sind ohne diesen Krieg, ohne den Holocaust und die furchtbaren Verbrechen Nazi-Deutschlands so nicht denkbar. Aber die deutschen Verbrechen waren keine notwendige oder hinreichende Bedingung – und keine rechtliche Rechtfertigung – für die Vertreibungsverbrechen der anderen Staaten.“ Das in der Charta hervorgehobene „Recht auf die Heimat“ sei „als grundlegendes Menschenrecht zu verstehen“ und befeuere bis heute die Debatte über ein internationales, strafbewehrtes Vertreibungsverbot.

Anhand eindringlicher Bilder rief der BdV-Präsident die Not jener Jahre ins Bewusstsein: „Wir denken an die Menschen, die in Eiseskälte über das zugefrorene Frische Haff flüchteten […] und an jene, die unter Androhung von Gewalt innerhalb weniger Stunden Haus und Hof verlassen mussten.“ Das diesjährige Leitwort „80 Jahre: Erinnern – Bewahren – Gestalten“ sei Auftrag und Mahnung zugleich: „Erinnern heißt, eine historische Pflicht zu erfüllen. Bewahren heißt, Kultur, Geschichte und Identität lebendig zu halten. Gestalten heißt, Verantwortung zu übernehmen – für Frieden und Freiheit, für die kommenden Generationen.“

Merz: Dankbarkeit für Brückenbau und gelebte Versöhnung

Bundeskanzler Friedrich Merz würdigte in seiner Festrede die Charta als „ernstes politisches Versprechen“ und als „historisches Dokument der Versöhnung“. Vor 75 Jahren sei es „alles andere als selbstverständlich gewesen“, nach Krieg, Flucht und Vertreibung auf Vergeltung zu verzichten und sich stattdessen zu Frieden, Freiheit und einem geeinten Europa zu bekennen. „Es hätte im Deutschland der Nachkriegsjahre auch ganz anders kommen können“, betonte Merz. Er erinnerte daran, dass viele der Millionen Heimatvertriebenen nach 1945 „erst rechtlos und dann heimatlos“ wurden und in der neuen Umgebung häufig auf ein Klima zwischen „stiller Ablehnung und offener Feindseligkeit“ trafen. Umso bemerkenswerter sei ihr Beitrag zum Wiederaufbau: „Trotz Kriegstraumata und widrigster Bedingungen haben Millionen Vertriebene ihr Schicksal in die eigene Hand genommen und am Wirtschaftswunder und am wirtschaftlichen Fundament unseres Landes mitgearbeitet.“

Bundeskanzler Friedrich Merz hält die Festrede. ...
Bundeskanzler Friedrich Merz hält die Festrede. Bildquelle: BdV/bundesfoto-Kraufmann
Mit Blick auf die Gegenwart warnte Merz: „Drei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer stehen wir wieder einem imperialistischen und revisionistischen Russland gegenüber.“ Die Lehre aus der Geschichte sei klar: „Schuldfragen können politisch und moralisch noch so klar entschieden sein – die Wirklichkeit des Krieges schafft immer Opfer auf allen Seiten.“ Er bekräftigte zugleich die im Koalitionsvertrag verankerte „fortgesetzte Förderung und Unterstützung der Vertriebenen sowie unserer Volksgruppen“, einschließlich der nachhaltigen Sicherung auch der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen als zentraler Trägerin der Kulturarbeit. Zudem kündigte er an, auch nach 1992 geborenen Deutschen in den Aussiedlungsgebieten die Übersiedlung nach Deutschland zu ermöglichen. Mit Dankbarkeit würdigte Merz die „verständigungspolitische Arbeit“ des Bundes der Vertriebenen, die über Jahrzehnte Brücken gebaut und Versöhnung gelebt habe. Mit ihrem Einsatz wolle die Bundesregierung, so Merz, ihrer historischen und moralischen Verantwortung gerecht werden.

Peter Hauk, Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg, überbrachte in Vertretung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann und dessen Stellvertreter, Innenminister Thomas Strobl, die Grüße der Landesregierung und würdigte das 75. Jubiläum der Charta der deutschen Heimatvertriebenen als „sensationelles Bekenntnis“ zu Versöhnung und Menschlichkeit. Er hob hervor, wie bemerkenswert es gewesen sei, dass die Heimatvertriebenen nur wenige Jahre nach Krieg, Flucht und Vertreibung auf „Rache und Vergeltung“ verzichteten und stattdessen aktiv am Aufbau der Bundesrepublik und eines vereinten Europas mitwirken wollten. Diese Haltung sei umso bemerkenswerter, als viele von Ablehnung und Neid in der neuen Heimat betroffen waren.

Hauk betonte, Integration bedeute nicht Gleichmacherei, sondern den aktiven Beitrag zur Gesellschaft unter Wahrung der eigenen Identität. Daher gehöre die Eingliederung der Vertriebenen zu den größten Leistungen der Bonner Republik, sei aber nur durch den Willen zur eigenen Mitwirkung gelungen. Baden-Württemberg bekenne sich deshalb in seiner Landesverfassung ausdrücklich zum „unveräußerlichen Menschenrecht auf die Heimat“. Heimat sei „mehr als nur ein beliebiger Ort unter dem Himmel“ – sie sei geprägt von Erinnerungen, Menschen und Kultur. Aufgabe der Politik sei es, sowohl die Erinnerung an die alte Heimat zu wahren als auch die heutige Heimat zu pflegen und weiterzuentwickeln.

Der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (AGDM) in der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN), Bernard Gaida, erinnerte in seinem Grußwort daran, dass die in den Herkunftsgebieten verbliebenen Deutschen bei der Charta-Verkündung vor 75 Jahren „nicht vertreten“ waren und damals „weder Rechte noch Stimme“ hatten. Heute sei die Charta auch für die Minderheiten ein verbindendes Dokument: „Wir fanden darin gemeinsame Gedanken – insbesondere die Unterstützung für ein vereintes Europa, in dem Völker ohne Furcht leben.“ Das Verlangen nach Heimatrecht sei heute vor allem „ein Kampf für funktionierende Bildungssysteme für Minderheiten – im Geiste der Europäischen Sprachencharta“.

Mit Blick auf die Bundespolitik dankte Gaida dem Bundeskanzler für die im Koalitionsvertrag verankerte Förderung der deutschen Minderheiten und der Vertriebenen: „Diese Politik ist von existenzieller Bedeutung.“ Er mahnte, Rückschritte in der Minderheitenpolitik zu verhindern und Bildungsangebote nachhaltig abzusichern. Die deutschen Minderheiten pflegten heute „ein verständnisvolles und brüderliches Zusammenleben“ mit den Mehrheitsgesellschaften und stärkten damit die Beziehungen zu Deutschland – ganz im Geiste der Charta.

Beer: Wissenschaftliche Grundlagenforschung zur Charta fehlt

Der Tübinger Historiker Dr. habil. Mathias Beer eröffnete seinen wissenschaftlichen Impuls mit der Feststellung, dass die Charta der deutschen Heimatvertriebenen „viel zitiert, wenig erforscht“ sei. Trotz ihrer zentralen Stellung in der Vertriebenenpolitik sei sie ein „weitgehend unerforschtes Kapitel deutscher Zeitgeschichte“. Die Bewertungen schwankten seit Jahrzehnten stark – von einem „beeindruckenden Zeugnis menschlicher Größe und Lernfähigkeit“ bis hin zu einem „Manifest mit Makeln“. Diese gegensätzlichen Einschätzungen seien Ausdruck einer bis heute politisch aufgeladenen Debatte um Deutungshoheit, die lange Zeit „wie ein Schleier“ über der eigentlichen Geschichte des Dokuments gelegen habe.

Beer zeichnete detailliert die unmittelbare Entstehungsgeschichte der Charta nach: von den Spannungen zwischen dem „Zentralverband der vertriebenen Deutschen“ (ZvD) und den „Vereinigten Ostdeutschen Landsmannschaften“ (VOL) über das Ringen um den Veranstaltungsort bis hin zur Entscheidung für Stuttgart – verbunden mit der symbolträchtigen Wahl des 5. August 1950, dem fünften Jahrestag des Potsdamer Protokolls. Die feierliche Verabschiedung im Kursaal von Bad Cannstatt und die öffentliche Verkündung im Rahmen einer Massenveranstaltung auf dem Schlossplatz seien Teil einer „ausgeklügelten Inszenierung“ gewesen, die internationale Strahlkraft entfalten sollte.

Inhaltlich, so Beer, stehe die Charta auf zwei Hauptpfeilern: dem „Recht auf Heimat“ und dem klaren Bekenntnis zu einem geeinten Europa. Sie enthalte keine Forderung nach Grenzrevision und könne daher „als Dokument der europäischen Einigung und auch der Aussöhnung“ gelesen werden. Dass sie die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht ausdrücklich benenne, müsse man „aus der damaligen Zeit verstehen“ – die Tabuisierung dieses Themas habe der gesellschaftlichen Stimmung jener Jahre entsprochen. Beer plädierte dafür, die Charta künftig stärker wissenschaftlich zu erforschen, um ihre historische Bedeutung und ihre Wirkungsgeschichte differenziert zu erschließen.

Erneut hochrangige Gäste beim Festakt

Unter den zahlreichen Ehrengästen des Festakts befanden sich hochrangige Vertreter aus Politik, Kirche, Diplomatie, Gesellschaft und Kultur. Neben dem Bundeskanzler nahmen der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Steffen Bilger, der Vorsitzende der CDU Baden-Württemberg und Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Manuel Hagel, sowie der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart, Dr. Frank Nopper, teil, der bereits zuvor bei der Kranzniederlegung am Vertriebenendenkmal im Kurpark Bad Cannstatt gesprochen hatte und durch seine besondere Verbundenheit mit der Stadtgeschichte einen engen Bezug zum Jubiläum herstellen konnte. Ebenfalls anwesend waren Ernst-Wilhelm Gohl, Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, der neu berufene Vorsitzende der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen, Staatsminister a.D. Peter Beuth, sowie General a.D. Wolfgang Schneiderhan, Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Vertreten waren außerdem Abgeordnete des Deutschen Bundestags und mehrerer Landtage, Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler sowie Repräsentanten der Kommunen. Erneut waren auch Delegationen der deutschen Minderheiten aus den Nachbarländern anwesend, angeführt von deren Spitzenvertretern, die so auch die enge Verbundenheit von Heimatvertriebenen und Heimatverbliebenen sichtbar machten. Seitens des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland waren Bundesvorsitzender Rainer Lehni, ebenso Ingwelde Juchum, Stellvertretende Bundesvorsitzende und Vorsitzende des Landesverbandes Hessen, Michael Konnerth, Stellvertretender Bundesvorsitzender und Vorsitzender der Landesgruppe Baden-Württemberg, und Manfred Binder, Vorsitzender des Landesverbandes Bayern, zugegen.

Beim anschließenden Empfang bot sich den Gästen die Gelegenheit zu vertiefenden Gesprächen und persönlichem Austausch. Ein besonderer Höhepunkt war ein spontan gestalteter Kulturbeitrag: Mit schwungvollen Tänzen präsentierten die Trachtenträger der Banater Schwaben und der Siebenbürger Sachsen die lebendige Tradition ihrer Heimatgebiete – ein lebendiger Brückenschlag zwischen Geschichte, Gegenwart und Zukunft.

Quelle: Bund der Vertriebenen

Schlagwörter: BdV, Tag der Heimat, Charta der Heimatvertriebenen, Merz, Bernd Fabritius

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