23. Januar 2007

Siebenbürger Sachsen kritisieren Schieflage bei Renten

Der Tradition vergangener Jahre folgend, hatte der Hessische Ministerpräsident Roland Koch die Verantwortlichen der hessischen Vertriebenenverbände sowie die Vertreter der Landsmannschaften für den 11. Januar zum gemeinsamen Gedankenaustausch in die Hessische Staatskanzlei in Wiesbaden eingeladen. Anwesend waren auch die Hessische Sozialministerin Silke Lautenschläger, Staatssekretär Metz, Dr. Jehn, Büroleiter im Kultusministerium, sowie der Landesbeauftragte der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Rudolf Friedrich. Wilhelm Folberth, Vorsitzender der Landesgruppe Hessen der siebenbürgischen Landsmannschaft, brachte die bedrückende Schieflage bei der Rentenfrage zur Sprache.
Nach dem gemeinsamen Fototermin hieß der Ministerpräsident alle Teilnehmer herzlich willkommen, bedankte sich für die im verflossenen Jahr von den Vertrieben geleistete wertvolle Arbeit und wünschte allen ein gutes und erfolgreiches Jahr. Seine Regierung habe die Arbeit der Vertriebenenverbände trotz angespannter Haushaltslage auch 2006 nach Kräften unterstützt, weil ihr der hohe Wert dieser Leistungen voll bewusst sei. Koch versicherte, dies auch in Zukunft so zu halten.

Der Landesvorsitzende des Bundes der Vertriebenen (BdV), Alfred Herold, erinnerte an wichtige Veranstaltungen des BdV anlässlich der Gedenkfeier „60 Jahre seit dem Beginn der (geordneten!) Vertreibungen“ hin. Am 20. Februar 1946 traf der erste Transport mit aus dem Sudetenland Vertriebenen in Marburg an der Lahn ein. An dieses Ereignis, aber auch an den großen Beitrag der Vertriebenen zum Wiederaufbau Deutschlands haben in Hessen viele BdV-Veranstaltungen erinnert, so auch die Ausstellung „60 Jahre Hessen — eine starke Geschichte“ und der Tag der Heimat.

Geschätzte Bürger des Landes

Den Vertriebenen Hessens, so Ministerpräsident Kochs Entgegnung, sei es gelungen, in der Öffentlichkeit in positiver Weise sowohl auf ihr tragisches Schicksal als auch auf ihre großen Leistungen beim Wiederaufbau Deutschlands aufmerksam zu machen. Nicht zuletzt ihrem versöhnenden Wirken der letzten zehn Jahre mit über hundert Veranstaltungen in ihren Herkunftsgebieten sei es zu verdanken, dass die Erinnerungsveranstaltungen in Deutschland diesmal weder im In- noch im Ausland von „falschen Zungenschlägen“ begleitet worden seien. Die Vertriebenen seien eben „ganz normal“ zum geschätzten und integrierten Teil der hessischen Bevölkerung geworden. Den Rückgang der Spätaussiedlerzahlen führte Ministerpräsident Koch im Wesentlichen nicht auf die restriktivere Aufnahmepolitik der Bundesregierung zurück, das Phänomen sei vielmehr im gesamteuropäischen Kontext zu sehen. Im „befreiten Europa“ eröffneten sich den meisten Menschen in ihrer Heimat deutlichere Perspektiven als in allen Jahrzehnten der Unfreiheit.

„Siebenbürger Sachsen in ihrer Altersvorsorge völlig unvorbereitet getroffen“

Der Vorsitzende der Landesgruppe Hessen der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V., Wilhelm Folberth, bedankte sich für die seitens der Landesregierung erfahrene Unterstützung. Er verwies auf die Veranstaltungen der Kulturhauptstadt 2007 Hermannstadt (zusammen mit Luxemburg), „an denen sich mehr siebenbürgisch-sächsische Kulturformationen aus Deutschland beteiligen möchten als unsere finanziellen Gegebenheiten ermöglichen“. Zudem betonte Folberth die enge und erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Demokratischen Forum der Deutschen in Siebenbürgen, das sich in dieser Sache besonders stark engagiere.

Neben viel positiv zu Vermeldendem habe die Landsmannschaft, so der Landesvorsitzende, auch große Sorgen, vor allem um das Auskommen ihrer älteren Mitglieder. Direkt an den Hessischen Ministerpräsidenten gewandt, führte er aus, dass die 40-prozentige Kürzung der Fremd- und Auslandsrenten auch viele Siebenbürger Sachsen in ihrer Altersvorsorge völlig unvorbereitet getroffen habe, „war es ihnen doch weder in der alten, vom Kommunismus beherrschten Heimat noch im neuen Umfeld binnen kurzer Frist möglich, nennenswerte Rückstellungen fürs Alter vorzunehmen“.

Gegen die Härten dieses Gesetzes habe eine Interessengemeinschaft Klage erhoben, worauf letztendlich das Bundesverfassungsgericht im Juni 2006 entschieden habe, dass Teile dieses Gesetzes gegen die Verfassung verstießen. In der Folge sei der Gesetzgeber verpflichtet worden, neue Übergangsregelungen zu schaffen. Der aktuell vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung aber werde weder den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gerecht, noch den Bedürfnissen der Betroffenen. Deshalb bot der Landesvorsitzende „unser Mitwirken“ zur besseren Gestaltung der Übergangsregelungen an, bat den Ministerpräsidenten um Hilfe und Unterstützung, insbesondere aber um die Erlaubnis, „dass unsere rechtskundigen Fachleute Ihnen das aufgezeigte Anliegen schriftlich vortragen dürfen“. Ministerpräsident Koch, der den Ausführungen sehr aufmerksam gefolgt war, wies unser Anliegen an Ort und Stelle der anwesenden Sozialministerin zu. So versucht die Landsmannschaft, Einfluss auf die Ausgestaltung der Übergangsregelungen zu nehmen.

„Zentrum gegen Vertreibungen“

Als Fortschritt werteten die Gesprächsteilnehmer, dass nun beide Fraktionen der Großen Koalition sich für die Errichtung des „Zentrums gegen Vertreibungen“ ausgesprochen haben. Damit würden sich für die deutschen Vertriebenen neue Möglichkeiten eröffnen, nicht nur ihr eigenes Schicksal zu thematisieren, sondern Vertreibungsmaßnahmen generell als völkerrechtswidrig und verbrecherisch zu brandmarken. Vertreibungen sind auch heute noch an der Tagesordnung. Weltweit sind gegenwärtig schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen auf der Flucht, Europa nicht ausgenommen.

Die Vertreter der Russlanddeutschen, die sich bemühen, ihre jugendlichen Spätaussiedler durch intensive Betreuung zum Spracherwerb, Schulabschluss und Berufsausbildung zu motivieren, dankten für die Unterstützung ihrer Tätigkeit. Der Hessische Ministerpräsident stellte fest, dass die Betreuungsmaßnahmen deutliche Erfolge gezeitigt hätten, und ermutigte dazu, in den Anstrengungen nicht nachzulassen.
Weniger zufrieden zeigten sich die Vertreter der Landsmannschaften über die Umsetzung der 2006 vom Hessischen Kultusministerium herausgegebenen „Handreichungen für Lehrer“ zur geschichtlichen Aufarbeitung der Vertreibungen in Folge des Zweiten Weltkrieges. An vielen Schulen seien diese unbekannt oder würden nicht angewandt. Ministerpräsident Koch erklärte, es sei illusorisch anzunehmen, dass bei ca. 50 000 Lehrern in Hessen per Erlass eine neue Geisteshaltung zu erzeugen sei. Man werde noch einige Zeit nachdrücklich um die „Köpfe“ ringen müssen.

Über den gelungenen Dialog mit den Vertriebenen Hessens sehr zufrieden, wünschte der Ministerpräsident allen Anwesenden weiterhin viel Erfolg in ihrer wichtigen Arbeit.

Wilhelm Folberth

Schlagwörter: Rente, Recht

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