30. April 2007

Monumentales Medienereignis: "Die Flucht"

Den ARD-Zweiteiler „Die Flucht“ sahen Anfang April 11,16 (1. Teil) und 10,16 Millionen Menschen (2. Teil). Das ergab an den beiden Abenden eine Einschaltquote von jeweils rund 29 Prozent. Dass nach einer aufwändig betriebenen Werbekampagne bald jeder Dritte das Filmepos (nach dem Drehbuch von Gabriela Sperl; Regie führte Kai Wessel) sah, spricht vor allem für die Zugkraft des Themas Flucht und Vertreibung. Der Fernsehfilm löste Diskussionen aus. Die öffentliche Debatte konzentrierte sich vor allem auf die Frage nach dem angemessenen Umgang mit dem Schicksal von 15 Millionen deutschen Vertriebenen, die, auch sechs Jahrzehnte nach ihrem Verlust der Heimat, auf ihren Platz in unserer nationalen Erinnerungskultur warten.
„Die Flucht“ erzählt davon, wie Lena Gräfin von Mahlenberg im Winter 1944 einen Treck mit ihr anvertrauten Menschen von Ostpreußen über das vereiste Haff nach Bayern führt. Die vor der Roten Armee Flüchtenden, überwiegend Frauen und Kinder, (üb)erleben Heimatverlust, Entbehrung, Vergewaltigung, Bombardierung, zuletzt Ausgrenzung am Zielort. Suggestivkräftige Bilder rauschten über Millionen Bildschirme. Was wird haften bleiben? Die ARD unterstreicht: „Der aufwändig produzierte Fernsehfilm mit Maria Furtwängler in der Hauptrolle widmete sich erstmals im deutschen Fernsehen rein fiktional dem Thema Flucht und Vertreibung Deutscher zum Ende des II. Weltkriegs.“ Das ist unstrittig richtig. Diskutabel hingegen bleibt, ob Quote und Qualität übereinstimmten.

Das Schicksal von Lena Gräfin von Mahlenberg (verkörpert von Maria Furtwängler, Ehefrau des Medienmoguls Hubert Burda) hat viele Zuschauer, respektive Angehörige der Erlebnisgeneration bewegt. Stellvertretend dazu eine im „Deutschen Ostdienst“ (DOD) zitierte Meinung: „Es wurde höchste Zeit für diesen Film, denn diese Generation stirbt langsam aus, genauso wie der herrliche ostpreußische Dialekt. Dieser Film hat mich sehr aufgewühlt.“ Bei Filmkritikern fand „Die Flucht“ ein geteiltes Echo. Während die Süddeutsche Zeitung das Prädikat „lehrreich und sehenswert“ vergibt, beurteilt die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Wirkung als „seltsam unpolitisch“. Ansätze zur Kritik formulierten auch Historiker. So seien Haltung und Handeln der Hauptfigur nicht repräsentativ für den ostpreußischen Adel gewesen. Auf der einen Seite steht das Bemühen um eine politisch und historisch korrekte, möglichst differenzierte Darstellung, das den Film durchgängig prägt. Die Authentizität mindern möglicherweise die gewählte filmerzählerische Perspektive, die (unvermeidliche) love story, weitaus stärker die arg romantisierenden Bilder. Das Trauma der Flüchtlinge bleibt auf der Strecke.

„Wir haben uns diese Heimat verdient!“

Abgesehen von dem ARD-Zweiteiler gab es in den Medien in den vergangenen Wochen eine ganze Reihe von Dokumentationen und Diskussionen zum Thema Flucht und Vertreibung. Heftig umstritten war „Sabine Christiansen“ (am 4. März, in unmittelbarem Anschluss an „Die Flucht“) aufgrund der Besetzung der Gesprächsrunde. Die Publikation des Bundes der Vertriebenen, der DOD (Nr.4/2007, Seite 8), moniert, dass das Thema „auf breiter Front zerredet“ worden sei. Zeitzeugen seien allenfalls im Publikum zu finden gewesen und obendrein kein Vertreter der Betroffenenverbände eingeladen worden; stattdessen habe „ein Vertreter (Anmerkung der Redaktion: Marek Cichocki, Berater des polnischen Ministerpräsidenten) eines Staates, der die Vertreibung durchgeführt hatte“, „ungebremst seine Ansichten verbreiten“ dürfen.

Zeitgleich war im Österreichischen Fernsehen ORF 2 die TV-Talkrunde „Offen gesagt“ zu sehen, mit siebenbürgischem Beitrag: Unter den Diskutanten auf dem Podium war auch Pfr. Mag. Volker Petri, Vorsitzender des Bundesverbandes der Siebenbürger Sachsen in Österreich. In seinen Ausführungen betonte Petri den – historisch bedingt – ausgeprägten Patriotismus seiner in Österreich lebenden Landsleute. Vor dem Hintergrund von Flucht und Heimatverlust, der schweren Nachkriegsjahre und der Wiederaufbauleistung in Österreich könne man heute selbstbewusst feststellen: „Wir haben uns diese Heimat verdient!“ In der Sendung wurde auch auf Volker Petris Buch „Österreich – Deine Siebenbürger Sachsen“ (Dresden: Verlag Wort und Welt und Bild, 2001, ISBN 3-9807949-0-3) hingewiesen. Vor dieser Gesprächsrunde strahlte ORF 2 die ausgezeichnete Dokumentation „Heim ins Nichts. Flucht und Vertreibung“ aus. Der Film von Lorenz Gallmetzer beleuchtet das Flucht- und Vertreibungsschicksal der Auslandsdeutschen in Südosteuropa, mithin auch der Siebenbürger Sachsen, differenziert und anschaulich.

Die in unseren Tagen dem Thema Flucht und Vertreibung entgegengebrachte öffentliche Aufmerksamkeit steht in ursächlichem Zusammenhang mit seiner stiefmütterlichen Behandlung in der Bundesrepublik bis in die jüngste Vergangenheit hinein. Das gewachsene Interesse gerade junger Menschen an diesem Teil unserer Zeitgeschichte ist nicht zu verkennen. Dass sich die Geschichtsschreibung, wie von einigen „Zeitgeistforschern“ befürchtet, in die Unterhaltungsindustrie verlagern könnte, wäre schon ob des dort vorherrschenden Quotengebotes gewiss keine erstrebenswerte Zukunftsvision. Medien, Politik und Gesellschaft tragen jedenfalls eine besondere Verantwortung, den deutschen Opfern von Flucht und Vertreibung einen angemessenen Platz in der nationalen Erinnerungskultur einzuräumen. Die biologische Uhr der Erlebnisgeneration läuft ab. Die politische Entscheidung steht weiterhin aus, ob, wie seit Jahren vom Bund der Vertriebenen gefordert, das „Zentrum gegen Vertreibungen“ in Berlin errichtet wird. Die Hoffnung auf ein Zeichen stirbt zuletzt.

Christian Schoger

(gedruckte Ausgabe Siebenbürgische Zeitung, Folge 7 vom 30. April 2007, Seite 5)
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Schlagwörter: Film, Flucht und Vertreibung

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