21. Mai 2008

Christoph Hammer: Was können wir aus der Geschichte lernen?

Der Dinkelsbühler Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer zeigte sich bei der Eröffnung des Heimattages der Siebenbürger Sachsen am 10. Mai (diese Zeitung berichtete) tief beeindruckt von den politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leistungen der Siebenbürger Sachsen und regte den Aufbau eines Hauses der Vertreibung, Flucht und Versöhnung in Dinkelsbühl gemeinsam mit den Sudetendeutschen an. Seine Rede wird im Folgenden gekürzt wiedergegeben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Siebenbürger Sächsinnen und Sachsen, ich darf Sie alle wieder recht herzlich zum Heimattag 2008 in Dinkelsbühl begrüßen. Sie sind seit über 50 Jahren zu Pfingsten jedes Mal in Dinkelsbühl. Für mich persönlich ist es das fünfte Mal, dass ich bei der Eröffnung des Heimattages dabei sein darf, und viele von Ihnen, die hier sitzen, habe ich mittlerweile persönlich kennengelernt. Ich fühle mich inzwischen, auch durch meine Bürgermeisterin Hildegard Beck, bestens eingeführt als kleiner Bestandteil Ihrer großen, weltweit umspannenden Familie und darf mich ganz herzlich bedanken, und zwar nicht nur als Oberbürgermeister, sondern auch als Mensch, dass Sie mich so aufgenommen haben.

Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer würdigte ...
Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer würdigte die Integrationsleistung und das Versöhnungswerk der Siebenbürger Sachsen. Foto: Josef Balazs
Was mich freut, ist, dass ich heute hier Ihren neuen Bundesvorsitzenden offiziell begrüßen darf, Herrn Dr. Fabritius. Als wir uns das erste Mal begegnet sind, hat man gemerkt, das passt zwischenmenschlich, und das ist ja oftmals das Entscheidende für ein gutes Gelingen miteinander. Eine gewisse Nervosität verspüre ich heute, weil der bayerische Ministerpräsident bei uns ist. Seine Anwesenheit als oberster Repräsentant dieses wunderschönen Freistaates Bayern zeichnet diesen Heimattag ganz besonders aus, und dafür, Herr Ministerpräsident, ein herzliches Dankeschön. Gefreut habe ich mich auch wieder den Landtagspräsidenten Herrn Kartmann hier in Dinkelsbühl zu treffen.

Von rumänischer Seite freut es mich, dass wir zum einen Sie, Frau Generalkonsulin, anwesend haben, zum anderen auch Ihr vielleicht berühmtestes Produkt für das Ausland, den Oberbürgermeister aus Hermannstadt. Ich hatte letztes Jahr das Glück, Ihre Stadt zu besuchen, und diejenigen, die vor über zehn Jahren bereits im Karpatenbogen und in Hermannstadt waren, waren absolut beeindruckt, was sich in den letzten Jahren während Ihrer Amtszeit dort getan hat. In Dinkelsbühl gibt es einen siebenbürgischen Wirt, der sagt immer, ich kann mich glücklich schätzen, ich komme aus Hermannstadt und habe dort den besten Bürgermeister. Der ist damals angetreten und hat gesagt, ich will jetzt endlich alle gleich behandeln und in den Mittelpunkt stellen. Das ist gut angekommen und dafür sind Sie uns allen in der Kommunalpolitik auch hier in Bayern ein großes Vorbild.

Mahatma Ghandi stellte einmal fest: „Die Geschichte lehrt den Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt.“ Wir stellen uns die Frage, ob dieser Ausspruch tatsächlich stimmt. Ihr Thema Flucht und Vertreibung über 60 Jahre nach Kriegsende, mit dem wir uns immer wieder befassen, ist ein wesentlicher Bestandteil der europäischen und deutschen Geschichte. Was können wir daraus lernen? Der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker sagte in seiner Rede zum 8. Mai 1985: „Niemand wird vergessen, welch schwere Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und dann auch folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Kriege führte.“ Schätzungen besagen, dass nach dem Abkommen von 1945 etwa 14 Millionen Menschen ihre Heimat in Ost- und Südeuropa verlassen haben, verlassen mussten. 12 Millionen Menschen fanden eine neue Heimat in der damaligen BRD, in der DDR bzw. in Österreich. Diesen Menschen ist noch lange nach Kriegsende bitteres Leid und schweres Unrecht widerfahren. Sie mussten darüber hinaus die oft grauenhaften Erlebnisse ihrer Flucht verarbeiten. Um ihrem schweren Schicksal mit Verständnis zu begegnen, fehlten uns Einheimischen oft die Fantasie und auch das offene Herz. Aber es gab alsbald große Zeichen der Hilfsbereitschaft. Viele Millionen Flüchtlinge und Vertriebene konnten neue Wurzeln schlagen. Ihre Kinder und Enkel bleiben auf vielfache Weise der Kultur und der Liebe zur Heimat ihrer Vorfahren verbunden. Das ist gut so, denn das ist ein wertvoller Schatz in ihrem Leben. Früh und beispielhaft haben sich Heimatvertriebene zum Gewaltverzicht bekannt. Das war keine vergängliche Erklärung im anfänglichen Stadium der Machtlosigkeit, sondern ein Bekenntnis, das seine Gültigkeit bis heute behält und auch Gegenstand aller Heimattage war, die ich miterleben durfte. Die frühe Heimat, Ihre Heimat, ist mittlerweile anderen zur Heimat geworden. Der erzwungenen Wanderschaft von Millionen Deutschen nach Westen folgten Polen, Tschechen, Russen, Ungarn, Rumänen, Sinti und Roma. Es sind alles Menschen, die nicht gefragt wurden, Menschen, die Unrecht erlitten haben, Menschen, die wehrlose Opfer der politischen Ereignisse wurden und denen keine Aufrechnung von Unrecht wiedergutmachen kann, was ihnen angetan wurde.

Konrad Adenauer hat gesagt: „Die Weltgeschichte ist auch die Summe dessen, was vermeidbar gewesen wäre.“ Wir wissen vieles, das vermeidbar gewesen wäre. Was können wir also trotz Mahatma Ghandi aus der Geschichte lernen? Wo können wir „Brücken über Grenzen“ schlagen zu einer dauerhaften europäischen Friedensordnung, die nicht an den früheren Grenzen des Warschauer Paktes Halt macht?

Ich freue mich, dass Dinkelsbühl seit über 50 Jahren zu Pfingsten die Heimatstadt der Siebenbürger Sachsen geworden ist. Ich danke den Siebenbürger Sachsen, die sich in Dinkelsbühl niedergelassen haben, dafür, was sie für unsere Stadt getan haben, nämlich nach dem Zweiten Weltkrieg federführend zum Gelingen dieser Entwicklung hier in Dinkelsbühl beigetragen zu haben. Wir stehen in Ihrer Schuld. Ich danke, dass Sie, trotz Ihrer schlimmen Geschichte, mit Ihren Familien zu uns gekommen sind. Ich bedanke mich für die große integrative Leistung, die Sie bei uns vollbracht haben. Dinkelsbühl war über Jahre hinweg ein zentraler Punkt europäischer Politik. Viele Minister, Außenminister, Konsule, Botschafter haben sich zum Heimattag hier getroffen. Das friedliche Miteinander, die europäische Erweiterung ist immer diskutiert worden. Mich hat es beeindruckt, dass die Siebenbürger Sachsen immer geprägt waren von Versöhnung, nicht von Ressentiments, nicht von Wut und Hass, sondern ganz im Gegenteil eine Landsmannschaft waren, die immer die Hand ausgestreckt hat.

Dinkelsbühl versteht sich als Brückenkopf zwischen Frankreich, Guérande, wo wir nach dem Zweiten Weltkrieg versucht haben Freundschaften aufzubauen, damit die kriegerischen Vergangenheiten überwunden werden, und ähnlich sehen wir es auch mit der Partnerschaft mit Schäßburg. Ganz herzlich möchte ich mich bei Johann Schuller, der leider von uns gegangen ist, bedanken, der dies federführend mit verfolgt und betrieben hat. Wir haben aus der Vergangenheit gelernt, waren selber von Flucht und Vertreibung bedroht, hatten, Gott sei’s gedankt, im Zweiten Weltkrieg nicht unter der damaligen schlimmen Zerstörung zu leiden, aber haben letztendlich von viel Unrecht profitiert: durch die Zuwanderung der Siebenbürger Sachsen. Ich wünsche Ihnen einen glücklichen, schönen, gesunden und erfolgreichen Heimattag 2008.

Schlagwörter: Heimattag 2008, Dinkelsbühl, Christoph Hammer

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