13. Dezember 2008

Blick zurück ins Dunkel: Schwarze-Kirche-Prozess in Kronstadt

Am 22. Dezember 1958 verurteilte das zuständige Klausenburger Militärgericht in Kron­stadt 20 Personen für Vergehen, die in einem demokratisch regierten Land nicht als Straf­taten sanktioniert werden. Von der Securitate aber, die die Anklage vorbereitet hatte, waren durch Psychoterror und Folter erpresste Aus­sagen umgedeutet und als gefährliche politische Verbrechen gegen den kommunis­tischen Staat ausgelegt worden.
Die schwersten vom Militärstaatsanwalt erhobenen Vorwürfe lauteten, eine Verschwörung gegen den kommunistischen Staat organisiert und die Schwarze Kirche in ein Spionagezentrum verwandelt zu haben. Der Hauptangeklagte, Stadtpfarrer Konrad Möckel, damals 66 Jahre alt, wurde zu schwerem Kerker auf Lebenszeit verurteilt, acht Angeklagte zu lebenslänglicher Zwangs­arbeit, und alle anderen erhielten langjährige Haftstrafen.

Nach der Wende, im Jahre 1992, hat der Obers­te Gerichtshof Rumäniens den so genannten Schwarze-Kirche-Prozess (Procesul Biserica Neagră) für null und nichtig erklärt und alle Be­troffenen rehabilitiert. Auf Anregung eines der Opfer, Günter Volkmer, veranstaltete die „Akade­mie Mitteleuropa“ 50 Jahre nach dem Ereignis ein Seminar, an dem ehemalige Verurteilte teilnahmen. Es fand vom 21. bis zum 23. November im „Heiligenhof“ in Bad Kissingen statt.

Absurde Anklagen

In Rumänien war es bis 1990 gefährlich, in der Öffentlichkeit über die politischen Prozesse zu sprechen. Wegen des Tabus herrschte innerhalb der Bevölkerung Unklarheit sowohl über die Zahl der Fälle als auch über die von der Par­teiführung verfolgten Ziele. Inzwischen haben sich engagierte Historiker eine Übersicht verschafft. Wie Dr. Cornelius Radu Zach beim Semi­nar mitteilte, haben laut Angaben des Zeithisto­rikers Gheorghe Onișoru, des ehemaligen Vorsit­zenden der Behörde zur Aufarbeitung der Secu­ritate-Akten (CNSAS), allein in den Jah­ren 1949-1960 in Rumänien 134 150 politische Prozesse stattgefunden, bei denen mindestens 547 400 Personen zu Gefängnisstrafen von insgesamt mehr als drei Millio­nen Jahren verurteilt wurden. Bei 15 Millionen Einwohnern ergibt das einen Prozent­satz von mehr als 3,6 % politisch Verurteilter. Man suchte der Bevölkerung Angst einzujagen.
Konrad Möckel (rechts) übergibt wieder ...
Konrad Möckel (rechts) übergibt wieder ausgegrabene österreichisch-ungarische Karten an Securitate-Offiziere. Das Foto aus dem Archiv der CNSAS wurde in dem neuen Pintilescu-Buch veröffentlicht.
Der Schwarze-Kirche-Prozess fällt in die Zeit nach dem antikommunistischen Volksaufstand in Ungarn, der die Parteiführung zutiefst beunru­higte, zumal die studierende Ju­gend, die künftige Elite der Gesellschaft, offen ihre Sym­pathie für das Nachbarland gezeigt hatte. Des­halb ergriff die Parteiführung präventiv Maß­nah­men gegen alle sozialen Gruppen, die als Op­po­sition in Frage kamen, von den Bridge-Spielern bis zu den Brief­markensammlern, und zu diesen gehörten natürlich die immer schon renitente ungarische Minderheit und die seit dem Zweiten Weltkrieg verdächtige deutsche Minderheit. Überdies bildeten die Siebenbürger Sachsen eine dank ihrer Kirche relativ geschlossene, für die kommunistische Ideologie schwer zugängliche Gemein­schaft. Von den 20 im Schwarze-Kirche-Prozess Angeklagten waren 16 weniger als 30 Jahre alt, vier von diesen Stu­den­ten, drei weitere junge Hoch­schulab­solven­ten.

Nun hatte der Kronstädter Stadtpfarrer Kon­rad Möckel nicht nur in seinen Predigten Aussa­gen getätigt, die vom kommunistischen Regime als staatsfeindlich eingestuft werden konnten, sondern auch das Erziehungsmonopol des Staa­tes in Frage gestellt, indem er „Jugendstunden“ abhielt und die Wiederbelebung der tra­ditionellen Bruderschaften und Schwesternschaf­ten der sächsischen Jugendlichen betrieb. Dem Regime war er ein Dorn im Auge. Also trug die Securi­tate belastendes Material gegen ihn zusammen, wobei ihr besonders während der Verhöre zupasse kam, dass Möckel, der keine Erfahrungen im Umgang mit der Securitate besaß, aus heutiger Sicht verblüffend unvorsichtig war. Das ging so weit, dass er in der Untersu­chungshaft, seine Brille war ihm abgenommen worden, guten Glaubens Verhörprotokolle unterschrieb, ohne diese gelesen zu haben. Er hatte statistische An­gaben zu der Russland-Deportation und Agrar­reform von 1945 in die Bundesrepublik geschickt, sich mit Geistli­chen aus dem Westen getroffen, 77 aus der österreichisch-ungarischen Zeit stammende Landkarten heimlich vergraben, und unter seinen Bü­chern fand sich Literatur aus der Nazizeit. In den „Jugendstunden“ hatte er sich gegen Misch­ehen ausgesprochen.
50 Jahre danach: Andreas Möckel (Erster von ...
50 Jahre danach: Andreas Möckel (Erster von links), Sohn von Pfarrer Konrad Möckel, zusammen mit sieben Opfern des Schwarze-Kirche-Prozesses und des Prejba-Prozesses bei der Tagung in Bad Kissingen, von links: Teodor Moldovan-Sponer, Werner Knall, Emil Krafft (Popescu), Karl Dendorfer, Peter Hönig, Gerhard Gross und Hans Bordon. Foto: Gerald Volkmer
Haupt einer Verschwörung hinzustellen, die in Siebenbürgen die Erhaltung einer Insel der west­lichen Kultur als Opposition zum Kommunismus anstrebte, die die sächsischen Jugendlichen be­waffnen und im Falle eines Krieges mit den kapi­talistischen Län­dern oder im Falle einer Konter­revolution den Gegner unterstützen wollte. Das Urteil gegen Mö­ckel sollte die Kirche selbst treffen – sie in die Schranken weisen.

Es gab noch einen weiteren Grund, den Stadt­pfarrer in den Vordergrund der Anklage zu stellen, war er doch mit mehreren Personen be­kannt, die ebenfalls die Aufmerksamkeit der Securitate auf sich gezogen hatten, aber keine Verbindung zueinander unterhielten: mit den Angestellten der Honterusgemeinde, mit dem Li­teraturzirkel um Horst Depner, mit dem Freun­deskreis um Günter Volkmer wie auch mit den Geschwistern Herberth und Maria Luise Roth. Monatelang sammelte die Securitate Indizien: kritische mündliche Äußerungen zur wirtschaft­lichen und politischen Lage, Überlegungen zur Zukunft der Siebenbürger Sachsen, die naiven Vorstellungen einiger von einer Organisation und der Notwendigkeit, Waffen bedienen zu können, den Informati­onsaustausch mit einem Besucher aus der BRD, einen Brief an den Sender „Freies Europa“, Tagebuchnotizen, Zeitungen aus dem Westen und Bücher aus der Zwischenkriegszeit. Sie führte die vier genannten Gruppen künstlich zusammen und bauschte die an sich politisch belanglosen Fakten – denn eine Organisation hat effektiv nicht bestanden – zu einer vernichtenden Anklage auf. Alle Tätigkeiten der Ange­klag­ten wurden als Formen des Nationalismus inter­pretiert. Man weiß heute, dass die Securitate sich später bemühte, mit Blick auf ihre Theorie einer deutsch-nationalen Verschwörung auch eine Verbindung zwischen dem Schwarze-Kir­che-Prozess und dem 1959 verhan­delten Schrift­stellerprozess zu konstruieren. Mit der Unterstellung, die jungen Angeklagten hätten geschworen, keine Mischehe einzugehen, tauchte auch der Begriff „Edelsachsen“ auf.

Professor Dr. Andreas Möckel während seines ...
Professor Dr. Andreas Möckel während seines Vortrages in Bad Kissingen.
Der Schwarze-Kirche-Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Es dürfte an den schrecklichen Strafen gelegen haben, dass Teile der Bevölkerung die absurden Anklagen für bare Münze nahmen. Als einige der Opfer nach sechs Jahren durch eine Amnestie die Freiheit erlangten, zogen sich die Bekannten von ihnen zurück. „Sie fragten, wie man so blöd sein kön­ne“, berichtete Emil Krafft-Popescu im Rahmen der Podiumsdiskussion. „Edelsachsen? Einen eigenen Staat errichten? Mit Waffen gegen die Regierung kämpfen? Hier! Und sie tippten mit dem Finger an die Stirn.“ Solche falschen Vor­stellungen zirkulieren bis heute.

An eine Kette geschmiedet

Die von Prof. Dr. Andreas Möckel (einem Sohn Konrad Möckels) in Bad Kissingen moderierte Po­diumsdiskussion war einer von zwei Höhe­punk­ten der Veranstaltung. Sechs der ehemaligen Opfer schilderten ihre Erlebnisse und wurden von den im Saal anwesenden Zeitzeugen bestätigt. Wie sie an ihre Unschuld glaubten, bis das vom Militärstaatsanwalt geforderte fantastische Strafmaß sie überwältigte. Wie sie beim Jäten in den Reisfeldern durch Peitschenhiebe angetrieben wurden. Wie sie Schilf schnitten. Wie sie hungerten und froren. Gerhard Gross bewegte das Publikum mit seinen Erinnerungen an die ihm angeschmiedete Kette. Damals wurden alle zu mehr als 15 Jahren Verurteilten an eine Kette geschmiedet und mit dem Vermerk „ffp“, d. h. „foarte, foarte periculos“ also „sehr, sehr gefähr­lich“ gekennzeichnet. Gerhard Gross war wegen Vaterlandsverrat zu lebenslänglicher Zwangs­arbeit verurteilt worden.

Der zweite Höhepunkt der Veranstaltung war der Vortrag des Historikers Corneliu Pintilescu aus Klausenburg, der, gestützt auf die Gerichts­akten, eine Lizenziatsarbeit zum Schwarze-Kirche-Prozess verfasst und anschlie­ßend mit Opfern gesprochen hat. Von ihm liegt seit Kur­zem eine 235 Seiten starke Dokumentation in rumänischer Sprache mit deutscher Zusammen­fassung vor („Procesul Biserica Neagră 1958“), die gleichzeitig im Verlag des Arbeitskreises für Siebenbürgische Lan­deskunde e.V. in Heidelberg und im Kronstädter Aldus-Verlag erschienen ist.
Die Historiker Corneliu Pintilescu aus ...
Die Historiker Corneliu Pintilescu aus Klausenburg (links) und Thomas Sindilariu aus Kronstadt.
Die anderen Vorträge bildeten den Rahmen für das Hauptthema. Dr. Otfried Pustejovsky re­fe­rierte über politische Prozesse in Ostmittel- und Südosteuropa im Vergleich, Dr. Cornelius R. Zach über die politischen Prozesse in Rumänien während der Stalin-Zeit. Thomas Șindilariu, Ar­chivar der Honterusgemeinde von Kronstadt, hielt einen Lichtbildvortrag über die Ent­wick­lung der Burzenländer Metropole nach dem Zweiten Weltkrieg; er hatte auch eine aktuelle Ausstellung des von ihm geleiteten Archivs mitgebracht. Dr. Andreas Möckel sprach über die Haltung seines Vaters im Prozess sowie über dessen politische und theologische Anschauun­gen. Schließlich referierte Dr. Michael Kroner zusammenfassend über die politisch motivierten Verhaftungen und Prozesse gegen Deutsche in Rumänien in den Jahren des kommunistischen Regimes. Zum Ab­schluss präsentierte der Filmemacher Günter Czernetzky einen Werk­stattbericht zu einem einschlägigen Dokumen­tarstreifen.

Hans Fink

Bildergalerie:

50 Jahre nach dem Schwarze-Kirche-Prozess: Tagung vom 21.-23. November 2008 in Bad Kissingen

Schlagwörter: Kommunismus, Vergangenheitsbewältigung, Bad Kissingen, Schwarze-Kirche-Prozess

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