5. Januar 2011

Familie Scholtes beim Pioniertag in Kitchener geehrt

Beim „Tag der deutschen Pioniere“, einer jährlichen Feier mit Musik und Ausstellungen, werden deutsche Familien oder Gruppen geehrt, die in Kitchener und Waterloo Bedeutendes leisten bzw. geleistet haben. Anwesend im Rathaus von Kitchener waren prominente Vertreter der Stadtverwaltung, der regionalen, provinzialen und der Bundesregierung, der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Kanada, der verschiedenen deutschen Vereine und ein saalfüllendes Publikum. Durch das Programm führte Gerhard Griebenow, Vorsitzender des Pioniertagkomitees und Präsident des Transylvania Chores.
Die Transylvania Blaskapelle unter der Leitung von Stefan Schatz sen. spielte traditionelle Unterhaltungsmusik, darunter einige Stücke vom Gründer und ehemaligen Dirigenten der Kapelle, Walter Scholtes. Walter (1913-1999) und Rosina Scholtes (1918-1996), aus Bistritz stammend, und deren Nachkommen wurden für ihre kulturellen Beiträge geehrt.

Nach der Einwanderung nach Kanada 1949 wurde die Familie Scholtes sofort in das musikalische Leben von Kitchener und Waterloo eingebunden. Als Musiklehrer und Musiker waren Walter und Rosina Scholtes Triebfedern in Sachen Musik und deutscher Kultur. Walter Scholtes wurde Komponist und Arrangeur von C. F. Thiele (Gründer des Musikverlages, der Waterloo Music Company und der damals berühmten internationalen Blasmusikfestivals). Er spielte in der städtischen Blaskapelle, leitete mehrere Tanzkapellen und war Dirigent der Operetten-Gesellschaft. Wegen seiner schönen Notenschrift bat ihn sein Chef, sämtliche Musikstücke des Verlages handschriftlich für den Druck vorzubereiten. Er erfand ein System zum Notendruck, das einmalig in der Welt ist. Dieser technische Fortschritt wurde in mühevoller Arbeit mit seiner Frau Rosina entwickelt und zwei Jahrzehnte lang – noch vor dem Computerzeitalter – benutzt. Walter arbeitete bei der Vorbereitung zur Herausgabe kanadischer Musikstücke und Lehrwerke mit vielen Komponisten und Musikpädagogen zusammen und wurde für seine guten Redigierarbeiten und die hervorragende technische Qualität seiner Arbeit hoch geschätzt.
Musikalische Familie: Walter, Dietmar (hinten), ...
Musikalische Familie: Walter, Dietmar (hinten), Waltraut, Rosina und Waldemar Scholtes.
Walter und Rosina Scholtes waren treibende Kräfte hinter der Musikszene und der deutschen Gemeinschaft in der engeren Umgebung, später auch auf Bundesebene und international. Rosina, ausgebildete Pianistin und frühere Organistin in der Bistritzer Stadtpfarrkirche, fungierte als Begleiterin am Klavier. Walter dirigierte den Concordia Chor und war im Zuge der großen Einwanderung der Siebenbürger Sachsen in den 50er Jahren an der Gründung des Transylvania Klubs und seiner Kulturgruppen beteiligt. Er gründete den Transylvania Chor und die Transylvania Blasmusik, für die er Arrangements und Kompositionen schuf, und führte diese in Kanada, den Vereinigten Staaten und Europa auf. Walter und Rosina waren an der Gründung einer deutschen Theatergruppe, einer Volkstanzgruppe, einer deutschen Sprachschule und einer Siebenbürgisch-Lutherischen Kirche beteiligt. Chor, Blasmusik und Tanzgruppe bestehen bis heute.

Das erste deutsche Sängerfest in Kanada nach dem 2. Weltkrieg wurde im Transylvania Klub auf Initiative und unter der Leitung von Walter Scholtes durchgeführt. Auf sein Betreiben wurde der Deutsch-Kanadische Sängerbund ins Leben gerufen. Walter war Mitglied im Vorstand und der erste Bundesliedermeister für gemischte Chöre. Zur Hundertjahrfeier des Deutschen Sängerbundes leitete er 1962 den Deutsch-Kanadischen Sängerbund auf dessen erster Reise nach Deutschland, schrieb instrumentale Arrangements und dirigierte den Massenchor und das Orchester. Im Jahre 1968 unternahm er mit dem Transylvania Chor zum ersten Mal eine Konzertreise nach Europa. Dies war ein Ansporn für spätere Reisen unter seinen Nachfolgern – besonders unter Pastor Martin Intscher –, an denen sich auch die Transylvania Blasmusik und die Volkstanzgruppe beteiligten.

Im „Lexikon der Siebenbürger Sachsen“ wird Walter Scholtes als Komponist vieler Werke aufgeführt: Sologesang, instrumentale Werke, Kammermusik, Chorwerke, Lieder in Bistritzer Mundart, Symphonetten für Blasmusik und größere Werke, zum Beispiel das Bühnenspiel „Aus der Jugendzeit” und Chorfeiern. Für seine Leistungen im Dienst der deutschen und siebenbürgischen Gemeinschaft wurde er vom Transylvania Klub Kitchener, der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Kanada, der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, dem Deutsch-Kanadischen Sängerbund und dem Deutsch-Kanadischen Kongress geehrt.

Die intensive Beteiligung von Walter Scholtes an den musikalischen und deutschen Traditionen und Aktivitäten schloss die ganze Familie ein. Zur Durchführung seiner Ziele waren die Unterstützung und Hilfe seiner Frau Rosina unschätzbar und die Kinder Dietmar, Waldtraut, Waldemar und Hildegard beteiligten sich ebenfalls und setzen diese Tradition fort.

Tochter Hildegard Lindschinger studierte Kunstgeschichte und ist zuständig für Kunstbildersammlungen in der Bibliothek der Wilfrid Laurier Universität. Zunächst als Lehrerin an einer öffentlichen Schule und an den deutschen Sprachschulen Concordia und der Bethel-Kirche tätig, arbeitete sie einige Jahre mit dem Drucksystem des Vaters. Sie spielte in einem Gemeindeorchester Oboe und fungiert zur Zeit als freiwillige Archivistin für diese Organisation. Sie beteiligt sich rege am kirchlichen Leben: im Kirchenchor, in der Handglockengruppe und beim Unterricht in der Sonntagsschule der Redeemer Lutheran Church (Evangelisch-Lutherische Erlösergemeinde). Sie hat siebenbürgische Volkserzählungen bearbeitet, mit ihrem Bruder Waldemar an seinen deutschen und englischen Übersetzungen siebenbürgischer Mundartautoren zusammengearbeitet und arbeitet an einem Projekt zu siebenbürgischen Stickmustern.

Hildegards Tochter Heidi Gallas hat einen Abschluss von der Wilfrid Laurier Universität (WLU) und den Magistergrad in Klavierbegleitung von der University of Western Ontario. Sie war über zehn Jahre Fakultäts-Mitglied in der Musikabteilung an der WLU als Klavierbegleiterin für das Oboenstudio und als Korrepetitorin für einige Gesangstudios und unterrichtete Musiktheorie und Gehörbildung. Als Musikdirektorin, Organistin und Chordirigentin an der Redeemer Lutheran Church (Evangelisch-Lutheri- sche Erlösergemeinde) ist sie für ein reges Musikprogramm zuständig. Sie wirkt in kirchlichen Organisationen auf örtlicher und Bundesebene mit, in der liturgischen Gottesdienstvorbereitung und Beratung, als Leiterin verschiedener Workshops und als Dirigentin. Am Klavier arbeitetet Heidi mit Sängern und Instrumentalisten bei Konzertaufführungen, u. a. mit ihrem Cousin, Violinist Marcus Scholtes.

Die Schwiegertochter Pieternella (Nellie) Scholtes hat an der WLU ein Studium als Berufssängerin abgeschlossen. Sie trat viele Jahre mit der Canadian Opera Company auf, unterhielt ein privates Musikstudio für Gesang, Klavier und Musiktheorie und unterrichtete Gehörbildung und Musiktheorie. Sie ist Gründungsmitglied der Elora Festival Singers, Kanadas führendem Berufskammerchor, der preisgekrönte CDs herausgab und des Öfteren im nationalen Radiosender CBC zu hören ist. Nellie ist außerdem als Berufssängerin beim Torontoer Mendelssohn Chor und den Mendelssohn Singers angestellt. Sie ist seit ihrem 17. Lebensjahr begeisterte Kirchenmusikerin und gegenwärtig Musikdirektorin in der Evangelisch-Lutherischen Bethel-Kirche, die Gottesdienste in Deutsch und Englisch hält.

Dr. Waldemar Scholtes, Sohn von Walter und Rosina, hat in Kanada und Deutschland studiert mit mehreren Abschlüssen in Musik, Deutsch und Pädagogik. Zusätzlich hat er das B-Diplom der nationalen Organistengesellschaft, des Royal Canadian College of Organists, und war Vorsitzender der lokalen Abteilung dieser Institution. Waldemar war aktiver Musiker und Dirigent verschiedener Musikgruppen in Kanada und Deutschland. Er war an vielen Untergruppen des Transylvania Klubs beteiligt und dirigierte kurze Zeit dessen Chor. Er komponiert und arrangiert eifrig, mit Hauptinteresse für Orgelmusik, Instrumentalmusik – im Besonderen Bläser-Ensemble – und deutsche Chormusik für den liturgischen Gebrauch. Seit 1970 hat er ausschließlich in Kirchen gedient, die auch deutsche Ge- meinden haben: als Organist in der Pilgerkirche und St. Peters Kirche, die viele siebenbürgische Mitglieder hat, als Musikdirektor der Evangelisch-Lutherischen Bethel-Kirche und der Römisch-Katholischen St. Mary’s Kirche. Als Chordirigent war Waldemar Gast der „Zentralstelle für den deutschen Chorgesang in der Welt“ in Solingen, wo er Chorseminare, deutsche Chorwettbewerbe und Sängerfeste besuchte. Außerdem war er ausländischer Korrespondent für die erste Chorolympiade in Linz, Österreich.

Seine Karriere als Pädagoge begann Waldemar unter der Leitung von Max Gross (Bistritzer Freund und Kollege von Walter Scholtes) in der deutschen Sprachschule des Transylvania Klubs. Er leitete ein privates Musikstudio und unterrichtete Musik und Deutsch. Er wurde Fakultätsmitglied der deutschen Abteilung der WLU und ist zur Zeit Professor für deutsche Sprache an der Universität Guelph. Einige seiner Gedichte sind in deutschen Anthologien erschienen und er hat einige Bücher und CDs zu siebenbürgischen Mundartautoren herausgegeben.

Marcus Scholtes, Sohn von Nellie und Waldemar, hat Uni-Abschlüsse als Konzertgeiger von der McGill Universität in Montréal und der Universität Michigan und ist Doktorand an der Musikabteilung der Indiana Universität in Bloomington, Indiana (USA), wo er das Fach Violine unterrichtet. Seine Nebenfächer für das Doktorat schließen Musikpädagogik wie auch Orchester- und Chordirigieren ein. Während seines Studiums hat er viele Auszeichnungen und Stipendien erhalten. Er hat bei international berühmten Violinisten studiert und sich an mehreren Festivals beteiligt, z. B. der Akademie Do- main Forget in Québec, Kanada, dem American Institute of Musical Studies in Graz, Österreich und dem Killington Musikfestival in Vermont, USA. Er war Konzertmeister des Orchesters des Schleswig-Holstein Musikfestivals unter der künstlerischen Leitung von Christoph Eschenbach. Die Konzerttouren dieses Orchesters führten ihn nach Berlin, Dresden, Wiesbaden, Hamburg und nach Dänemark, Polen, Ungarn und in die Tschechische Republik. Als preisgekrönter Pianist überrascht Marcus bei seinen Geigenvorträgen mit einer Zugabe eines Klavierwerkes.

Im Rahmen des Festprogramms am „Tag der deutschen Pioniere“ gab Nellie Scholtes ein Gesangssolo zum Besten, am Klavier begleitet von ihrer Nichte Heidi Gallas. Es war eine Komposition von Walter Scholtes zu einem Text von Elfriede Csallner, der ehemaligen Schulleiterin des Bistritzer Gymnasiums. Ferner traten Heidi, Hildegard, Nellie und Waldemar mit fünf engen Freunden – darunter die Siebenbürger Margit Fritsch und Jeremy Frim – als Kammerchor auf und sangen je zwei Kompositionen und zwei Arrangements von Walter und Waldemar Scholtes.

Hildegard Lindschinger, Waldemar Scholtes

Schlagwörter: Kanada, Ehrungen

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