3. April 2011

Leserecho: Informelle Mitarbeiter der Securitate auch im Lehrerkollegium

Im Folgenden berichtet Johann Seiler über die Einsicht in seine Securitate-Akte und erzählt, wieso er ab 1959 seinen Lehrberuf nicht mehr ausüben durfte.
Es war Anfang Juni 1956 und unsere Ausbildungszeit zum Grundschullehrer an der Lehrerbildungsanstalt in Hermannstadt näherte sich ihrem Ende. Wir machten uns darüber Gedanken, wie es nach der Diplomprüfung weitergehen könnte. Die Erfahrungen der vorigen Absolventenjahrgänge verhießen aber nichts Gutes: Es war ein „Überschuss“ an deutschen Grundschullehrern ausgebildet worden und unsere Chance auf freie Lehrerstellen an Schulen mit deutschen Abteilungen war sehr gering.

In dieser prekären Lage ließ uns der pensionierte Arzt Dr. Karl Egon Gundhart aus Hermannstadt mitteilen, dass es in Oberwischau offene Lehrerstellen an der Allgemeinschule gebe. Dr. Gundhart war in der Zwischenkriegszeit im Verband der Deutschen in Großrumänien zuständig für betreuungsbedürftige Landsleute. In der Kleinstadt in der Maramuresch lebten 3500 Oberwischauer Zipser Deutsche. Tatsächlich wurden ich und noch zwei junge Lehramtswärter im Herbst 1956 eingestellt.

Anfangs war ich Grundschullehrer, wurde aber bald an die Oberstufe versetzt, weil dort akuter Lehrermangel herrschte. Ich unterrichtete hauptsächlich die Fächer Erdkunde, Geschichte, Turnen und Sport, sowie Verfassung. In den Schulbüchern wurde ich oft mit „Ungereimtheiten“ konfrontiert und fühlte mich bemüßigt, mit Kollegen darüber zu sprechen. Ich wusste aber nicht, dass einer von ihnen Informeller Mitarbeiter (IM) der Securitate war. Ausgerechnet mit diesem Kollegen wohnte ich, aus Mangel an Alternativen, gemeinsam in einem Zimmer. Er reichte meine „regimefeindlichen“ Kommentare an seinen Verbindungsoffizier weiter. Obwohl Mitglied unseres deutschen Lehrerkollegiums, trug er den rumänischen Codenamen Gheorghe Ionescu.

Im März 2009 konnte ich in Bukarest im Lesesaal des Nationalen Rates für das Studium der Securitate-Archive (CNSAS) Einsicht in die über mich und Gundhart angelegten Dossiers nehmen. Es waren fünf Stück mit insgesamt 520 „File“ Blättern.

Dort fand ich Schwarz auf Weiß die Bestätigung, dass der IM Gh. Ionescu der inzwischen verstorbene Kollege Felix W. war. Es war eine große Enttäuschung zu erfahren, dass eigene Landsleute mein Vertrauen missbraucht hatten.

Die Art, wie „Ionescu“ meine Äußerungen, aufgeschrieben hat, lässt vermuten, dass es ihm Spaß gemacht hatte, mich „in die Pfanne zu hauen“. Er berichtete so umfangreich, dass sich die Vernehmungsoffiziere keine besondere Mühe zu geben brauchten, um aus seinen Notizen handfeste Anklagepunkte zu formulieren. Aus dem Wust an handgeschriebenen „note informative“ hatte der Verbindungsoffizier jedoch überwiegend „prozessrelevantes Material“ in Schreibmaschinenschrift übertragen. Der Urheber war leicht zu erkennen, denn die Notizen von dem als Mathematiklehrer tätigen Kollegen lagen auf kariertem Matheheft-Papier vor.

In den Unterlagen wurde unter anderem behauptet, ich hätte im Spätsommer 1956 in zwei sathmarschwäbischen Dörfern, in Beschened und Bildegg, beim Sammeln von Unterschriften für die Gründung deutscher Schulen nationalistisches Gedankengut verbreitet. Ich und ein Kollege hatten zwar tatsächlich für die Gründung deutscher Schulen geworben, aber nur in dem Sinne, dass die nationalen Minderheiten ein Recht auf Unterricht in ihrer Muttersprache haben sollten. Das war keineswegs regimefeindlich, sondern stand sogar in der rumänischen Verfassung. Aber die Vernehmungsoffiziere hatten aus dem Gerücht einen Anklagepunkt formuliert, obwohl sie dafür keinen Zeugen bekommen konnten.

In unserem Kollegium gab es noch einen weiteren IM, den damaligen Schuldirektor der Deutschen Schule, Paul L. Er hat jedoch über mich, das kann ich aufgrund der Einsicht in die erwähnten Dossiers sagen, relativ wenig berichtet. Meist waren es kaum verwertbare Mutmaßungen. Er hatte (unter dem Decknamen Mann Aurel) den Auftrag, über meine Beziehungen zu den Sathmarer Schwaben zu berichten.

Schützenhilfe erhielt die Securitate von der „ungarischen Seite“, beispielsweise von Lehrkräften, die befürchteten, sie könnten durch die Eröffnung deutscher Schulen Schüler verlieren. Und wenn die von den IM gelieferten „Fakten“ für eine Anklage nicht ausreichten, erfanden die Staatssicherheitsmänner selber welche. Außerdem scheuten sie weder physische Gewalt noch psychischen Terror.

Bald hatten die mich vernehmenden Offiziere genug belastendes Material gesammelt, um mir daraus „einen Strick“ drehen zu können. Es reichte für eine Verurteilung im November 1959 zu vier Jahren Gefängnis und Arbeitslager, sowie Berufsverbot möglicherweise bis zum Erreichen des Rentenalters. Trotz mehrerer Versuche, wieder eine Einstellung in den Schuldienst zu bekommen, ist mir dies in zehn Jahren nicht gelungen. Ich war gezwungen, mein Brot als Lagerverwalter und Dreher zu verdienen. Das habe ich damals als Fortsetzung der Haftstrafe in anderer Form empfunden.

Johann Seiler, Drabenderhöhe

Schlagwörter: Leserecho, Securitate, Lehrer

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