18. August 2012

Leserecho: Moral ist immer zweischneidig

Zum Beitrag von Sabina Kienlechner, „Der Spitzel als moralisches Problem“
Der Beitrag beleuchtet sehr gut Aspekte des Spitzelns, über die es sich lohnt, tiefer nachzudenken und dabei auch die eigene Haltung zu den angesprochenen Aspekten mal klarzustellen: Wo stehe ich? Wie würde ich…? (bleibt bis zum Ernstfall rein hypothetisch, aber man kann es sich ja fragen). Was empört mich wirklich und am meisten an einer Spitzelaffäre? Welche Fälle lasse ich kommentarlos durchgehen (weil sie mich nicht berühren)? Mir erscheint dieser Beitrag eben auch als eine Herausforderung an die Moral des Einzelnen.

Die „gefühlte“ Kälte des Windes oder den „gefühlten“ Schmerz einer Misshandlung als zweitrangig einzustufen, wie Kienlechner es vorschlägt, stimmt meines Erachtens nicht überein mit unserer Natur. Es ist keineswegs ein Irrtum, wenn der Mensch das, was ihm zustößt, zuerst an sich selbst misst und darauf seine Meinung begründet. Das, was wir innerlich fühlen und erleben bei einem Geschehen, ist genauso wichtig, wenn nicht entscheidender für unsere moralische Haltung, als das Geschehen selbst. Sind es doch gerade die negativ gefühlten Folgen von Handlungen anderer, die zur Erklärung der Menschenrechte geführt haben. Zuerst empfinden wir und danach machen wir daraus eine ethische Norm, persönlich wie kollektiv, bis hin zu Gesetzesregelungen.

Was der Beitrag nicht erwähnt – aber ich kenne die Langfassung des Vortrags nicht – und was ich ausschlaggebend für die Beurteilung einer Spitzeltätigkeit erachte, ist die Situation, in der ein Mensch die Entscheidung trifft zu spitzeln und wie frei oder (oft schuldlos) erpressbar er dabei ist. Im schlimmsten Fall verliere ich mein Leben, wenn ich mich weigere mitzuarbeiten (Drogenkartelle, Mafia, kriminelle Banden usw.). Außerdem weiß heute jeder, dass alle Länder einen Geheimdienst unterhalten, der Agenten beschäftigt, wie nicht zuletzt auch die in die Rechtsradikalenszene eingeschleusten V-Leute. Und wer regt sich im Moment wirklich über den Tatbestand der Einschleusung auf? Es heißt allenthalben „zur Sicherheit des Staates“, in der Demokratie wie in der Diktatur. Der große Unterschied ist das Maß an Freiwilligkeit der „Täter“.

Es stimmt – und gerade im digitalen Zeitalter –, dass Information ein weltweites Gut der Gleichberechtigung ist oder sein sollte. Vielleicht wird es Zeit, dass Staaten wie z.B. China oder Nordkorea und kürzlich auch Russland, die einem ganzen Volk das Recht auf Information vorenthalten, nach Art. 19 der Menschenrechts-Charta auch mal vor den Internationalen Ge- richtshof in Den Haag zitiert werden. Aber soweit sind wir noch nicht. Jedenfalls weiß man ja, dass man nie genau wissen kann, was wirklich geschehen ist, sicher nicht, wenn die Medien im Spiel sind, und vor allem, wenn Gegensätze politischer Systeme zu totaler Verdrehung von Täter- und Opferrollen führen. Denn worauf beruht ein solches System? Auf Grundsätzen, die zu Normen und Gesetzen wurden im eigenen Interesse. Wo finde ich dann noch eine moralische Instanz wahrer Menschlichkeit, wenn um mich herum nur Unwahrheiten gelten? – Eine Lage, in der sich alle Menschen in einer kommunistischen Diktatur befinden und oft nicht nur sie. Ich meine, die einzig verlässliche Instanz für Menschlichkeit liegt im einzelnen Individuum, in dir und mir und dem, wie ich mit anderen umgehe. Moral ist immer zweischneidig: nach innen wie nach außen. Weil wir eben Menschen sind und keine reinen Faktenvertilger.

Sabine Pastior, St. Peter

Schlagwörter: Leserecho, Securitate

Bewerten:

11 Bewertungen: o

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.