31. Oktober 2016

Im Räderwerk zwischen Ost- und Westblock: Kinostart "Die Reise mit Vater"

Aus der Realität ihrer Familiengeschichte heraus erzählt die rumänische Regisseurin und Drehbuchautorin Anca Miruna Lăzărescu in ihrem Spielfilm „Die Reise mit Vater“ über turbulente Zeiten, die ihr Vater als junger Mann durchmachen musste, als er Ende der sechziger Jahre unvorbereitet zwischen die Räder des Ost- und Westblocks geriet und dabei nicht nur politische, sondern vor allem ganz persönliche Entscheidungsprozesse durchmachen musste. Der inzwischen mehrfach preisgekrönte Film startet am 17. November in den deutschen Kinos.
Die Geschichte einer Reise, die in Arad beginnt, unvorhergesehen nach München führt und somit eine dreiköpfige Familie vor die schicksalshafte Gewissensfrage stellt, Bleiben oder Zurückgehen, ist wegen der geschichtlichen Authentizität wichtig, dabei dramaturgisch abwechslungsreich, mal lustig, mal melancholisch erzählt, und erfreut sich einer gelungenen Mischung aus ironisch-fröhlichen und melancholischen musikalischen Kompositionen von Ferenc Darvas.

Der Film eröffnet ein weniger bekanntes Kapitel der Geschichte. Als 1968 der tschechische Generalsekretär Alexander Dubček eine Revolte gegen Unterdrückung auslöste, die später als Prager Frühling bekannt wurde, verurteilte Ceaușescu das Einmarschieren der Sowjetpanzer öffentlich und erwarb sich damit das Ansehen des Westens – US-Präsident Nixon besuchte ihn, von der Bundesrepublik Deutschland erhielt er gar das Großkreuz, Königin Elizabeth II verlieh ihm (zu ihrer Ehrenrettung widerwillig) einen Ritterorden, IWF und Weltbank nahmen Rumänien auf. Das alles zu einer Zeit, als schon lange das System des Denunziantentums und der Securitate in Rumänien aufgebaut war und eine Atmosphäre der Angst und des Misstrauens unter den Menschen verbreitete.

Ironischerweise waren 1968 die Reiseeinschränkungen gelockert, Ceaușescu proklamierte das „Internationale Tourismusjahr“, so dass rumänische Familien zwar nur in den Ostblock, aber immerhin weg durften. In diese Zeit fällt die Geschichte der Brüder Mihai und Emil und deren Vater William Reinholz. Der Vater ein Donauschwabe (der unerklärterweise einen englischen Vornamen hat), die verstorbene Mutter Rumänin. Und hier beginnt die erste Schwäche des Films. Leider ist der stark rumänisch gefärbte Akzent des Vaters im Deutschen von so störender historischer Ungenauigkeit, dass der Film schon hier unglaubwürdig wird. Die deutsche Synchronisation wird in diesem Fall eine Schwäche glattbügeln müssen. Auch weiter im Verlauf des Films wechselt die Familie sauber von Deutsch zu Rumänisch und zurück. Dass möglicherweise ein Gemisch beider Sprachen in der Familie vorkam, wäre nachvollziehbarer gewesen.

Der verantwortungsvolle und aufopfernde junge Arzt Mihai lebt ein Leben im Selbstvorwurf und duckt sich, versucht, durch scheinheilige Mitarbeit bei der Geheimpolizei seiner Familie Vorteile zu verschaffen, die Gesundheit des Vaters und die Zukunft des jüngeren Bruders zu schützen. Letzterer ist gefährlich aufsässig und damit stellvertretend das moralische Gewissen des Films, der rumänischen Gesellschaft schlechthin. Durch Emil stellt der Film entscheidende Fragen: Ist es wichtiger, die Familie durch Unterwerfung und Verrat vor dem Schlimmsten zu bewahren, oder soll man das Äußerste riskieren, um seine Unschuld und sein Gewissen zu retten? Hier bereits merkt man weitere Schwächen des Films – die Brüder sind wahrscheinlich zwei Charakterseiten eines realen Menschen: der angepasste Realist und der aufrüherische Idealist. Dadurch wirken sie auch wie zwei unvollkommene und einseitige Charaktere im Film.

Während der Großteil des Films den inneren Kampf Mihais durch Hochs und Tiefs begleitet, lässt er ihn am Ende im Stich. Wo man eigentlich einen gebrochenen Mihai vorfinden müsste, bleibt er, trotz aller Unwägsamkeiten, die ihm begegnet waren, unverändert. Nur der jüngere Bruder hat eine Veränderung durchgemacht, die aber leider zum Schluss nur sehr kurz und schauspielerisch schwach dargestellt wird. Dennoch ist die Reise der drei aus dem Banat über Ungarn, die Tschechoslowakei bis hin – und das sehr unverhofft – nach München, mit der etwas holprig erzählten Liebesgeschichte Mihais mit einer sozialistischen Ideologin aus München, mitfühlend erzählt. Die abenteuerliche Abfolge zeigt offen und ehrlich die politischen Zusammenhänge (die Bestialität der Securitate, die Grobheit der DDR-Grenzsoldaten, versuchter Zwang der westlichen Geheimpolizei zur Spionagetätigkeit innerhalb der kommunistischen Zelle in München) und ganz private Entscheidungen. Der Film zeichnet ein teilweise absurdes Bild des Westens, aber er spricht auch zum Zuschauer, wenn er feststellt, dass BRD-Bürger sich ihrer Freiheit und ihres Wohlstands nicht erfreuen können, wobei er doch für andere mit hartem Kampf und Selbstverzicht erworben ist.

Der Film fragt, auf welche Werte man sich in schwierigen, ja schicksalhaften Entscheidungsprozessen besinnt. Die Tatsache, dass die Extremen der politisch-sozialen Systeme in Ost und West, die stürmischen, aber gnadenlos ehrlichen Beziehungen der Figuren untereinander, wie auch die teilweise zurückgenommenen Dialoge Raum zum Nachdenken schaffen, macht diesen Film sehenswert.

Hilde Ottschofski

Schlagwörter: Film

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