14. Mai 2017

Abschied vom Glöckchengeläut des Priesters: Zu den Anfängen der Reformation in Siebenbürgen

Die Ursachen der Reformation waren in Siebenbürgen kaum andere als im restlichen Europa, vor allem in Deutschland. Die Menschen waren mit dem Zustand der römisch-katholischen Kirche höchst unzufrieden. Ihre Verweltlichung und das Gewinnstreben ihrer Priester führten zu einer Entfremdung von den Menschen, deren Bedarf an Spiritualität sie immer weniger befriedigen konnte. Viele fühlten sich vom Gegensatz zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Lebenswandel der Priester, vom Ämtermissbrauch, der religiösen Überreglementierung im Alltag, dem Ablasshandel, dem weltlichen Verhalten vieler Bischöfe und der Päpste (die mehr Politiker und Heerführer waren als Seelenhirten) abgestoßen. Bischöfe und Päpste wetteiferten mit weltlichem Adel und Königen im Prunk ihrer Hofhaltung. Um ihre Kosten zu decken, strebten sie nach vermehrtem Gelderwerb.
Der unmittelbare Anlass der Reformation war der von Erzbischof Albrecht von Brandenburg in Absprache mit Papst Leo X. eingeführte Ablasshandel. Das heißt, Menschen konnten sich gegen einen gewissen Geldbetrag von ihren Sünden loskaufen, um damit dem späteren Fegefeuer zu entgehen. Jede Sünde hatte ihren Tarif. Dem widersprach der Augustinermönch und Wittenberger Theologieprofessor Martin Luther. Seiner Meinung nach ist die Demut des Menschen vor Gott der Schlüssel zu seiner Erlösung. Zwischen Menschen und Gott sei eine Trennlinie gezogen, die zu überschreiten ein Frevel sei. Indem die Päpste sich anmaßten, anstelle Gottes über das Seelenheil der Menschen zu entscheiden, überschritten sie diese Grenze.

Frühes Echo von Luthers Reformation in Siebenbürgen

Luther verbreitete seine Lehren durch seine Schriften, die dank des kurz zuvor erfundenen Buchdrucks eine rasante Verbreitung fanden. Siebenbürgische Kaufleute kauften auf ihren Handelsreisen in Deutschland diese Schriften und brachten sie nach Siebenbürgen. Hier fanden sie interessierte Leser. Aus dem anfänglichen Interesse einiger weniger entstand in kurzer Zeit eine Bewegung, die in Hermannstadt 1520 ins öffentliche Blickfeld trat. Verbote fruchteten nichts, weil die Stimmung in der Bürgerschaft derart antiklerikal aufgeladen war, dass selbst höchste geistliche Autoritäten kaum noch beachtet wurden. In Hermannstadt kursierten im Jahre 1524 Spottgedichte und Schmähschriften gegen die Geistlichkeit. Zwei dieser Werke, die in Latein geschrieben wurden, sind erhalten geblieben. In dem einen heißt es: „Papistische Sekte mit verlogenem Leben/Besinne dich und korrigiere deine Fehler.“ In dem anderen: „Geht ihr Mönche feist,/ Voll fetter Pfründen zumeist,/ In Überfluss schwamm euer Orden,/ Jetzt seid ihr überflüssig geworden.“ Das war für die damalige Zeit ein Skandal. Als Autor dieser Schriften wurde der Schulrektor Johann Mild verdächtigt. Er wurde vor das geistliche Gericht geladen, doch konnte ihm die Urheberschaft nicht nachgewiesen werden. Das Gericht verurteilte ihn trotzdem zu einer Geldstrafe von 40 Gulden. Darüber war Mild derart erbost, dass er den Schuldienst quittierte, damit seinem Dienstherren, der Kirche, kündigte und die Stelle als Notar im Dienste der Stadt antrat.
Friedrich Mieß: Johannes Honterus (1898, ...
Friedrich Mieß: Johannes Honterus (1898, Ausschnitt), ev. Kirchengemeinde Heldsdorf. Fast lebensgroßes Ölbild des Reformators, das aus Anlass der 400-Jahrfeier seines Geburtstages entstand – und dennoch in Vergessenheit geriet. Im Werkverzeichnis des Friedrich-Mieß-Kataloges des Kronstädter Kunstmuseums von 2014 sucht man es vergebens. Bildtexte und Fotos: Konrad Klein
Aus einer Klageschrift des Hermannstädter Dechanten Petrus Thonhäuser an den Graner Erzbischof Ladislaus Szalkai erfahren wir im Jahr 1526, dass der Magistrat beim Stadtpfarrer die Zulassung evangelischer Predigten durchgesetzt habe. Die ersten evangelischen Prediger waren die Schlesier Ambrosius und Conrad Weich. Sie und die noch weiter folgenden Prediger fanden in der Bürgerschaft begeisterte Aufnahme. Vor allem die Kaufleute überboten sich mit Einladungen. Die Folge war Respektlosigkeit gegenüber der Geistlichkeit. Thonhäuser beschwerte sich, dass der Magistrat nicht dagegen einschritt, ja diese Entwicklung sogar unterstützte. Er nannte vor allem den Ratsnotar Johannes Hecht, der in seinem Haus sogar eine evangelische Schule eingerichtet habe. Da würden die Messe und das Glaubensbekenntnis in deutscher Sprache gelesen und das Abendmahl in beiderlei Gestalt (Brot und Wein) ausgeteilt. Daran würden sogar der Bürgermeister, der Ex-Bürgermeister und Ratsmitglieder teilnehmen. Es sei sogar so weit gekommen, schrieb Thonhäuser, dass der Stadtrat den Pleban gezwungen habe, auf die Kanzeln der Kirchen auch lutherische Prediger zuzulassen.

Erzbischof Szalkai leitete diese Klageschrift an König Ludwig II. weiter. Der König schrieb daraufhin am 19. Juli 1526 einen besonders harschen Brief an den Hermannstädter Königsrichter Markus Pempflinger und forderte ihn auf, energische Schritte gegen die Luther-Anhänger zu unternehmen, sonst würde er Amt und Vermögen verlieren. Dieser Brief blieb folgenlos, denn am 29. August 1526 kam es zur Schlacht von Mohatsch, in der Ungarn von den Osmanen vernichtend geschlagen wurden und auch König Ludwig II. sein Leben verlor. Diese Tragödie, die die Vernichtung des ungarischen Staates bedeutete, rettete die Evangelischen. Da es jetzt keine staatliche Macht mehr gab, die der katholischen Kirche Hilfe leisten konnte, war diese dem Wind der Veränderung schutzlos ausgesetzt.

Die Reformation im Burzenland

Vor allem in den sächsischen Städten gab es lange Zeit ein Nebeneinander von katholischem und evangelischem Leben. Die Strukturen der alten Kirche waren intakt, aber die Stadtführung und große Teile der Bürgerschaft waren auf Seite der protestantischen Sache. Während in Hermannstadt diese Patt-Situation zu einem Erlahmen der evangelischen Bewegung führte, begann sie in Kronstadt Fahrt aufzunehmen. Bedeutsam war, dass hier – wie auch in Hermannstadt – einflussreiche Anhänger Luthers im Stadtrat saßen.

Am 19. Februar 1539 traten die Pfarrer des Kronstädter Kapitels unter dem Vorsitz von Stadtpfarrer Jeremias Jekel zusammen. Dieser hielt die Zeit für gekommen, die Reformation auf den Weg zu bringen. Man weiß nicht genau, was beschlossen wurde, vermutet aber, da der 19. Februar damals ein Aschermittwoch war, dass die Fastengebote aufgehoben worden waren.

Die Stadtführung war überrascht und berief noch am gleichen Tag die Gauversammlung zu einer außerordentlichen Sitzung, denn mit dieser Kapitelsentscheidung waren Recht und Tradition außer Kraft gesetzt. Was hier beschlossen wurde, wissen wir nicht, aber wir wissen, dass die Stadtführung diese Entscheidung der Kirchenoberen ablehnte, da Stadtrichter Lukas Hirscher ein entschiedener Reformationsgegner war. Auch Johannes Honterus, der zukünftige Reformator, soll zu diesem Zeitpunkt dagegen gewesen sein, weil er Reformen innerhalb der „alten“ Kirche wollte. Das bedeutet, dass es in Kronstadt und im Burzenland eine Gruppe Geistlicher um Jeremias Jekel gab, die eine radikale Erneuerung forderte, während eine zweite Gruppe um Johannes Honterus eine „gemäßigtere“ Richtung einschlug.
Elisabethkirche in Hermannstadt, Aquarell von ...
Elisabethkirche in Hermannstadt, Aquarell von Johann Böbel, 1870, Brukenthalbibliothek (Böbel-Album). Der Überlieferung nach wurde 1524 in dieser Kirche erstmals in Siebenbürgen evangelischer Gottesdienst abgehalten. Das in der Elisabethgasse gelegene Gotteshaus wurde 1868 abgetragen.
Nach Lukas Hirschers Tod am 19. April 1541 wurde Johann Fuchs der Jüngere Stadtrichter, ein glühender Reformations-Anhänger. Daraufhin ging die Reformation wieder in kleinen Schritten weiter. Sein erster Beschluss war, das Katharinenkloster südwestlich der Schwarzen Kirche ­(damals Marienkirche) gelegen, wo heute das Honterus-Gymnasium beheimatet ist, zu beschlagnahmen und in eine Schule umzuwandeln.

Allmählich änderte sich auch die Haltung von Honterus. Grund dafür war wahrscheinlich die Haltung in der Abendmahlsfrage, gegenüber der Bedeutung des Austeilens von Brot und Wein im Gottesdienst. Die unterschiedliche Antwort auf diese Frage unterscheidet bis heute die christlichen Konfessionen und teilte sogar die Reformatoren.

Landgraf Philipp von Hessen wollte den Abendmahlsstreit zwischen Martin Luther und Huldrych Zwingli, dem Schweizer Reformator aus Zürich, schlichten und hatte deshalb die beiden vom 1. bis 4. Oktober 1529 auf sein Schloss in Marburg eingeladen. Einig waren sich beide nur in der Ablehnung der katholischen Transsubstantiationslehre, nach der sich Brot und Wein während der Messe mit dem Glöckchengeläut des Priesters auf mystische Weise in das wahre Fleisch und Blut des Herrn verwandeln. Zwar ging auch Luther beim Abendmahl von der Realpräsenz Christi aus, doch geschieht das seiner Meinung nach durch die Gleichsetzung von Brot und Wein: „Was ist das wahre Sakrament des Altars? Es ist der wahre Leib und Blut unseres Herrn Jesus Christus, unter dem Brot und Wein uns Christen zu essen und trinken von Christus selbst eingesetzt.“ Für Zwingli hatte das Abendmahl nur eine symbolische Kraft, die an den Auferstandenen erinnern soll. An dieser Meinungsverschiedenheit scheiterte das Marburger Religionsgespräch.

Der Kronstädter Johannes Honterus kam schon während seines Basler Aufenthaltes unter den Einfluss von Professoren, die der Wittenberger Richtung anhingen, war aber offenbar noch unentschlossen. Als er aber später Luthers „Kleinen Katechismus“ in seiner Druckerei drucken ließ, hatte er sich vermutlich schon für Luther entschieden. Die Forschung ist sich heute einig, dass die Kronstädter Reformatoren, an der Spitze mit Honterus, erst 1541 auf die Wittenberger Linie eingeschwenkt sind.

An vielen Orten des Burzenlandes wie Kronstadt, Tartlau und Brenndorf wurden Änderungen in der Messordnung vorgenommen, allerdings an jedem Ort anders. Als am 8. April 1542 der siebenbürgische Bischof Johann Statilius, ein hartnäckiger Verfolger aller Reformierten, starb, sahen die Kronstädter die Zeit für gekommen, zur Tat zu schreiten. Die drohende Kriegsgefahr ließ zudem in der Stadt eine Art von Untergangsstimmung aufkommen, die die Menschen für kirchliche „Verbesserungen“ empfänglicher machte.

„Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade.“ Es ...
„Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade.“ Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass über dem Eingang zum evangelischen Stadtpfarrhaus eine „katholische“ Maria im Strahlenkranz wacht. Das Fresko wurde 2006 entdeckt und stammt aus den Jahren um 1500. Darunter (hier nicht mehr sichtbar) das berühmte Renaissance-Wappen von 1502 des Pfarrers Johannes von Alzen.
Der Kronstädter Stadtrat übergab die Neuordnung der Kirche und alle anderen „Glaubensdinge“ in die Hand von Honterus. Im Schatten der politischen Ereignisse (es herrschte ein Bürgerkrieg um den vakanten ungarischen Thron zwischen König Ferdinand I. und dem siebenbürgischen Woiwoden Johann Szapolyai, in den sich auch die Türken einmischten) fiel das Geschehen in Kronstadt nicht auf. Am 3. Oktober 1542 fand der erste evangelische Gottesdienst auf Betreiben von Stadtrichter Johann Fuchs und Stadtrat Johannes Honterus in der Stadtkirche (heute „Schwarze Kirche“) statt.

Was hatte sich verändert? Anstelle des Kanons mit dem Messopfer war die Feier des Abendmahls in beiderlei Gestalt getreten. Das bedeutet, dass auch den Laien der Kelch mit Wein gereicht wurde. Ansonsten hatte der Gottesdienst damals noch sehr viel mehr Ähnlichkeit mit der katholischen Messe als mit einem heutigen evangelischen Gottesdienst. Die Priester trugen noch ihre alten liturgischen Gewänder, die Liturgie wurde auf Latein gesungen, nur der Sprachteil (Einsetzungsworte und Schriftlesungen) erfolgte auf Deutsch.

Von Kronstadt aus verbreitete sich die neue Gottesdienstordnung im ganzen Burzenland. Am 6. Dezember 1542 gab es bereits die erste Kirchenvisitation. Um sich nicht zu verzetteln und der Reformation Dauer zu verleihen, war ein einheitliches Vorgehen notwendig. Daher erteilte der Stadtrat Honterus den Auftrag, zum Abschluss der Reformation und zur Herstellung der kirchlichen Einheit die Reformen schriftlich festzuhalten. So entstand 1543 das „Reformationsbüchlein für Kronstadt und das gesamte Burzenland“.

Verbreitung der Reformation im Sachsenland

Wie aber sah es in den anderen sächsischen Orten aus? Mathias Ramser, der Stadtpfarrer von Hermannstadt und Dechant des Hermannstädter Kapitels, besuchte 1540 und 1541 Kronstadt, um sich über die dortige Lage zu informieren. Im Jahre 1543 schickte ihm das Kronstädter Kapitel drei Exemplare des Reformationsbüchleins von Honterus. Ramser hatte trotz seiner reformatorischen Gesinnung nicht den Bruch mit der katholischen Kirche im Auge und verhielt sich sehr vorsichtig. Er schickte ein Reformationsbüchlein nach Wittenberg, um es von Luther, Melanchthon und Bugenhagen (Stadtpfarrer von Wittenberg) prüfen zu lassen. Von allen dreien erhielt er dazu zusagende und lobende Schreiben. Bei so viel Zustimmung aus Wittenberg mussten auch in Hermannstadt alle Bedenken gegenüber der Kronstädter Reformation fallen. Wie in Kronstadt war auch in Hermannstadt der Stadtrat an der Spitze mit Bürgermeister Petrus Haller die treibende Kraft, unterstützt von Königsrichter Georg Hutter und dessen Nachfolger Johann Roth. Nach sorgfältiger Vorbereitung wurde 1543 die Kirche in Hermannstadt im Sinne des Kronstädter Reformationsbüchleins reformiert. Im Frühjahr 1544 konnte Mathias Ramser in Begleitung einiger Ratsherren eine Visitation im Hermannstädter Kapitel durchführen und den Sieg der Reformation feststellen. Die Stadt zog die Güter der Kirche und der Klöster ein, verkaufte vier Häuser der Dominikaner und errichtete von dem Geld an der Südseite der Stadtpfarrkirche ein neues Schulhaus (an Stelle dieses Schulhauses wurde 1779-1781 das heutige Brukenthal-Gymnasium gebaut). Die Mönche und Nonnen mussten ins weltliche Leben zurückkehren oder an einen anderen Ort ziehen. Dabei wurden sie nicht bedrängt, nicht bedroht, es gab keine feindselige Stimmung. Manche heirateten und erhielten von der Stadt eine Starthilfe für die Gründung eines eigenen Haushalts.

Ähnlich verlief die Reformation auch in den anderen sächsischen Orten wie Mediasch, Schäßburg, Mühlbach oder Bistritz und den angren­zenden Dörfern. Ab 1544 übernahm die Nationsuniversität die Führung in der reformatorischen Umgestaltung des Sachsenlandes. Es wurde ein Ausschuss „gelehrter Männer“ gebildet, der am Sonntag, 20. März 1547, in Hermannstadt zusammentrat; in wenigen Wochen wurde, auf der Grundlage des Kronstädter Reformationsbüchleins, die „Kirchenordnung aller Deutschen in Siebenbürgen“ erarbeitet. Die Nationsuniversität beschloss am 20. April 1550, dass nach dieser Ordnung die Kirchen in allen Städten und Dörfer des Sachsenlandes reformiert werden sollten. Damit war die Kirche der Siebenbürger Sachsen der Zuständigkeit der katholischen Kirche entzogen. Es war die Geburtsstunde der Evangelischen Kirche Augsburger Bekenntnisses in Siebenbürgen.

Wilhelm Andreas Baumgärtner

Schlagwörter: Reformation, Reformationsjubiläum, Burzenland, Honterus

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