1. Juni 2020

Pfingsten in Zeiten der Corona-Krise

Pfingsten – die Geburtsstunde der Kirche. Ein außergewöhnliches Ereignis im ersten Jahrhundert n.Chr. Der entscheidende Impuls für die ersten Anhänger des auferstandenen Christus, sich in seinem Namen zu versammeln und Gemeinschaft neu zu erleben.
Festliche Einführung (Präsentation) von Pfarrer ...
Festliche Einführung (Präsentation) von Pfarrer Helmut Kramer (Fünfter von links) am 21. Mai 1989 in Brenndorf, Dritter von links ist der Kronstädter Bezirksdechant Johann Orendi.
Was die erste Gemeinde nach der Berichterstattung im Neuen Testament auszeichnet, ist ein enormer Aufbruch, eine Initialzündung, wie es sie so nie mehr geben wird: „Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet“, lesen wir in der Apostelgeschichte des Lukas (2,42) „Sie waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden“. So setzt Lukas in den Versen 44-47 fort. Hier ist eine ganz neue Gemeinschaft entstanden, eine neue Zelle gesellschaftlichen Miteinanders, die ihresgleichen in der Geschichte der Menschheit sucht.

Pfingsten: eine Zäsur in Raum und Zeit. Die Erinnerung an Pfingsten wird in jedem Jahr zur Herausforderung für die heutigen Kirchen: Zum einen sollen und müssen sie sich auf ihre Wurzeln besinnen, zum anderen wird ihnen zugemutet, sich den Fehlern der Vergangenheit zu stellen und den Mut zu haben, sich trotz aller Irrungen der Kirchengeschichte als Gemeinschaft unter dem Auftrag des lebendigen Wortes Gottes zu verstehen. Paradoxerweise – und das steht konträr zum eigentlichen Auftrag – wird ihnen gerade zu Pfingsten schmerzlich bewusst, dass sie schon lange nicht mehr jene Schlüsselstellung in der Gesellschaft innehaben, die sie gerne hätten. Kirchliches Geschehen ist im gesellschaftlichen Kontext auf der Jagd nach immer höher und immer weiter zur Randerscheinung geworden, um die geistlichen Bedürfnisse einiger Weniger abzudecken. „Herr Pfarrer, wir wissen ja, wo die Kirche steht. Wenn wir sie brauchen, kommen wir.“ Dieser Satz, von einem Gemeindeglied mit einer Mischung aus Unschuld und Unbedarftheit ausgesprochen, spiegelt wider, was die meisten denken: Im Grunde brauchen wir sie nicht; und wenn doch, dann möge sie doch bitte nach unserem Geschmack präsent sein.

Pfarrer Helmut Kramer hielt die Predigt beim ...
Pfarrer Helmut Kramer hielt die Predigt beim zwölften Nachbarschaftstag der "Dorfgemeinschaft der Brenndörfer" am 26. September 2015 in Brackenheim. Foto: Petra Reiner
Nun stellt uns die Coronavirus-Pandemie, eine Krise von noch nicht gekanntem Ausmaß, vor neue Fragen und Herausforderungen und ändert schlagartig manche Sichtweisen. Eine Zäsur in der neuesten Geschichte, wie sie uns deutlicher und mahnender die Grenzen von Wachstum und Globalisierung nicht vor Augen führen konnte, erinnert uns an die Oberflächlichkeit unseres Seins. Plötzlich kennt man wieder die bange Frage, die lange schon verschüttet war: „Werde ich überleben, wirst du überleben?“ Chance eines Neubeginns? Und wie sieht der dann aus? Einfach weitermachen, wie bisher? Dort weitermachen, wo wir unterbrochen wurden?

Danach sieht es vorläufig aus: Nicht nur dort weitermachen, wo wir unterbrochen wurden, sondern zusätzlich wieder aufholen, was wir vermeintlich versäumt haben. Ich fürchte, damit hätten wir nichts gelernt. Wir hätten uns nicht mal Zeit genommen, uns der Frage zu stellen, was diese ganze Veränderung der letzten Monate mit uns zu tun hat.

Krisenzeiten sind Katastrophenzeiten. Man gerät leicht in Gefahr, den Halt zu verlieren. Die erste Kirche erinnert uns daran, dass Krisenzeiten auch Lehrzeiten sein können: Zeiten der Besinnung auf das, was einmal getragen hat; Zeiten der Einkehr und des Mutes zu der Frage: Was trägt eigentlich mein Leben? Wo wäre ein Richtungswechsel angesagt? Was muss anders werden? Also nicht einfach weitermachen, sondern kurz innehalten. Und damit Anteil haben an Umkehr und Neubeginn.

Ich wünsche uns den Mut, uns diesen Fragen zu stellen – an einem Pfingstfest, wo wir mehr wissen sollten als nur, „wo die Kirche steht“…

In herzlicher Verbundenheit mit den besten Wünschen für das Pfingstfest

Helmut Kramer

Biographische Daten zum Autor

Pfarrer Helmut Kramer, geboren 1960 in Kronstadt, Schule und Gymnasium ebendort, Studium der Theologie in Hermannstadt, Vikariat in Rosenau, von 1985 bis 1989 Pfarrer in Marienburg, von 1989 bis 1992 Pfarrer in Brenndorf, Aussiedlung im Sommer 1992, seit Ende 1993 Pfarrer in der Hannoverschen Landeskirche (Kirchengemeinde Ehra), seit 2003 Pfarrer in den pfarramtlich verbundenen Kirchengemeinden Brome-Tülau-Ehra, Mitarbeit in den Gremien des Kirchenkreises Wolfsburg-Wittingen (2017 und 2018 stellvertretender Superintendent im Kirchenkreis Wolfsburg-Wittingen), seit 1994 gestaltet er als Pfarrer ehrenamtlich die Nachbarschaftstage der „Dorfgemeinschaft der Brenndörfer“ mit, seit ca. 1996 (mit Unterbrechung) ehrenamtliche Begleitung der kirchlichen Veranstaltungen und Feste der Kreisgruppe Wolfsburg des Verbands der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V.

Schlagwörter: Pfingsten, Predigt, Geistliches Wort, Kirche und Heimat, Kronstadt, Brenndorf, Marienburg

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