5. März 2025

Hegt wird gesangen!: „Mer wealle bleïwe, wat mer sen“

Den Text des Liedes „Mer wealle bleïwe, wat mer sen“ (Sachse-Schwur), Wir wollen bleiben, was wir sind (Sachsen-Schwur) schrieb der Mediascher Stadtpfarrer Josef Lehrer (1874-1944). Vertont wurde er vom Rektor-Lehrer Heinrich Bretz (1862-1947).
Nach dem Österreichisch-Ungarischem Ausgleich 1867 wurde Siebenbürgen unmittelbar dem Königreich Ungarn integriert und die Nationsuniversität der Siebenbürger Sachsen (seit 1486 ihr politisches Selbstverwaltungsorgan) aufgelöst. Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Bemühungen Ungarns, die nichtmagyarische Bevölkerung zu assimilieren, verstärkt. Ungarisch wurde Amtssprache; die Vornamen wurden magyarisiert (z.B. Johann – János – einige Jahrzehnte später wurde aus dem Johann – Ion). Das 1907 erlassene „Apponyi Gesetz“ sah u.a. vor, dass an allen Grundschulen in ungarischer Sprache in Schrift und Wort unterrichtet werden muss. Diese zwanghaften Magyiarisierungsmaßnahmen verängstigten die um ihre Sprache, ihre kulturellen Werte und um ihre Identität fürchtenden Siebenbürger Sachsen und weckten ihre Abwehr unter Intellektuellen. Politische Lieder und Gedichte – heute ist man auf solche Inhalte sensibler geworden – wurden in sächsischen Kreisen vermehrt publik gemacht.

Seit seiner Entstehung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, hat das Lied Sachse-Schwur (Mer wealle bleïwe, wat mer sen) im Laufe der folgenden Jahrzehnte unterschiedliche Wertungen erfahren. Der Textdichter Josef Lehrer (1874-1944) entnahm die programmatische Eingangszeile, – der er in der letzten Strophe noch einmal Nachdruck verleiht – Mer wealle bleïwe, wåt mer sen – dem patriotischen Festgedicht des Luxemburgers Michel Lentz (1820-1893) De Feierwon (Der Feuerwagen, 1859). Es wurde zur Einweihung der ersten Luxemburger Bahnstrecke geschrieben. Die sechs lëtzebuergeschen Wörter Mir wölle bleiwe, wat mir sin, die den Erker eines Hauses in der Hauptstadt zieren, richteten sich gegen preußische und französische Machtansprüche (s. auch Siebenbürgische Zeitung vom 15. August 1993, S. 6.).

Lehrer ignorierte jedoch diese ursprüngliche Luxemburger Intention gegen Assimilierung durch die Deutschen und feierte in der 3. Strophe sein Deutschtum als Antwort auf zeitgenössische Magyarisierungstendenzen. Eas Härz äs detsch, eas Gott äs detsch, än eas uch ease Kängden. Mer wealle bleïwe, wåt mer sen, Gott healf es etzt uch ängden! Aus der heutigen Sicht klingen diese Zeilen überheblich und peinlich. Einige Chöre singen darum alternativ eas Gott äs troa oder eas Blat äs detsch – trotzdem passt dieses Lied, das, öffentlich gesungen, als Integrationsverweigerung verstanden werden kann, nicht mehr in die heutige Zeit. Als wir vor zehn Jahren die Liedersammlung „E Liedchen hälft ängden“ zusammengestellt haben, hatten wir mit Rosemarie Chrestels und Hanni Markel lange überlegt, ob wir es aufnehmen sollten. Wir brachten es, neben etlichen anderen Liedern der Sammlung, die heute nicht mehr gesungen werden, als Faktum eines kulturhistorischen Tatbestandes.

Vertont wurde Lehrers Gedicht zuerst vom Mediascher Musikdirektor Andreas Nikolaus und veröffentlicht in „Sieben Volkslieder für gemischten Chor in siebenbürgisch-sächsischer Mundart – Was die Bauern singen und sagen“ von J. Lehrer vertont von A. Nikolaus, Heft I, Verlag bei G. A. Reissenberger Mediasch. Folgende sechs Lieder von Josef Lehrer sind noch dabei: Ech geng eander dem Fenster verbä, Ech kån et net vergiëßen, Ech hun dich gern, En Oingelchen, Wonn der Riuse nemi bläden, De Bäld schmäckt ich mät Bleamen. Kuriosität am Rande: Eines dieser Hefte wurde 1927 bei der Renovierung des Tramiterturms zusammen mit anderen Schriften in den Knauf eines der vier Ecktürmchen eingeschlossen. Weitere Veröffentlichungen „Für die Bruder- und Schwersterschaft vom Lande“ trugen dazu bei, dass einige dieser Lieder Volksgut wurden. Durch die weite Verbreitung der Liedersammlung „Froher Dreiklang“ hat sich jedoch in den Folgejahren die Melodie von Heinrich Bretz durchgesetzt.

Heinrich Bretz (*1862 Scholten, †1947 Marktschelken) war 42 Jahre lang Rektor in Marktschelken. Sein Vater Georg Bretz (1827-1869) war ebenfalls Predigerlehrer, Chorleiter und Komponist. Auch Heinrichs Sohn Heinrich Emil Bretz (1862-1947) führte diese Tradition weiter. (vgl. auch Jahrbuch 2025, Hg. Hans-Gerhard Gross, S. 120). Seit 1847 dienten in fünf Bretz-Generationen Lehrerinnen (5) und Lehrer (8) in 30 Ortschaften in Siebenbürgen.

Heinrich Bretz, 1862-1947. Foto: aus Privatbesitz ...
Heinrich Bretz, 1862-1947. Foto: aus Privatbesitz
Heinrich Bretz war nach seiner Pensionierung zwischen 1930-1940 noch jahresweise in Kastenholz, Arbegen, Stolzenburg, Burgberg und Kleinschelken als Lehrer tätig. Neben seinem Lehrerberuf gründete und leitete Bretz auch Chöre und schuf und sammelte über hundert weltliche und geistliche Lieder. Als Rektor und Lehrer war er für das Kulturleben und die Jugendarbeit der jeweiligen Dörfer zuständig.

1907 gründete Heinrich Bretz den Weißbacher Sängerbund, zu dem die Gemeinden Marktschelken, Kleinschelken, Arbegen, Frauendorf, Klein- und Großprobstdorf gehörten. Die Jugendverbände der Gemeinden veranstalteten alljährlich Sängerfahrten, „um durch die Pflege des deutschen Liedes Liebe zu Heimat und Volk, Anstand und Sitte in den jugendlichen Herzen zu wecken und zu pflegen“, wie Bretz im Vorwort seiner 1911 herausgegebener Liedersammlung „Froher Dreiklang“ betonte. Um den Chören das Singen zu erleichtern, komponierte Heinrich Bretz dreistimmige Sätze und ließ die Noten zunächst auf eigene Kosten drucken, damit diese nicht weiter von Hand abgeschrieben werden mussten. Bischof Friedrich Teutsch (1852-1933) hatte die 50 Lieder – die Mehrzahl ist in Hochdeutsch – für alle evangelischen Volksschulen empfohlen.

Zwischen 1907 und 1911 vertonte Heinrich Bretz eine Reihe politischer Gedichte – zum Teil mit majestätischen, feierlich-stimmungsvollen und kraftvollen Melodien – die identitätsstabilisierend wirken sollten. Von den 28 Liedern im 1. Kapitel „Heimat, Volk und Vaterland“ befinden sich zwölf Vertonungen von Heinrich Bretz, z.B.: Bleibe treu (Deiner Sprache, deiner Sitte, deiner Toten bleibe treu) von Michael Albert (1836-1893), Sachsesch (Wä? Ich sil net sachsesch riëden) von Viktor Kästner (1826-1857) und die beiden Gedichte von Josef Lehrer Einladung (Willst du Gottes Werke schauen) und Sachse-Schwur (Mer wealle bleïwe, wat mer sen).

Politische Lieder haben keine lange Lebensdauer. Für die Siebenbürger Sachsen haben sich die Zeiten in den letzten 150 Jahren grundlegend geändert. Die politischen Umstände der Nachkriegszeit unter den Kommunisten (Enteignungen, Deportation, Schauprozesse unschuldiger deutscher Jugendlicher und Intellektueller, Ceauşescus Romanisierungspolitik und die Drangsalierungen der Securitate u.a.), haben uns veranlasst, unsere angestammte Heimat mehr oder weniger freiwillig zu verlassen. Inzwischen sind über 90% unseres Völkchens überwiegend nach Deutschland oder Österreich ausgesiedelt, um hier als Deutsche unter Deutschen zu leben.

Heute hat der Text des Liedes Mer wealle bleïwe, wat mer sen seine ursprüngliche Bedeutung verloren. Wenn jedoch das Lied derzeit auf Heimat- und HOG-Treffen gesungen wird, denkt sicher keiner an eine Integrationsverweigerung in Deutschland; ich höre da eher eine Nostalgie an die ehemalige fest gefügte siebenbürgische Gemeinschaft, auf Bekenntnis zur Heimat, Tradition und Gottvertrauen heraus. Man sieht sich 50-70 Jahre in Zeit und Raum zurückversetzt, bei Kronenfesten, Bällen und anderen Feiern, als in vertrauter Runde dieses Lied erklang. Es war die Zeit der Romanisierungsbestrebungen der Kommunisten. Schwer nachvollziehbar ist jedoch, dass sich durch diesen Text die Singenden, die als integrierte Bundesbürger als Deutsche unter Deutschen leben, sich als Siebenbürger Sachsen bestärkt fühlen, wenn sie dieses Lied singen, zumal sich der Inhalt aufs Deutschsein bezieht. Die meisten, die ich zu diesem Lied befragt habe, sind der Meinung, dass dieses Lied außerhalb Siebenbürgens in der Öffentlichkeit nicht mehr gesungen werden sollte. Zwei Aufnahmen finden Sie unter siebenbuerger.de/go/2L168.

Leider kennen nur noch wenige Landsleute die wertbeständigen Gedichte von Viktor Kästner Sachsesch (Wä? Ich sil net sachsesch riëden) oder Michael Albert Bleibe treu (Deiner Sprache, deiner Sitte, deinen Toten bleibe treu) und kaum noch jemand die Melodien, die auch von Heinrich Bretz vertont wurden und als zeitlos betrachtet werden können. In der Liedersammlung „E Liedchen hälft ängden – Alte und neue Lieder aus Siebenbürgen“ (Hgg. Angelika Meltzer und Rosemarie Chrestels, Verlag Haus der Heimat Nürnberg 2017, 2018, 2022) finden Sie außer den eben genannten Liedern auch folgende Vertonungen von Heinrich Bretz: Willst du Gottes Werke schauen (J. Lehrer), Licht, das in die Welt gekommen (Weihnachtslied von R. Stier), Kiurenehren, Kiurenbleam (Frida Binder-Radler), Wo tief versteckt im Walde (Enkelbach).

Josef Lehrers zahlreiche Gedichte wurden auch von H. Kirchner, G. Lienert-Zultner, C. Reich, H. Mild u.a. vertont. In dieser Rubrik werden sie auch noch an die Reihe kommen.

Ein herzlicher Dank geht an Beatrice Ungar, Chefredakteurin der Hermannstädter Zeitung, für ihre Nachforschungen im Hermannstädter Archiv sowie das Ablichten des handschriftlichen Textes von Sachse-Schwur. Ebenso danke ich dem Enkel Konrad Lehrer und dem Urenkel Heinz Bretz für die wertvollen Informationen über ihre Vorfahren.

Angelika Meltzer

Schlagwörter: Hegt wird gesangen, Lieder, Mundart

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  • 27.03.2025, 19:07 Uhr von WillyS: "Heinrich Bretz (*1862 Scholten, †1947 Marktschelken) war 42 Jahre lang Rektor in Marktschelken. ... [weiter]

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