23. Juni 2006

Beisetzung der Familie Karres in Mediasch

Helmuth, das vierte Kind des Mediascher Leder-Fabrikanten Samuel Karres, und seine Gattin Beatrice Karres, die vor fünf beziehungsweise sechs Jahren in Salzburg (Österreich) beigesetzt worden waren, wurden zu Ostern 2006 in das Familiengrab in Mediasch (Rumänien) überführt. Durch die Heimkehr der Toten könnte eine neue Verbindung zwischen Siebenbürgen und der in der Welt verstreuten Nachfahren entstehen. Und zwar in der zweiten und dritten Generation, die keine Vergangenheitsbewältigung betreiben muss und ohne Vorurteile eine neue Beziehung zu dem Land aufbauen kann.
Der Leder-Fabrikant Karres in Mediasch beschäftigte 1943 mehr als 1 000 Mitarbeiter in diversen Fabriken und versorgte sozial über 2 400 Angehörige der Mitarbeiter. Der Beiname "Kieser" für meinen Großvater Samuel Karres war nicht nur Ausdruck seines Reichtums, sondern auch der Inbegriff der Größe, die er auch tatsächlich als Mensch hatte. Sein Urteil in wirtschaftlichen, politischen und privaten Angelegenheiten brachte ihm führende Stellungen in der Wirtschaft des Landes sowie in vielen kirchlichen und weltlichen Gremien ein. Die Familie Karres wanderte 1947 geschlossen mit ca. 36 Personen aus.

Helmuth (das vierte Kind von Samuel Karres) und Beatrice Karres, früher wohnhaft im Schullerhaus am Markt in Mediasch, starben vor fünf beziehungsweise sechs Jahren und wurden in der Familiengruft in Salzburg beigesetzt. Wir Kinder beschlossen vor einem Jahr, unsere Eltern in die Heimaterde nach Mediasch zurückzubringen, wo noch eine Grabstätte der Familie besteht. Zu Ostern 2006 fand nun die Umbettung statt. Der Hintergrund dieses Entschlusses war wohl, eine zentrale Gedenkstätte für unsere Vorfahren zu haben.

Wenn ein Familientreffen der Familie Karres stattfindet und alle kommen sollten, sind 17 Länder aus vier Kontinenten vertreten. Die Globalisierung findet nicht nur in der Wirtschaft statt, sondern ist auch Bestandteil unserer Familie geworden. Zusätzlich soll Rumänien in kurzer Zeit in die Europäische Union aufgenommen werden. Was spielt es dann noch eine Rolle, ob wir die Grabstätte der Eltern in Salzburg oder Mediasch besuchen?

Zu der Beisetzung kamen 24 Familienmitglieder nach Mediasch. Die Mehrzahl davon sind Enkel von Beatrice und Helmuth Karres. Also eine Generation, die Siebenbürgen nur aus Erzählungen kennt. Sie kamen alle mit einer großen Neugier ob ihrer Herkunft, die sie nicht kannten, und scheuten nicht, lange Wege dafür in Kauf zu nehmen. Zum Abschluss der Beisetzung befragt, waren alle von Siebenbürgen begeistert. Sie beabsichtigen, diesen Teil der Erde erneut zu besuchen. Auch für die Mediascher war die Beisetzung etwas Außergewöhnliches. Nicht nur, dass ein Teil der Karresfamilie für ewig wieder zurückgekommen ist, sondern auch die Internationalität unserer Familie. Zur Beerdigung hatten alle Familienmitglieder aus ihrer jetzigen Heimat, also aus vier Kontinenten (Amerika, Afrika, Asien und Europa) Erde mitgebracht, die wir unseren Eltern als Erinnerung ins Grab streuten. Als Grabinschrift wählten wir den Spruch: "Heimgekehrt, in Frieden, mit Gott."

Auf diesem Weg möchte ich mich noch einmal für die liebevolle Aufnahme und Betreuung bedanken, die der Familie Karres in Mediasch zuteil wurde, namentlich beim Presbyterium, den Pfarrern, dem Oktett, dem Forum, Bürgermeister Daniel Thellmann und Herrn Schneider, der Tag und Nacht uns zur Verfügung stand.

An dem anschließenden Leichenschmaus, nach der Beerdigung am Ostersamstag, waren wir darauf bedacht, Familienmitglieder und heimische Siebenbürger bei der Sitzordnung zu mischen, damit ein Kennenlernen möglich wurde und eventuell neue Kontakte entstehen konnten.

Im Rückblick sind wir alle froh, uns zu diesem Schritt entschlossen zu haben. Was mich jedoch am meisten bei der Beisetzung unserer Eltern fasziniert hat, ist der Eindruck, dass durch die Heimkehr der Toten eine neue Verbindung zwischen Siebenbürgen und der in der Welt verstreuten Nachfahren entstehen könnte. Und zwar in der zweiten und dritten Generation, die keine Vergangenheitsbewältigung betreiben muss und ohne Vorurteile eine neue Beziehung zu diesem Land aufbauen kann.

Es bleibt zu hoffen, dass viele Siebenbürger aus aller Welt die schrecklichen Geschehnisse der Vergangenheit so weit wie möglich überwinden und ihren Nachkommen sowie Siebenbürgen eine Chance für einen neuen Anfang geben können. Denn wir, die dort geboren wurden und noch eine Beziehung zu diesem Land haben, sind der Brückenkopf zur nächsten Generation.

Ich glaube, meinen Eltern hätte es gefallen, was wir getan haben.

Annelore Jungmann geb. Karres

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 11 vom 20. Juni 2006, Seite 31)

Schlagwörter: Brauchtum, Rumänien und Siebenbürgen

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