5. November 2006

Alfred Kasper: Ein Leben für den Bergbau

Am 9. Oktober wäre Diplom-Bergbauingenieur Alfred Kasper 100 Jahre alt geworden. Mit der Erfindung des wandernden Schildausbaus, der 1944 in der Grube Petrila (Schiltal) erstmals eingesetzt wurde und danach auch in den Kohlenzechen Deutschlands zum Einsatz kam, gilt Kasper als Wegbereiter moderner Fördertechnik im Kohlenbergbau. Als Inhaber zahlreicher Patente und Buchautor ist er über die Grenzen Siebenbürgens hinaus bekannt geworden. Seine Vaterstadt Sächsisch-Regen hat Alfred Kasper geliebt und geschätzt. Die intakte Großfamilie und die geordneten Verhältnisse der siebenbürgischen Gesellschaft haben ihm bis ins hohe Alter Rückhalt geboten.
Als dritter von vier Söhnen von Carl und Wilhelmine Kasper, geborene Teutsch, kam Alfred am 9. Oktober 1906 in Sächsisch-Regen zur Welt. In der Ahnenreihe der Mutter findet sich der bekannte Name des Märchenerzählers Josef Haltrich, ein Bruder der Großmutter. Die Eltern betreiben in Sächsisch-Regen ein Kurzwarengeschäft, das der Familie ein gutes Auskommen sichert. Die Vorboten des 1. Weltkrieges machen sich bemerkbar. Vater und ältester Bruder werden zum Kriegsdienst eingezogen. Die Mutter übernimmt für die Dauer des Krieges die Führung des Geschäftes.
Alfred Kasper 1969. Foto: H. U. Kasper
Alfred Kasper 1969. Foto: H. U. Kasper
Sächsisch-Regen gibt es nur ein Untergymnasium. Quarta und Quinta werden auf Vorschlag der Reener Lehrer privat überbrückt. Die jährlichen Abschlussprüfungen werden in Bistritz abgelegt. Musisch begabt, erhält er Geigenunterricht bei Lehrer Graef in Reen, später wird er in Schäßburg im Schülerorchester unter Leitung von Musikdirektor Fleischer mitwirken. Ab der Sexta erfolgt der Wechsel nach Schäßburg, an das renommierte Bischof-Teutsch Gymnasium. Bei der Matura-Prüfung zeigen sich die Folgen des Kriegsausgangs. Nunmehr gehört Siebenbürgen zu Rumänien. Dem Wechsel nach Schäßburg lag auch der Wunsch zugrunde, für das gewünschte Studium in Deutschland eine solide naturwissenschaftliche Grundlage zu besitzen. Die Entscheidung für das Studienfach Bergbau ist früh gefallen. Die Wahl fiel auf Freiberg in Sachsen, die älteste und wohl auch berühmteste Bergakademie der Welt. Voraussetzung für das Studium hier ist, Praktika in entsprechenden Fachbetrieben zu machen. In Baia Mare (Maramuresch), Brad (Siebenbürgisches Erzgebirge) und Ölsnitz (Vogtland) lernt er den bergmännischen Alltag, auch unter Tage, kennen. Im Wintersemester 1925/26 beginnt das Studium. Mit den Erfahrungen aus dem Coetusleben am Gymnasium in Schäßburg tritt er relativ früh in Freiberg einer sozial orientierten Studentenverbindung bei, dem Verein Deutscher Studenten (VDSt), in der bereits viele siebenbürgisch-sächsische Studenten Mitglied waren. Nach Einschaltung eines „politischen“ Semesters im Auftrag des VDSt in Aachen (das Rheinland steht noch unter französischer Besatzung) wird ein zügiger Abschluss angestrebt, der mit guten Ergebnissen 1930 erfolgt. Mit dem Diplom in der Tasche und einer aus Freiberg stammenden Braut kehrt er, trotz schwieriger Zeiten, dem Wahlspruch Brukenthals „fidem genusque servabo“ folgend, nach Siebenbürgen zurück. Nach Ableistung des einjährigen Militärdienstes in Rumänien beginnt der Ernst des Lebens. Der 1932 gegründeten Ehe entspringen fünf Kinder. In all den guten wie in schlechten Zeiten ist ihm seine Frau eine treue und kraftspendende Weggefährtin, für die Kinder ist sie eine phantastische Mutter.
Die Schatten der Weltwirtschaftskrise lasten auch auf dem rumänischen Bergbau. Entsprechend schwierig gestaltet sich die Suche eines Arbeitsplatzes. In Anbetracht dieser Situation übernimmt Kasper 1932 die Leitung der Grube Sălătruc, die als „kranker Mann des Schiltals“ bekannt und gefürchtet ist. Hier stellt er sein organisatorisches Talent und die Fähigkeit, geologisch äußerst schwierige Situationen mit Erfindergeist und geringen Mitteln zu lösen, unter Beweis. Mit zahlreichen neuen technischen Lösungen ist der Abbau soweit modernisiert, dass die Produktion, bei gleichzeitiger Reduzierung der Belegschaft von 228 auf 98 Bergleute, gesichert wird. Nach zehn Jahren ist die Grube Sălătruc ausgekohlt und wird 1941 aufgegeben. Kasper wechselte als Chefingenieur zur Grube Petrila der Petroșania AG. Hier entwickelte er den weltweit ersten wandernden Schildausbau im Kohlenbergbau. Führende reichsdeutsche Bergbauingenieure einer Abordnung des deutschen Kohlenbergbaus besichtigen 1944 den Abbau. In der Folge wird er eingeladen, eine auf vier Wochen angelegte beratende Tätigkeit in verschiedenen Bergbauunternehmen Deutschlands auszuüben. Der Einladung kommt er nach. Die Ereignisse um den 23. August 1944 in Rumänien besiegeln die berufliche Laufbahn in Freiheit für immer. Sechs Monate nach Beginn des Abbaus mit wanderndem Schildausbau wird er seines Postens enthoben, verhaftet und für fünf Jahre ins Donez-Becken deportiert. Zu den menschlichen Tragödien, die sich hier abspielen, gesellt sich eine primitive Technik, die den Alltag zur Hölle werden lässt. Viele der Deportierten werden die Heimat nicht wieder sehen.
Im Oktober 1949 kehrt er nach Petroschen zurück. Der russische Generaldirektor kennt die Fähigkeiten Kaspers aus der Zeit der Deportation im Donez-Becken und bewirkt seine Einsetzung als technischer Leiter der Lignit-Gruben von Doicești. Das Intermezzo hier ist anfangs erfolgreich, doch nur von kurzer Dauer. Aufgrund der geologischen Verhältnisse (hoher Gebirgsdruck, Schwimmsandschichten über dem Flöz) ist der vom Direktor gewünschte Langfronten-Abbau nicht möglich. Vom „Deutschen“ erwartet man Wunder. Als die unrealistischen Erwartungen nicht erfüllt werden, greift die Securitate ein. Er wird seines Postens enthoben, verhaftet und wegen Sabotage der sozialistischen Wirtschaft zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Es folgen Leidensjahre durch viele Straflager, u. a. in Gherla, Cap Midia, Jilava und am Kanal. Die seelischen und gesundheitlichen Folgen sind gravierend. Unmittelbar nach der vorzeitigen Entlassung Ende November 1955 wird er mit dem Lawinentod seines ältesten Sohnes konfrontiert.
Die Auswahl für eine neue Arbeitsstätte ist, aus politischen Gründen, äußerst begrenzt. Der ungarischen Sprache mächtig, akzeptiert er, einen Tag nach der Entlassung aus dem Gefängnis, das Angebot des Bergbauministeriums, als Chefingenieur in Vîrghiș beim Bergbauunter­nehmen Căpeni anzutreten. Die Grube umfasst den Aufschluss eines Tiefbaus und einen Tage­bau in Produktion. Aufgrund eines bergbautechnisch unmöglichen Prinzips konnte der Plan nicht annähernd erfüllt werden. Nach einer kompletten Umstellung des Tagebaus auf Rückbau und Abtransport der Kohle durch Bandförderung arbeitet der Tagebau Vîrghiș bis zur Auskohlung der Reserven wirtschaftlich. Für den Tiefbau werden bis 1969 zahlreiche Neuerungen im Abbau und sechs Patente angemeldet, darunter eine Rundschrämmaschine und eine Streckenvortriebsmaschine. Der Erfolg ist beachtlich, so dass selbst die kommunistische Presse über seine Ergebnisse in Vîrghiș berichtete. Durch einen elfmonatigen Sanatoriumsaufenthalt (1957) wird seine Arbeit unterbrochen. In der Folgezeit wird Kasper, der Willkür der Partei ausgesetzt, mehrmals fristlos gekündigt, die Einstufung erfolgt mit einer niedrigeren Gehaltsstufe, als Staatsfeind, wenn auch rehabilitiert, muss er länger arbeiten. Als Chef des Technischen Dienstes und schließlich mit dem vom Bergbauministerium verliehenen Titel eines Direktors geht Kasper 1969 in Rente – 13 Jahre später als Bergleute üblicherweise aus dem Berufsleben ausscheiden.
1973 gelingt die Flucht in die Bundesrepublik Deutschland. Jetzt ist die Zeit gekommen, die Erlebnisse der Rumänien-, Russland- und Gefängnisjahre literarisch aufzuarbeiten. 1978 erscheint „Philippika eines Spätaussiedlers“. Im Rahmen einer VDSt-Großveranstaltung hält er 1982 in Clausthal-Zellerfeld die vielbeachtete Rede „Clausthal – Freiberg, eine geschichtliche Zusammengehörigkeit“, in der er den Bergbau in Sachsen und im Harz als ein historisches Bindeglied zwischen den beiden deutschen Staaten darstellt. 1983 erscheint „Letzte Schicht und andere Erzählungen vom Bergmann und seinen Pferden“. Die Kräfte lassen nach. Kurze Zeit nach Erscheinen des „Russischen Tagebuches“ im Akademischen Verein Kyffhäuser-Verlag 1993 stirbt er im Alter von 87 Jahren.
Eine späte posthume Ehrung erfährt Alfed Kasper 1994. Eine Gedenktafel, die am Gebäude der Zentralen Werkstätten in Petroschen angebracht wird, trägt folgende Inschrift: „alfred kasper hat vor 50 jahren in den zentralen werkstätten petroschen den ersten fortschreitenden schildausbau gebaut und mit viel erfolg in der grube petrila eingesetzt; dieser bildet die grundlage der zeitgenössischen mechanisierten abbaumethoden. 8. August 1994“.HUK

Schlagwörter: Porträt, Wissenschaft

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