15. November 2006

Mehr Notfälle als freie Plätze

Das Alten- und Pflegeheim "Dr. Carl Wolff" ist eine Einrichtung des Diakonischen Werkes in Rumänien e.V. Es wurde 1995 aus Mitteln der Bundesrepublik Deutschland zugunsten der deutschen Minderheit in Siebenbürgen gebaut. Auch das Sozialwerk der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen trägt regelmäßig mit Spenden für Medikamente und medizinische Hilfen bei. Seit kurzem gehört ein Hospiz zum Heim: Sterbenden und ihren Familien soll hier ein Abschied in Würde ermöglicht werden. Die Einrichtung hat Modellcharakter für das Land, ist sie doch eines der wenigen Hospize in ganz Rumänien. Ruxandra Stănescu führte das folgende Interview mit Ortrun Rhein, der Leiterin des Altenheim- und Pflegeheimes sowie des Hospizes.
Wie viele Personen wohnen zurzeit im Altenheim?

Im Altenheim leben 106 Heimbewohner, das Haus ist voll ausgelastet. Wir haben eine Warteliste mit mehr als 150 Personen. Es ist für viele Rentner schwierig, den Alltag alleine zu meistern, besonders aber für Familien mit Alzheimer- und Demenzkranken. Für diese Familien sind wir oft die letzte Hoffnung, weil wir das einzige Heim in Siebenbürgen sind, das Alzheimerkranke aufnimmt. Sonst werden Menschen mit dieser Krankheit oft in die Psychiatrie abgeschoben.

Der Andrang ist also sehr groß?

Das stimmt tatsächlich. Und nun gehen wir auch auf den Winter zu. Viele wollten im Sommer gar nicht ins Altenheim, aber jetzt sagen sie sich, bloß nicht noch einen Winter alleine, schon gar nicht auf dem Dorf. Das ist ein Problem, denn es gibt keine freien Plätze.

Ortrun Rhein, Leiterin des Alten- und Pflegeheimes Carl Wolff in Hermannstadt. Foto: Ruxandra Stănescu
Ortrun Rhein, Leiterin des Alten- und Pflegeheimes Carl Wolff in Hermannstadt. Foto: Ruxandra Stănescu
Die Menschen hier scheinen sehr munter zu sein?

Ich denke, dass unsere Heimbewohner sehr bewusst am Alltag teilhaben wollen. Vormittags gehen manche einkaufen, andere gehen gleich nach dem Frühstück in den Fitness-Saal zum morgendlichen Turnen, dieser wurde eigentlich für die Mitarbeiter eingerichtet. Und es ist auch ihr Zuhause. Dass wir auch Kranke beherbergen, gehört aber genauso zu uns und gibt den Heimbewohnern die Sicherheit, dass auch sie, wenn sie kranker werden, hier gepflegt werden können. Das ist für die meisten sehr wichtig.

Was gibt es für Veranstaltungen?

Wir haben eine Ergotherapeutin, die für die Freizeitgestaltung zuständig ist. Und eine Friseuse kommt zweimal die Woche. Wir haben einen Zahnarzt, der hier seine private Praxis hat und dadurch für unsere Bewohner zu verbilligten Preisen arbeiten kann. Einmal wöchentlich findet ein Kaffeekränzchen statt. So ein richtiges Kränzchen, wie es in Siebenbürgen üblich war, mit Kaffee und Kuchen und erzählen. Auch regelmäßige Gottesdienste und eine gemeinsame Bibelstunde gibt es. Wöchentlich kommen die Pfarrer der verschiedenen Konfessionen und halten Gottesdienste ab. Außerdem gibt es viermal wöchentlich einen Kaffeenachmittag für alle Heimbewohner. Ansonsten gestalten die Heimbewohner ihren Alltag selbst.

Was machen die Leute, die keine Verwandten haben?

Das ist oft nicht leicht, aber so ein Haus bietet die Möglichkeit, Freundschaften zu schließen, dann ist man nicht mehr so allein. Außerdem haben sich in den letzten Jahren Schüler der Brukenthalschule zu Besuchsnachmittagen angemeldet, und so manch ein Heimbewohner hat ein "Enkelkind adoptiert". Da haben sich Beziehungen entwickelt, die schon über Jahre dauern. Manche kommen auch jetzt zu Besuch, auch wenn sie die Schule längst verlassen haben.

Wie viele Mitarbeiter haben Sie?

Im Altenheim arbeiten 75 Menschen. Es ist ein großes Haus. In unserer Küche wird für 200 Personen täglich gekocht.

Sprechen alle Mitarbeiter Deutsch?

Die meisten schon. Aber letztendlich ist es wichtiger, dass die Mitarbeiter ihren Beruf kompetent ausüben. Mir liegt am persönlichen Kontakt sehr viel. Eine familiäre Atmosphäre gibt es nur, wenn man die Leute kennt. Hier ist es zurzeit wie in einem Dorf, wie in der Nachbarschaft. Da gibt es viele Ereignisse: Diesen Monat haben wir einen hundertsten Geburtstag und sogar eine Eheschließung. Das Pärchen lebt zufrieden hier im Haus. Ein Altenheim ist eben eine sehr lebendige Einrichtung.

Wie wird das Heim finanziert?

Das Heim wird hauptsächlich aus Mitteln des Bundesinnenministeriums in Deutschland finanziert. Die Mittlerorganisation ist das Diakonische Werk der EKD in Stuttgart. Es ist eine schöne Zusammenarbeit. Auch das Sozialwerk der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen trägt mit Spenden zu medizinischen Hilfen, Medikamenten und Prothesen bei. Der rumänische Staat beteiligt sich auch, aber mit sehr kleinen Prozentzahlen. Eine intensivere Beteiligung wäre wünschenswert.

Vor kurzem wurde auch ein Hospiz eröffnet, wie verlief die erste Zeit?
Wir sind am Anfang, und wir müssen noch einige Abläufe üben, aber im Prinzip lief es gut. Wir haben fünf Patienten und der sechste soll bald ankommen, mehr schaffen wir im Moment nicht. Die Arbeit ist schwer, aber man hat auch seine kleinen Freuden. Nach den ersten Nächten, die für einen unserer ersten Patienten sehr schwierig waren, kam endlich der erste Nachmittag ohne Schmerzen: Sein größter Wunsch war es, die TV-Übertragung des Fußballspieles seiner Lieblingsmannschaft zu sehen. Wir mussten noch schnell den Fernseher aufstellen, denn wir hatten gar nicht mit so einem Wunsch gerechnet, aber zum Schluss saßen wir alle da und haben uns das Spiel angesehen. Vielleicht war das das letzte Mal, dass er seine Mannschaft spielen gesehen hat. Das ist das, was wir wollen: Dass jeder so schmerzfrei wie möglich, seine verbleibende Zeit mit Freude nutzen kann. Wir hatten aber auch schon Patienten, die an einem Tag gekommen sind und am nächsten Tag gestorben sind. Das ist nicht leicht.

Wie nehmen die Angehörigen das Hospiz auf?

Die Familien können schwer loslassen. Wenn man mehrere Monate gepflegt hat, wir hatten Fälle wo die Familienmitglieder drei, vier Monate kaum geschlafen haben, weil die Nächte am schwersten sind, denkt man, dass man als Familie immer dabei sein muss. Sie müssen sich dran gewöhnen, dass die Pfleger die Arbeit übernehmen. Die ersten Tage bleiben sie da, um sicher zu gehen, dass das Essen nicht nur kommt, sondern auch gut ist, dass, wenn man ruft, wirklich jemand kommt. Dann werden sie ruhiger und beginnen die Zeit mit ihren Kranken anders zu erleben. Wir haben sehr flexible Besuchszeiten, die die Möglichkeit bieten, über Nacht zu bleiben. Es geht ja letztendlich auch darum, dass man als Sterbender genug Zeit hat, sich zu verabschieden.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg weiterhin!

Schlagwörter: Altenheime, Rumänien und Siebenbürgen

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