26. Juni 2006

Nösnerland, mein Heimatland

Eine Reise nach Nordsiebenbürgen veranstaltete die Heimatortsgemeinschaft Bistritz-Nösen e.V. vom 18. bis 27. Mai 2006. Bei einer Stadtführung durch Bistritz und dem Besuch aller sächsischen Gemeinden im Nösnergau informierten sich 50 Reisende über die aktuelle Lage vor Ort, darunter die bereits abgeschlossenen Renovierungsarbeiten an der Evangelischen Stadtpfarrkirche in Bistritz.
Am 18 Mai um 7 Uhr war die Abfahrt ab Nürnberg geplant. Viele der insgesamt 50 Reiseteilnehmer kamen am Vorabend mit den Autos aus allen Himmelsrichtungen an. Schon an diesem ersten Abend wurde es gemütlich. Man lernte sich kennen, plauderte über die gemeinsam Jugendzeit in Bistritz. Kurt Penteker ein Jaader Junge, der in Bistritz zur Schule gegangen war, erwies sich als ausgezeichneter Busfahrer, der stets freundlich und gut gelaunt war. Er war mit ein Garant für das gute Gelingen, denn die gesamte Reise war ein Volltreffer, dies sei schon vorweg gesagt.
Die anfängliche Zurückhaltung der Reisenden machte schon nach kurzer Zeit einer allgemeinen Fröhlichkeit Platz. Hans Wagner, der vor einigen Tagen sein 50. Lebensjahr vollendet hatte, öffnete bei der ersten Rast die Sektflaschen. Die Übernachtung in Budapest in einem modernen Hotel war bestens vorbereitet, wie übrigens die gesamte Reise. Annemarie Wagner hat sich einmal mehr als gute Reiseleiterin erwiesen. Um 22 Uhr waren wir dann endlich in Bistritz vor unserem Hotel "Coroana de Aur" ("Goldene Krone"), in dem wir die nächsten acht Tage verbringen sollten.
Vertreter der HOG Bistritz-Nösen, Annemarie Wagner und Dr. Hans Georg Franchy im Gespräch mit dem Bistritzer Stadtpfarrer Hans Dieter Krauss (rechts). Foto: Wagner
Vertreter der HOG Bistritz-Nösen, Annemarie Wagner und Dr. Hans Georg Franchy, im Gespräch mit dem Bistritzer Stadtpfarrer Hans Dieter Krauss (rechts). Foto: Wagner

Am nächsten Morgen erwartete uns strahlend blauer Himmel. Um 10 Uhr begann unsere erste Tour über Mönchsdorf, Dürrbach, Großeidau nach Tekendorf. Stadtpfarrer Krauss, der uns begleitete, hielt in Mönchsdorf, in der wunderbar restaurierten ältesten Kirche Siebenbürgens, für uns eine Andacht. Beim Singen der vertrauten Lieder "Großer Gott wir loben dich" und "Nun danket alle Gott" wurde so manches Auge feucht. In Großeidau wurden wir Zeugen des Abbruchs der letzten Reste des verkauften Pfarrhauses. Demnächst soll auch die einsturzgefährdete Kirche abgetragen werden. Die Tekendorfer Kirche erwartet eine ungewisse Zukunft. Das Kirchendach ist erneuert, aber nach dem Versterben eines großzügigen Sponsors sind die Arbeiten eingestellt worden. Im Inneren ist alles leer geräumt. Die Decken sind abgestützt, der Fußboden abgetragen. Ein trostloser Anblick. Man wartet nun auf öffentliche Mittel, die irgendwann zugesagt worden sind.
Dann folgte ein Riesenempfang am Waldrand von Tekendorf, organisiert durch Eckhard Zaig, Vorsitzender des Deutschen Forums Bistritz, und seinem Stellvertreter, Thomas Hartig. Die vor einem halben Jahr neu gegründete Blaskapelle des Bistritzer Forums empfing uns mit alt bekannten Liedern. Es wurde uns ganz warm ums Herz, als die Klänge des Siebenbürgischen Heimatliedes erklangen, wir fühlten uns geehrt und gleichzeitig zu Hause. Obwohl die Mitglieder der Kapelle zum größten Teil Ungarn und Rumänen sind, fühlen sie sich dem sächsischen Kulturgut verbunden. Sehr erfreut waren wir auch über den Besuch und das Grußwort des stellvertretenden Bürgermeisters der Stadt Bistritz, Ioan Turc. Es folgte der Auftritt der sächsischen Tanzgruppe "Regenbogen". Diese gehört der Jugendabteilung des Deutschen Forums an und tritt unter der Leitung von Bobby Arcalean schon seit Jahren erfolgreich auf. Ganz zu schweigen von den kulinarischen Genüssen, die uns geboten wurden. Von den großen Weingärten, die es einst um Tekendorf gab, sind nur noch ganz kleine Parzellen übrig geblieben, die jedoch einen hervorragenden Tropfen liefern. Bei so einem Fest darf natürlich eine kleine Zigeunerkapelle nicht fehlen. Mit Geige, Bassgeige und Akkordeon spielten sie zum Tanz auf.
Die Jugendtanzgruppe des Forums bei der Feier in Tekendorf. Foto: Wagner
Die Jugendtanzgruppe des Forums bei der Feier in Tekendorf. Foto: Wagner

Der Sonntag sollte der Ruhe und Besinnung dienen. Annemarie Wagner, Hans Wagner, Kurt Penteker und Dr. Hans Georg Franchy schritten in der schönen siebenbürgischen Tracht vom Hotel zur Kirche und ernteten bewundernde Blicke von den staunenden Bürgern, die so etwas schon lange nicht mehr gesehen hatten. Nach dem Gottesdienst wurde unter der Führung des Stadtpfarrers Krauss die Kirche besichtigt. Dank der Finanzierung durch die HOG Bistritz-Nösen e.V. ist das Kirchendach nun dicht, es sind keine weiteren Schäden an den Mauern entstanden. Der Gesamtzustand der Kirche ist jedoch marode. Insbesondere der Bereich der Westfassade hinter der Orgel und der gesamte Bereich um und über der Orgel bedürfen dringend der Renovierung. Die Firma "Creativ" wurde durch Pfarrer Krauss in Absprache mit dem HOG-Vorstand mit den Arbeiten beauftragt. Im Laufe dieses Sommers sollen die Arbeiten begonnen und abgeschlossen werden.
Am Montag wurde uns ein großer Empfang im Bürgermeisteramt bereitet. Bürgermeister Vasile Moldovan empfing uns im großen Ratsaal. Die Musikschule und das Kulturhaus der Stadt hatten für uns als Überraschung ein anspruchsvolles Musikprogramm vorbereitet. Beim Besuch des Gymnasiums in der Fleischerallee berichtete Schulleiterin Mariana Arcalean über den Alltag der 290 Schüler der deutschen Abteilung. Insgesamt 1 100 Schüler gehen auf das Gymnasium, dessen Gebäude in Kürze der Evangelischen Kirche erstattet werden soll.
Am Nachmittag besuchten wir Baierdorf, Lechnitz, Wermesch und Sankt Georgen. Tags darauf standen Wallendorf, Jaad, Kleinbistritz, Pintak, Mettersdorf und Treppen auf dem Programm. Es wurden die Kirchen besichtigt und, soweit vorhanden, Freunde und Bekannte besucht. Das Jaader Heimatmuseum durfte natürlich auf der Tagesordnung nicht fehlen. In Kleinbistritz empfing uns der orthodoxe Pfarrer Ioan Moldovan aufs Herzlichste. Die ehemalige evangelische Kirche ist nun Eigentum der orthodoxen Gemeinde. Der Pfarrer und sein Presbyterium hatten im Schatten der alten Linden auf dem Dorfplatz eine Festtafel aufgebaut, auf der es angefangen von Käse und Urda über Wurst und Schnaps an nichts fehlte. Beeindruckend war die Warmherzigkeit der Menschen. Bei den ergreifenden Ansprachen von Pfarrer Krauss, Pfarrer Moldovan und Dr. Hans Franchy musste auch der Stärkste heimlich eine Träne wegwischen. Dieser Tag der Freundschaft und der Freude wird allen Teilnehmern unvergesslich bleiben. Am späten Abend waren wir noch Gäste im Haus des Forums der Deutschen. Auch hier erlebten wir wieder eine Überraschung. Nach Vorstellung der Räumlichkeiten durch den Geschäftsführer Thomas Hartig mit anschließender Diskussion über die Aufgaben des Forums wurden wir zu einem kleinen Imbiss und Umtrunk eingeladen, der dann bei rumänischen und deutschen Volksliedern bis in die späte Nacht ging.
Als letzte Dörfer wurden am Mittwoch Windau, Senndorf, Burghalle, Petersdorf, Neudorf Deutsch Budak und Minarken besucht. Dank gebührt Pfarrer Krauss und dem jungen Diasporapfarrer Johann Zay, die uns auf der Reise durch die Dörfer begleitet haben. Die Kirchen in Mönchsdorf, Treppen und Minarken sind als sakrale Bauten, neben der Bistritzer Kirche, besonders sehenswert. Aber jede andere Kirche, selbst die Ruinen von Windau, Senndorf, Großeidau und Wermesch weckten Erinnerungen. Am Abend dieses Tages gab es noch ein Treffen des Vorstands der HOG mit dem Bistritzer Presbyterium, bei dem ein intensiver Gedankenaustausch erfolgte.
Für den letzten Tag, war ein Ausflug nach Colibitza und Fântânele geplant. Dies sollte der erste und einzige Tag werden, der wolkenverhangen und kühl war. Trotzdem genossen alle die Natur um den Stausee, der Colibtza als Ort verschwinden ließ. In Fântânele konnten wir uns selbstverständlich Hotel Dracula mit der Besichtigung der Gruft im Keller nicht entgehen lassen.
Heimgekehrt aus den Bergen, sollten wir noch eine letzte Überraschung erleben. Aus einem Besuch im Gewerbeverein, heute Kulturhaus der Stadt Bistritz, der als reine Besichtigung der Räume geplant war, wurde ein offizieller Empfang durch rumänische, ungarische und deutsche Trachtengruppen. Direktor Dorel Cosma hatte auf der großen Bühne für uns ein hervorragendes Kulturprogramm zusammengestellt. Höhepunkt war ein Liedvortrag von Anita Hartig, die mit ihrer wunderbaren Sopranstimme schon auf internationalen Bühnen Erfolge feiern konnte.

Die am Freitag angetretene Rückreise verlief sehr harmonisch. Alle Teilnehmer der Reise waren beeindruckt von der Gastfreundschaft, die uns überall entgegenschlug. All dies wird von dem Vorstand der HOG Bistritz-Nösen e.V. als erster Erfolg im Zuge der Wiederbelebung der Gemeinschaft der im Ausland lebenden Bistritzer und Nordsiebenbürger mit den in der alten Heimat lebenden Landsleuten gewertet. Das große Treffen am 29./30. September 2006 in Nürnberg soll ein weiterer Schritt in diese Richtung sein.

Der Vorstand

(gedruckte Aushabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 10 vom 20. Juni 2006, Seite 33)

Schlagwörter: Reise

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