19. Februar 2013

Ortrun Scola wurde 90

Im Vorwort zu ihrem 1990 zusammen mit Annemarie Schiel herausgegebenen, längst vergriffenen Buch Siebenbürgisch-sächsische Frauengestalten beklagt Ortrun Scola zu Recht, dass die siebenbürgisch-sächsische Frau trotz ihrer unentbehrlichen wirtschaftlichen, sozial-moralisch-erzieherischen und vor allem gemeinschaftsfördernden und -erhaltenden Rolle über Jahrhunderte hinweg „ein namenloses Glied in der Geschlechterkette“ geblieben und ihr die öffentliche historische Wertschätzung nicht zuteil geworden sei. Mit den ausgewählten Frauenporträts wollten die Herausgeberinnen daher nicht nur deren Verdienste, sondern stellvertretend auch die vielen n a m e n l o s gebliebenen Frauen würdigen.
Der Name der Jubilarin O r t r u n S c o l a – sie hat am 13. Februar ihr 90. Lebensjahr erfüllt – ist allerdings bereits heute in die jüngste Geschichte der siebenbürgisch-sächsischen Frauen, auch „Schwarz auf Weiß“, eingegangen, und zwar nicht nur mit dem oben erwähnten Band, sondern mit zwei weiteren schönen Bild- und Textbänden, die auf ihre Initiative zurückgehen und für die sie jahrelang Mühe und Überzeugungsarbeit nicht gescheut hatte: Die Festtracht der Siebenbürger Sachsen (1987) und Das Dorfleben der Siebenbürger Sachsen (1991), beide im Münchner Callwey Verlag erschienen unter der wissenschaftlichen Mitarbeit der Volkskundlerinnen Gerda Bretz-Schwarzenbacher und Rohtraut Sutter-Acker. „Exakte Methodik“ und „Verlässlichkeit der Dokumentation“ bescheinigte die Kritik den Arbeiten. Die drei Bücher haben besondere Bedeutung angesichts des Diaspora-Stadiums in der Gegenwartsgeschichte der Siebenbürger Sachsen. Sie sind gleichzeitig sichtbare Zeichen für das tatkräftige Wirken ihrer Initiatorin Ortrun Scola, für ihre Liebe zu den Menschen ihres Herkunftslandes und das Bekenntnis zu diesem. Solches müsste angesichts ihres wechselvollen Lebensweges, der sie nach ihrem 19. Lebensjahr aus dem geographischen Raum Siebenbürgen endgültig weggeführt hat, nicht eben als selbstverständlich angenommen werden.

Ortrun Scola ...
Ortrun Scola
Als der Vater, Dr. Helmut Wolff, nach dem frühen Tod seiner Frau 1933 mit seiner Zahnarztpraxis aus Bistritz nach Hermannstadt übersiedelte, war seine Tochter Ortrun erst zehn. Ihre Schulzeit war daher vom Ortswechsel bestimmt gewesen: Bistritz, Schäßburg und Hermannstadt waren die Stationen. Zwischen 1935 und 1939 hatte der Vater auch das Amt des Präsidenten des Deutschen Volksrates für Siebenbürgen und bis 1944 auch das des Landeskirchenkurators inne. So kam es wohl dazu, dass sie mit 15 Jahren bereits nach Kassel-Wilhelmshöhe auf die „Frauenschule“ und danach auf die „Akademie für Jugendführung“ nach Braunschweig kam. Den in den enddreißiger und mittvierziger Jahren üblichen „völkischen Pflichtdienst“ leistete sie nach ihrer Rückkehr in Reschitza und im „Warthegau“ ab. Bei Verwandten lernte sie den jungen aus dem Elsass stammenden Medizinstudenten Martin Gotthelf Scola kennen. Als der nach einer Verwundung von der Wolchowfont zurückkam, heirateten die beiden und die 19-Jährige ging mit ihm nach Innsbruck, wo er sein Medizinstudium beendete. Ihre beiden ersten Kinder, zwei Söhne, wurden geboren. 1947 ging Dr. Martin Scola im Auftrag der Schweizer Firma Sandoz nach Venezuela, wo er als staatlich anerkannter Landarzt der Universitätsstadt Merida in den Anden eingesetzt wurde. So musste die junge Familie zunächst mehrfach den Wohnort wechseln. Zwei weitere Kinder, ein Sohn und eine Tochter, kamen auf die Welt und die vierfache Mutter sah sich veranlasst, auch zum Familienunterhalt beizutragen: Sie richtete 1950 in der Nähe von Caracas ein Erholungsheim für europäische Kinder ein, das ihr Mann medizinisch betreute und das sie bis 1956 leitete, dem Jahr der Rückkehr der Familie nach Österreich im Hinblick auf die schulische Ausbildung der eigenen Kinder. In Sankt Florian bei Linz gründete sie, tatkräftig und selbstständig wie sie inzwischen geworden war, unter ärztlicher Leitung eine Baby-Pension, die sie bis zu ihrer „Auswanderung“ 1971 nach München führte. Die 48-Jährige wollte näher zu ihren in der Bundesrepublik studierenden Kindern ziehen, denn ihr Mann war inzwischen wieder nach Venezuela zurückgegangen.

Dass alle vier Kinder akademische Berufe ergreifen konnten, zwei Söhne auch die Familientradition des Arztes weiterführen, Ortrun Scola als inzwischen mehrfache Großmutter (zehn Enkel) und siebenfache Urgroßmutter heute noch den stetigen Zusammenhalt der Großfamilie pflegt, zeigt, mit welcher Energie und Beherztheit sie ihre gemeinschaftsbegründende und -stiftende Rolle auszufüllen versteht. Denn diese gehört zu ihrer Lebensleistung, die nicht nur den eigenen Kindern, sondern auch den vielen anderen fremden, während ihrer Berufsjahre in zwei so unterschiedlichen Ländern und Lebenswelten, zugute gekommen ist. Wie viel physische Energie, Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, geistige Agilität und nicht zuletzt unerschütterlicher Optimismus waren nötig, um solche Lebensaufgaben unter historisch, geographisch und politisch wechselvollen Bedingungen des vergangenen Jahrhunderts bewältigen zu können? Nicht allzu vielen Menschen mag das so gut gelungen sein. Soll man da von positiver genetischer Veranlagung, von prägenden Kindheits- und frühen Jugenderfahrungen, von Vorsehung oder Schicksal, von Glück oder Segen sprechen? Gründe, dankbar zu sein, gibt es für Ortrun Scola, „von außen“ betrachtet, viele und man wünscht der Jubilarin, die mit 90 Jahren am Telefon wie eh und je temperamentvoll und geistreich sprudelt, dass sie selbst, die ihr Leben von „innen“ betrachtet, es auch so positiv sähe!

Aber ihr „Tätigkeitsbericht“ ist an dieser Stelle noch lange nicht zu Ende, denn in ihrer Rentenzeit hat sie nicht, wie „nach getaner Arbeit“, die Hände in den Schoß gelegt, sondern ist noch einmal zu Hochform aufgelaufen: Bereits 1978 übernahm sie in München das siebenbürgisch-sächsische Frauenreferat der Landesgruppe Bayern, das sie bis 1982 leitete. Im selben Jahr wurde sie zur Bundesfrauen- und Familienreferentin der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland gewählt, ein Amt, das sie zehn Jahre lang, bis 1992, inne hatte. In beiden Ehrenämtern vertrat sie in deren Vorstand, auch beim Deutschen Frauenrat oder beim Bund der Vertriebenen, die Anliegen der siebenbürgisch-sächsischen Aussiedlerfrauen in Deutschland. All die größeren und kleineren vielfältigen Aktivitäten und Veranstaltungen, die sie während ihres Ehrenamts auf Landes- und Bundesebene initiierte und leitete, an dieser Stelle aufzuzählen, würde mehrere Seiten in Anspruch nehmen. Die Palette reicht von Trachtennäh- und -stickseminaren über Ausstellungen zu Kunst und Kultur der Siebenbürger Sachsen bei den Heimattagen in Dinkelsbühl, bei den Ostdeutschen Kulturtagen, bei den Veranstaltungen anderer Vertriebenenverbände, beim Deutschen Frauenrat bis zu organisierten Trachtenumzügen (z.B. 1982 erstmalig die Teilnahme einer Trachtengruppe beim Münchner Oktoberfest).

Zu den regelmäßigen Tagungen der Frauenreferentinnen in den verschiedenen Bundesländern war sie bestrebt, Fachleute einzuladen. Zu Volkskunst und Brauchtum (Trachten und Keramik) hielten beispielsweise der Ethnologe Horst Klusch aus Hermannstadt und Dr. Gerda Bretz-Schwarzenbacher Vorträge. Auch Schriftsteller und bildende Künstler wurden im Rahmen der Seminare geehrt, so Michael Albert, der Mundartdichter Viktor Kästner, Anna Schuller-Schullerus, Grete Csaki-Copony u.a. 1984 unternahm sie mit den Frauenreferentinnen sogar eine Reise zu den Kirchenburgen in Siebenbürgen. Als nach der Wende die Zahl der Aussiedler sprunghaft anstieg, organisierte sie mehrere Seminare im Hinblick auf deren Eingliederung, wobei sie, logischerweise, die unverzichtbare Rolle der Aussiedlerfrauen für die Integration der Familie, vor allem der Kinder und Jugendlichen, im Auge hatte. Dazu lud sie auch Experten ein, die über schulische Integrationsprobleme oder rechtliche Fragen referierten, und sie setzte auf die multiplikatorische Funktion der Landesfrauenreferentinnen.

Doch Ortrun Scola, die „Welterfahrene“, war immer auch bestrebt, die Veranstaltungen, deren Schwerpunkt ja Kultur und Geschichte ihres eigenen Volksstammes zum Thema hatten, mit Vorträgen zur Kultur und Geschichte Deutschlands und Exkursionen in die neue Heimat zu verbinden. Die Frauengruppen besuchten zum Beispiel das „Museum für Deutsche Volkskunde“ in Berlin, besichtigten so berühmte Kulturstätten im Raum Braunschweig wie die „Herzog-August-Bibliothek“ in Wolfenbüttel oder das VW-Werk in Wolfsburg, und – im Laufe all der Jahre unter der organisatorischen Verantwortung von Ortrun Scola – die jeweiligen Ortschaften in den verschiedenen Bundesländern, in denen die Veranstaltungen stattfanden. „Praktischen Heimatkunde-Unterricht“ nennt sie das und hatte damit Erfolg. Für ihre vielfältige Arbeit wurde sie verdientermaßen mit dem Goldenen Ehrenwappen der Landsmannschaft ausgezeichnet.

Zu ihrem abwechslungsreichen, ausgefüllten und erfüllten Leben kann man die Jubilarin aus vollem Herzen beglückwünschen und ihr danken für viele Jahre fruchtbarer Tätigkeit für die Gemeinschaften, innerhalb derer sie engagiert und inspiriert tätig war. Hoch soll sie leben, gesund und heiter soll sie bleiben!

Gudrun Schuster

Schlagwörter: Geburtstag, Frauen, Porträt

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