29. August 2017

Vom verspäteten Grundschüler zum Präsidenten der "Österreichischen Gesellschaft für Germanistik": Anton Schwob wird 80 Jahre alt

Als es 1960 galt, die vakant gewordene Stelle eines Geschäftsführers beim Südostdeutschen Kulturwerk, dem Vorgängerverein des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS), zu betreuen, entsandte der bekannte siebenbürgische Literatur- und Sprachwissenschaftler Karl Kurt Klein (1897–1971), der damals an der Innsbrucker Universität lehrte und Vorstandsmitglied des Kulturwerks war, kurzerhand seinen Studenten Anton Schwob nach München und betraute ihn mit dieser Aufgabe. Was sich ursprünglich als Studentenjob angelassen hatte, sollte sich im Laufe von mehr als fünfzig Jahren zu einer festen und stabilen Dauerbeziehung ausweiten: Bis 2013, als mit dem Ruhestandsantritt des damaligen Direktors auf die weitere Mitwirkung von Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Anton Schwob in den Gremien des IKGS verzichtet wurde, hat er dem Institut als Autor, Mitglied des Vorstands, Mitherausgeber der Südostdeutschen Vierteljahresblätter (seit 2006 Spiegelungen) und der Buchreihen des Verlags angehört und die Arbeit dieser Institution wesentlich mitgeprägt.
Von all den Akteuren, die in leitender Funktion bzw. als Mitarbeiter und Mitwirkende am IKGS im Laufe von mehreren Jahrzehnten tätig waren, kann bislang keiner auf eine so lange Zeit zurückblicken wie Anton Schwob, und kaum jemand war wie er darauf bedacht, dass bei aller Offenheit Erneuerungen gegenüber und bei aller Anpassungsfreudigkeit an die Zeitläufte das ursprüngliche Profil des Institutes nicht verloren ging.

Karl Kurt Klein mag seine Entscheidung wohl auch deshalb getroffen haben, weil er beim jungen und strebsamen Studenten jenseits von dessen wissenschaftlichen Interessen auch eine durch biografische Herkunft bedingte innere Bindung zum Forschungsbereich des Südostdeutschen Kulturwerks festgestellt hatte. Mit Lebensgewohnheiten und Traditionen, mit Geschichte, Sprache und Literatur der Deutschen aus Ostmittel- und Südosteuropa war der am 29. August 1937 in Apatin (Batschka) geborene Schwob sowohl durch die Familie als auch durch seine Studien bekannt und vertraut gemacht worden.
Dr. Anton Schwob (rechts) auf der Tagung des ...
Dr. Anton Schwob (rechts) auf der Tagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde zum Thema „Die siebenbürgisch-deutsche Literatur als Beispiel einer Regionalliteratur“ in Hamburg, September 1989. Am Rednerpult der Literaturkritiker Gerhardt Csejka. Foto: Konrad Klein
Eine glückliche Kindheit, eingebettet in eine Großfamilie, die ihm Geborgenheit und Sicherheit verlieh, war Schwob nur für kurze Zeit beschieden gewesen. Bereits als Siebenjähriger wurde er am Ende des Zweiten Weltkrieges, an dem der Vater als Soldat im deutschen Heer teilnahm, mit der Mutter ins titoistische Lager Gakowo interniert, wo Entbehrungen und Repressalien, Krankheiten und Tod den Alltag bestimmten. Nach zwei Jahren gelang ihnen die Flucht, zu Fuß im Winter durch Ungarn erreichten sie Österreich, wo sie Rettung fanden. Man war glücklich, überlebt zu haben und nahm die prekären Lebensverhältnisse in einem österreichischen Auffanglager der ersten Nachkriegsjahre als gegeben hin. Die Freude, den aus der Gefangenschaft zurückgekehrten Vater wiedergefunden zu haben und die kleine Familie erneut vereint zu sehen, sowie die Möglichkeit, neu beginnen zu können, überwogen die erlittenen Verluste.

Im Land und in der Stadt Salzburg fühlten sich die deutschen Vertriebenen aus Südosteuropa dank einer toleranten und weitsichtigen Politik des Landes und der Kirche aufgenommen und akzeptiert. Anton Schwob, der bis dahin keine Schulanstalten besuchen hatte dürfen, kam als zehnjähriger, verspäteter Grundschüler in die erste Klasse, absolvierte nach dem Besuch der Hauptschule eine angesehene Lehrerbildungsanstalt, trat jedoch nicht in den Schuldienst ein, sondern studierte Germanistik und Geschichte als Stipendiat der Deutschen Burse in Marburg an der Lahn. Hier konnte Schwob Verbindungen zu Mitarbeitern des Deutschen Sprachatlasses aufbauen, damals ein Zentralinstitut für die Erforschung der deutschen Sprache und ihrer Dialekte. Vom Leiter dieses großangelegten wissenschaftlichen Projektes Prof. Ludwig Erich Schmitt (1908–1994) angeregt, sicherte der wissenschaftlich neugierige und engagierte Student im Rahmen der Gesamtaufnahme deutscher Dialekte 88 südostdeutsche Ortsmundarten auf Tonband. In Marburg knüpfte Schwob zahlreiche Freundschaften zu gleichgesinnten Studienkollegen, von denen später einige universitäre germanistische Lehrkanzeln in Deutschland und Österreich besetzen sollten. Am folgenreichsten war jene zu seiner Kommilitonin und späteren Ehegattin Ute Monika Schuller (geb. 1938), deren Vater aus Kronstadt stammte. Die promovierte Historikerin und stilsichere Autorin, Verfasserin mehrerer Bücher und Studien u. a. auch zur siebenbürgischen Geschichte, hat an zahlreichen verlegerischen Vorhaben ihres Mannes mitgewirkt. Sie hat sich darüber hinaus hauptsächlich um die Familie gekümmert und dem vielbeschäftigten Hochschullehrer, der bei seiner mehrfachen Inanspruchnahme ohne ihren Beistand seine Arbeit so nicht hätte verrichten können, nicht nur die „kleinen Dinge des Lebens“ abgenommen.

Bei einem Gastvortrag in Marburg hatte Schwob den charismatischen Universitätsprofessor Karl Kurt Klein kennengelernt, der ihn bewog, seinen Studienort nach Innsbruck zu verlegen. Unter Kleins Einfluss wandte sich Schwob zunächst linguistischen Fragen zu. Er ging dem Verhältnis von Sprachnorm und Sprachwandel nach und untersuchte dessen Auswirkung auf Sprecher verschiedener regionaler und lokaler Artikulationsweisen. Daraus erwuchs auch das Thema seiner Dissertation, in der er die „Siedlermischung und den Sprachausgleich in jungen südostdeutschen Sprachinseln“ beschrieb und diesen Prozess am Fallbeispiel der Mundart von Neubeschenowa (Banat) explizierte. Wie sein verehrter Universitätslehrer Klein sollte auch Schwob von der Linguistik zur Literaturgeschichte wechseln und in seiner Habilitationsschrift sich eingehend – auch hier auf den Spuren Karl Kurt Kleins wandelnd – mit dem Werk des Tiroler spätmittelalterlichen Lyrikers Oswald von Wolkenstein (um 1377–1445) auseinandersetzen. Das war ein Forschungsgegenstand, der ihn über Jahrzehnte in Anspruch nahm. Mehrere Studien, zwei Monografien und als krönender Abschluss eine 2013 in fünf Bänden von ihm, Ute Monika Schwob und einem Mitarbeiterteam fertiggestellte Edition sind der wissenschaftliche Ertrag dieser Beschäftigung.

1968, ein Jahr nach Abschluss der Dissertation, war Schwob von Karl Kurt Kleins Nachfolger, dem renommierten Wortbildungsforscher Johannes Erben (geb. 1925) als Universitätsassistent angestellt worden. Durch Fleiß, Zielstrebigkeit und Ausdauer, aber auch durch Realitätssinn, Weitsicht und pragmatische Kompromissbereitschaft hat Schwob die Stufenleitern des akademischen Betriebs recht rasch genommen und sich im „Biotop“ Universität, in dem großartige Menschen gedeihen, aber auch solche mit eigenwilligen Sitten, Ritualen und seltsamen Verhaltensweisen, gut zurechtgefunden.

In Graz, wohin er 1982 auf den Lehrstuhl für ältere deutsche Sprache und Literatur berufen wurde, nahm Schwob mit einem Team eine Reihe von breitangelegten Themenfeldern in Angriff – vom Gotischen über das Alt- und Mittelhochdeutsche bis zum Frühneuhochdeutschen, von der karolingischen Literatur bis zu jener der Lutherzeit –, wobei die frühneuhochdeutsche Sprachperiode, die Literatur des Hoch- und Spätmittelalters sowie die Editionswissenschaft Schwerpunkte bildeten.

Schwob ist in Fachkreisen bekannt und geschätzt – anlässlich seines 60. Geburtstages ist er mit einer rund 600 Seiten starken Festschrift geehrt worden –, er war über längere Zeit Dekan der Geisteswissenschaftlichen Fakultät sowie Leiter des Germanistischen Instituts in Graz, Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Beiräten und Kommissionen und 1996-2000 Präsident der „Österreichischen Gesellschaft für Germanistik“. 2005 wurde ihm das Große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen.

In all dieser Zeit hat sich Anton Schwob von der Auseinandersetzung mit südostdeutschen Themen nicht distanziert, obwohl an der Universität andere Prioritäten anstanden und die Hinwendung zur deutschen Literatur in und aus Südosteuropa für seine germanistische Laufbahn in den endsechziger, siebziger und frühen achtziger Jahren des vorausgegangenen Jahrhunderts nicht gerade förderlich war. Er hat auch zahlreiche Kollegen dazu animiert, sich mit diesen Problemfeldern auseinanderzusetzen, und viele, vor allem junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, nicht zuletzt aus Ostmittel- und Südosteuropa dazu aufgefordert, sich mit Fragen der regionalen Germanistik zu befassen. So schuf er ein ausgedehntes Kontakt- und Netzwerk, er organisierte besonders in der Zeit kurz vor und nach dem politischen Umbruch 1990 mehrere Tagungen mit internationaler Beteiligung, er gab eine Reihe von Büchern zu diesem Themenkreis heraus, die hier nicht aufgelistet werden können. Für seine wissenschaftlichen Leistungen und seinen Einsatz auf diesem Forschungsgebiet zeichneten ihn die Universitäten Hermannstadt (2001) und Fünfkirchen (2003) jeweils mit dem Ehrendoktor aus.

Ein besonderes Anliegen war ihm, wie auch den anderen Vorstandsmitgliedern jener Jahre, die Wissenschaftlichen Mitarbeiter des Südostdeutschen Kulturwerks – dessen weit aufgefächerter Aufgabenbereich sich von der Forschung, über eine Reihe von mehr oder weniger relevanten Dienstleistungen erstreckte – von aufreibenden und zeitverschwenderischen Tätigkeiten, die in den Geltungsbereich von Kultureinrichtungen und Landsmannschaften gehörten, zu entlasten und das Institut zu einer klar profilierten wissenschaftlichen Institution umzugestalten. Die Forscher sollten sich, so eine seiner Hauptforderungen, vor allem aufs Recherchieren – nicht zuletzt in Archiven und Fachbibliotheken – und Veröffentlichen, später auch auf die universitäre Lehre beschränken. Als erfahrener Universitätslehrer wusste er, dass der Druck zur unentwegten Publikation das Erfolgsgeheimnis in der Wissenschaft ist und dass ein Forschungsinstitut in erster Linie mit eigens verfassten bzw. herausgegebenen Büchern und Zeitschriften seine „Sichtbarkeit“ in der interessierten Öffentlichkeit unter Beweis zu stellen hat und nicht durch ephemere Veranstaltungen wie „Tagungstourismus“, Moderationen und Partizipation an fachfremden Unternehmungen.

Mit Freude und Genugtuung erfüllte ihn, dass nach 1990 der Mitarbeiterstab des Kulturwerks erweitert werden durfte und die Germanistik ein Hauptgewicht des Instituts darstellen konnte, die Buchproduktion des hauseigenen Verlags stark anstieg – mitunter sechs bis acht Publikationen im Jahr –, die Vierteljahresblätter/Spiegelungen ein beachtliches Niveau und auch viele Spezialisten wie Laien erreichten. Ebenso, dass das IKGS 2004 ein An-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde und über Jahre zwei Stiftungsprofessuren in Klausenburg und Fünfkirchen betreute.

Er sah darin auch die Verwirklichung seiner bereits als junger Geschäftsführer entwickelten Vorstellung von den Aufgaben einer konkurrenzfähigen, fest verankerten wissenschaftlichen Institution, deren vorrangige Zielsetzung – wie er in einem Interview formulierte – die „Sicherung des kulturellen Erbes der Südostdeutschen“ sein solle und die sich von „tagespolitischen und parteipolitischen Einflussnahmen sowie kulturpolitischen Moden fernzuhalten“ habe.

Wer die Möglichkeit hatte, mit Anton Schwob über Jahrzehnte zusammenzuarbeiten, lernte ihn als erfahrenen und anregenden Vorgesetzten und Mitarbeiter, verlässlichen und vertrauenswürdigen Gesprächspartner kennen und ist dankbar für eine menschlich bereichernde und wissenschaftlich produktive gemeinsame Zeit. Ad multos annos, verehrter Professor, lieber Toni!

Stefan Sienerth

Schlagwörter: Kultur, Germanistik, IKGS, Südosteuropa

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