11. Mai 2025

Nora Iuga: „Die Gedichte sind meine Freunde“

Nach der zweisprachigen Doppellesung im Goethe-Institut Bukarest am 9. April 2025 führte Edith Ottschofski ein Gespräch mit Nora Iuga, in dem sie die gemeinsame Lesung Revue passieren lassen. Gelesen wurden die Gedichte aus „Clipe-Augenblicke-Clins d’œil“ von Edith Ottschofski, die Nora Iuga übersetzt hatte, und die Gedichte Nora Iugas aus „Fetiţa strigă în pahar“, die Edith Ottschofski übersetzt hatte.
Nora Iuga (94) in ihrer Wohnung in Bukarest. ...
Nora Iuga (94) in ihrer Wohnung in Bukarest. Foto: Edith Ottschofski
Wir hatten ja die Lesung gemeinsam gestern. Wie gefiel sie dir?
Zuerst hatte ich Angst. Ich hatte Lampenfieber? Aber es ist viel besser gegangen, als ich mir gedacht habe. Und jetzt bin ich ruhig. Ich glaube, es war gelungen, hoffentlich. Und ich freue mich, dich wiederzusehen.

Ja, es waren ja auch viele junge Leute gestern – ich glaube, Studentinnen und Studenten. Und du bist richtig aufgeblüht auf der Bühne.
Ja, das ist wahr, das mit dem Aufblühen. Denn ich hatte große Angst, bevor das begann. Aber ich bin überzeugt, dass es gelungen war.

Man merkte gestern richtig, dass die Poesie dir im Herzen steckt oder im Blut sogar, wie du sagtest.
Oh, wie schön du das sagst. Habe ich das gesagt? Ja, das ist wahr. Wenn man ganz alleine lebt, weißt du, dann ... Jetzt spreche ich von einem Menschen, der Gedichte schreibt. Jeden Tag schreibe ich Gedichte, weil ich nichts anderes habe. Die Gedichte sind meine Freunde. Die Gedichte, die ich schreibe, vor allem. Und das hört nicht auf, verstehst du? Ich hatte Angst, mit der Zeit wird mich die Poesie verlassen. Aber es ist überhaupt nicht so. Die Poesie ist meine letzte Freundin, sozusagen. Ich bin alleine hier im Hause, und ich beginne zu dichten. Die Gedichte sind wirklich meine Freunde, mit denen ich sehr interessante Gespräche habe.

Was ist für dich ein gutes Gedicht? Wann bist du zufrieden?
Für mich ist ein gutes Gedicht das beste Gespräch. Ich habe überhaupt keine Freunde. Ich habe mich sehr zurückgezogen. Und wenn ich dichte, dann spreche ich mit mir. Dann bin ich zwei Personen: Ja und Nein. Und das ist sehr interessant. Weil ich so einsam bin, finde ich mich auch sehr interessant, muss ich dir sagen, weil ich keinen Vergleich habe mit anderen Leuten. Und dann alles, was in meinem Kopf ist, scheint mir großartig: Boah! Schöne Idee.
Ja, ich liebe die Einsamkeit immer mehr. Ich kann mich nicht beklagen. Ich verstehe zwar die Leute, die sich beklagen, wenn sie alt sind, dann bleiben sie einsam und niemand sucht sie mehr. Diese Einsamkeit tut mir aber sehr gut.

Ja, gestern hast du ja auch gesagt, dass Deutsch vielleicht sogar deine Muttersprache ist, weil du mit drei Jahren Deutsch gelernt hast.
Ja, das ist wahr.

War das ehrlich gemeint oder war das eine Reverenz, weil wir im Goethe-Institut gelesen haben?
Nein, mein Ehrenwort, es war überhaupt keine Reverenz. Es ist die wahre Wahrheit sozusagen. Denn meine Eltern, mein Vater, war Musiker, wie gesagt, Geiger. Und meine Mutter war Ballerina. Und sie nahmen mich nach Deutschland, Holland und Belgien mit, wenn sie diese Gastspiele hatten.

Einige Gedichte hast du gestern ohne Probe vorher gelesen und die Performance war perfekt.
Ja, ich danke dir sehr. Ich spüre das, wenn ich auf der Bühne bin. Aber ja, vielleicht ist etwas. Vielleicht habe ich etwas geerbt von meinen Eltern, weil meine Mutter als Ballerina mit der Bühne sehr viel zu tun hatte.

In dem Buch „Das Mädchen schreit ins Glas, Fetiţa strigă în pahar“ spielst du mit Träumen, mit Visionen, mit Intertextualität und flichst auch einige eigentlich traurige Gedanken ein über das Alter. Doch insgesamt ist dieser Band sehr lebensfroh und eigentlich heiter. Wie kommt das?
Ich glaube, das ist meine Natur, weißt du, denn ich bemühe mich nicht, so zu sein, um das Publikum zu erobern, aber ich erfreue mich des Lebens. So wenig, wie viel es noch geblieben ist. Ich freue mich sehr. Ich liebe das Leben.
Nu joc teatru (Ich spiele kein Theater), verstehst du? Das empfinde ich in meinem ganzen Körper. Vielleicht spielt auch die Gesundheit eine fantastische Rolle, weil ich, Gott beschütze, ganz gesund bin. Nichts tut weh. Nichts. Ich fühle mich wie eine 30-jährige Frau. Ich könnte mich jeden Tag verlieben. Mein Sohn ist erschrocken, weil ich so frei bin. Und ich sage allen Leuten das, was ich fühle. Aber das ist nicht ein Theaterspiel. Ich empfinde mich so.

Du hast auch gestern gesagt, du bist immer verliebt.
Na ja, das empfinde ich immer. Auch für Tiere, auch für Menschen, auch für Musik, auch für Poesie. Es sind sehr viele Sachen, in die ich verliebt bin.

Du hast die Angst verloren, war deine Aussage gestern.
Ja, ja, da hast du recht. Das habe ich gestern gesagt. Ich weiß nicht, wie ich mir das erklären soll. Denn es war eine wirklich lange Zeit, als ich eine schreckliche Angst vor dem Tod hatte. Und das war, sagen wir, vor einem Jahr immer noch in mir. Und plötzlich habe ich gesehen, dass diese Angst abgenommen hat. Ich hab mich daran gewöhnt. Das kommt davon, weil ich nicht leide, vorläufig. Es tut mir nichts weh. Ich fühle mich flink genug für mein Alter. Aber wenn etwas kommt, und es muss ja einmal kommen, dann werde ich sehr erschrocken sein. Dann werde ich wirklich eine schreckliche Angst haben. Weil ich jetzt nichts Schlimmes empfinde.

Und das beste Rezept, um zufrieden oder gar glücklich zu sein, ist jeden Tag zu schreiben?
Das glaube ich schon.

Schlagwörter: Interview, Iuga, Dichterin

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