9. April 2006

Einar Joachim Keintzel: Bedeutender siebenbürgischer Forscher

In rund 100 Publikationen hat Einar Joachim Keintzel die Ergebnisse seiner Forschungen über die Erdbebensicherung von Hochbauten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Als bedeutendste Leistung gelang es ihm, die bis dahin rätselhafte Besonderheit im Erdbebenverhalten von Stahlbetonwänden wissenschaftlich zu erklären. Der Forscher ist am 25. Februar 2006 im Alter von 72 Jahren in Karlsruhe gestorben.
Einar Keintzel kam am 23. Mai 1933 in Deutsch Zepling, einem Dorf im Reener Ländchen, als Sohn des Pfarrers Waldemar Keintzel und dessen Ehefrau Elisabeth, geborene Schmidt, zur Welt. 1936 übersiedelte die Familie nach Kronstadt, wo der Junge den Kindergarten, die Grundschule, Unter- und Obergymnasium besuchte. In die Oberstufe des Honterusgymnasiums, das damals "Deutsches Lyzeum" hieß, kam er nach der Quarta. Der Vater war von 1945-1947 als Deportierter in Russland und wirkte später, von 1959 bis zu seiner Pensionierung, als evangelischen Stadtpfarrer in Kronstadt.

Einar Joachim Keintzel (1933-2006)
Einar Joachim Keintzel (1933-2006)
Von 1952 bis 1957 studierte Keintzel in Bukarest Bauingenieurwesen und beendete die Hochschule als einer der beiden Absolventen - unter 200 Studenten - mit dem Ehrendiplom ("Diploma de merit"). Um seinen Eltern näher zu sein, nahm eine Stelle beim Kronstädter Projektierungsinstitut "Proiect Brasov" an. Dort stieg er zum Gruppenleiter auf und blieb dem Institut bis zur Aussiedlung 1974 treu. Seine Tätigkeit, die er nicht nur als Broterwerb, sondern auch sehr wesentlich als Selbstverwirklichung empfand, regte ihn zu einer großen Anzahl von wissenschaftlichen Veröffentlichungen an, zunächst vorrangig über die Berechnung von Hochhäusern - ein Thema, dem auch sein erstes, in Rumänien erschienenes Buch gewidmet war. Dann trat die Erdbebensicherung immer stärker in den Vordergrund und, kurz vor der Aussiedlung, das schwierige Spezialproblem der Erdbebensicherung unsymmetrischer Bauten mit einer ersten Anwendung, der Berechnung des Hotels "Cioplea" in Predeal.

Daran knüpfte auch seine Arbeit in Deutschland, am "Institut für Massivbau und Baustofftechnologie" der Universität Karlsruhe, an. Dort sollte gerade eine neue Norm für die Erdbebensicherung von Bauwerken erarbeitet werden, und es fehlte ein Kapitel über die Berechnung unsymmetrischer Bauten. Keintzel konnte einspringen und entwickelte ein geeignetes Berechnungsverfahren, das später aus der Deutschen Norm in die Europäische Erdbebennorm übernommen werden sollte. Voll Dankbarkeit gedenkt Keintzel dabei des Goethe-Wortes: "Wen die Götter lieben, den führen sie zur Stelle, wo man sein bedarf." 23 Jahre lang befasste er sich, als Wissenschaftlicher Angestellter des genannten Instituts, in Forschung und Lehre mit Problemen der Erdbebensicherung. In dieser Zeit bestand er als 48-Jähriger seine Doktorprüfung "mit Auszeichnung", es verfasste sein Werk "Erdbebensicherung von Hochbauten" als erstes deutschsprachiges Buch zu diesem Thema, zwei Bände "Dynamische Probleme im Stahlbetonbau" sowie viele Aufsätze und Vorträge zur Europäischen Erdbebennorm, an deren Erarbeitung er von deutscher Seite her beteiligt war, zuletzt eine Neufassung der deutschen Erdbebennorm.

Höhepunkte dieser Zeit waren die Europäischen Konferenzen und Weltkonferenzen für Erdbebeningenieurwesen, die den Siebenbürger Sachsen u.a. bis nach San Francisco und Tokio führten, und bei denen er seine Forschungsergebnisse der internationalen Fachwelt vorstellen konnte. Dabei sind wohl die in Tokio vorgestellten Untersuchungen zu einer bis dahin rätselhaften, nicht erklärbaren Besonderheit im Erdbebenverhalten von Stahlbetonwänden, die er erklären und einer genaueren Berechnung zugänglich machen konnte, als seine bedeutendste wissenschaftliche Leistung zu betrachten.

Eine ausführliche Würdigung seiner ersten 37 Veröffentlichungen in Rumänien findet sich im 1971 erschienenen Buch "Istoria matematicilor aplicate clasice din România" (Geschichte der angewandten klassischen Mathematik in Rumänien), eine kurze Würdigung seiner wissenschaftlichen Tätigkeit in Deutschland im 1999 erschienenen Sammelband "Kronstadt. Eine siebenbürgische Stadtgeschichte" . Die Anzahl seiner Veröffentlichungen ist inzwischen auf 104 gestiegen, so dass er einen am Vortag seines 65. Geburtstags im Institut gehaltenen Abschiedsvortrag unter den Titel "Rückblick. 40 Jahre Berufstätigkeit im Spiegel von 100 Veröffentlichungen" stellen konnte.

Einar Kentzel heiratete 1961 die Hermannstädterin Renate, geb. Stürzer, die als Cellistin an der Kronstädter Staatsphilharmonie und zeitweilig als Cellolehrerin an der Kronstädter Musikschule tätig war, bevor sie 1964 berufsunfähig wurde. Die Ehe blieb kinderlos. Bis 1974 lebte die Familie in Kronstadt, dann siedelten sie nach Deutschland aus und lebten seit 1975 in Karlsruhe. Einars jüngerer Bruder, Volker, lebt heute als Architekt in Düsseldorf.

Seit 1988 beschäftigte er sich als Rentner nur noch ehrenamtlich in einem Fachausschuss mit Fragen der Erdbebensicherung, konnte sich aber um so mehr seinen Hobbys, Lesen und Musikhören widmen. Er erlebte hier die Weite und Offenheit der in unserer siebenbürgischen Gemeinschaft herrschenden geistigen Atmosphäre, die ihn geprägt hatte. Das bedeutete für ihn ein lesendes Suchen nach den Wurzeln dieser durch das geistige Europa bestimmten Atmosphäre in Jahrtausenden Philosophie und Theologie, Mathematik und Kunst in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit und Wechselwirkung. In letzter Zeit hatte Keintzel immer wieder gesundheitliche Probleme. Mehrere Krankenhausaufenthalte konnten seinen Zustand nicht wesentlich verbessern und schließlich ist er in der Nacht zum 25. Februar 2006 in seiner Karlsruher Wohnung sanft entschlafen.

Einar Keintzel war einer jener Siebenbürger Sachsen, die Außerordentliches geleistet haben und auf welche unser kleiner Volksstamm voller Stolz verweisen kann. Wir werden ihm stets ein liebevolles und ehrendes Gedenken bewahren.

Horst Bonfert

Schlagwörter: Porträt, Nachruf, Wissenschaft

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