24. Februar 2007

Das ewig junge Ereignis Buch: Aldus-Verlag in Kronstadt

Als der italienische Humanist und Drucker Aldo Manuzio, der sich aus Verehrung für die Kultur der Alten Aldus Manutius nannte,1515 sechsundsechzigjährig in Venedig starb, berühmt geworden durch sorgfältig gedruckte Klassikerausgaben in Griechisch und Latein, ahnte er nicht, dass sich 376 Jahre später in Kronstadt – jener Stadt, in der sein bedeutender Zeitgenosse Johannes Honterus gelebt hatte, auch er ein Büchernarr – ein kleines, dem Buch gewidmetes Unternehmen nach ihm benennen würde. 1991 eröffnete eine mutige Frau im Zeichen des Aufbruchs nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur ein Antiquariat mit sage und schreibe sechs Regalen Buchbeständen – sie heißt Astrid Hermel.
Dass sich ihr Antiquariat in der Hirschergasse befand, ist abermals von geschichtlichem Bezug: gegenüber steht der älteste Profanbau der Stadt, das 1545 errichtete Kaufhaus der Apollonia Hirscher (gestorben 1547), der bemerkenswertesten Frau in Kronstadts Geschichte.

Astrid Hermel hatte vor ihrer geschäftlichen Selbständigkeit lehr- und erfahrungsreiche Jahre im städtischen Antiquariat hinter sich. Kundentypus, Bucharten und Kaufinteresse waren ihr ebenso vertraut wie deren vielfach bedingter Wechsel, die Verschiebungen des Angebots und der Nachfrage ebenso wie deren Motive. Hatten aber vor dem großen Exodus der deutschen Teile der Stadtbevölkerung im Gefolge der Politikwende 1989/1990 die Zäsuren moderaten Charakter gehabt, so stellte sich danach eine noch nie dagewesen Situation ein: ein neues Käuferpublikum bildete sich, der Geschäftsbasis musste eine neue Berechenbarkeit zugrunde gelegt werden.

Pfarrer Kurt Boltres würdigt Astrid Hermel für ihre Verdienste um die Förderung der deutschen Kultur mit der Ehrenmitgliedschaft des Ortsforums Kronstadt. Foto: Edmond Hermel
Pfarrer Kurt Boltres würdigt Astrid Hermel für ihre Verdienste um die Förderung der deutschen Kultur mit der Ehrenmitgliedschaft des Ortsforums Kronstadt. Foto: Edmond Hermel

Es blieb nicht bei den kümmerlichen sechs Startregalen. Astrid Hermel machte aus dem Antiquariat, in dem von der alten Langspielplatte über die noch ältere Vedute mit Kronstadt- oder Burzenlandmotiven, von der „Gartenlaube“-Kollektion des Jahrgangs 1872 oder 1925 über zerlesene Ausgaben der „Buchgemeinde“ bis zum repräsentativen Band der „Büchergilde Gutenberg“ für den bibliophilen Feinschmecker Leckerbissen zu finden waren: Aus alldem machte Astrid Hermel einen Verlag mit eigener Buchproduktion. Die erste Veröffentlichung war eine kleine dreisprachige Holzschnittmappe „Das alte Kronstadt“. Der Sohn Artur und die Schwiegertochter Monica traten ins junge, bescheidene Unternehmen ein – er als begabter und mit den neuen Verfahren vertrauter Techniker in Fragen des Drucks, der Bindung, der Vervielfältigung, sie als flexible wie geduldige Verkäuferin und Praktikerin im Gewirr der Buchhaltung.

Mit der Umsiedlung in die Gewölberäume der ehemaligen alten Stadtapotheke auf dem Marktplatz Nummer 15 kam die Modernisierung sowohl der Büroeinrichtung als auch der technischen Gerätschaften hinzu. Dass der Verlag Aldus heute auf Buchveröffentlichungen aller Literaturgattungen in seinem nur fünfzehnjährigen Bestehen zurückblickt – von der Lyrik bis zur Monographie, vom Erzählungsband bis zur historischen Abhandlung u.a. –, wurde bei den finanziellen Engpässen, die das Kalkül dieser Firmengrößenordnung in Rumänien bestimmen, nur möglich bei sparsamstem Haushalt, genauer Ausgabenabwägung und gelegentlichem Zurückstecken der Ansprüche aller Beteiligten. Kaum etwas spricht eine deutlichere Sprache für die Leistungsbereitschaft der Aldus-Beteiligten als die Reibungslosigkeit in der Bewältigung bisheriger Engpässe aus diesen Gründen. Im Besitz des staatlichen Attestats für Verlag, Druckerei, Buchhandel und Antiquariat, erst recht seit der Akkreditierung durch das Bukarester Erziehungs- und Forschungsministerium, die Aldus auch für wissenschaftlich ambitionierte Buchprojekte auf Landesniveau attraktiv macht, sind Entwicklungen möglich, deren Perspektiven Ermutigung suggerieren.

Die für den Ankauf der neuen als auch antiquarischen Buchbestände und für die Orientierung der Aldus-Buchproduktion verantwortliche Chefin des Hauses, Astrid Hermel, bringt die Voraussetzungen mit, jede Chance zu nutzen. Ins ewig junge Ereignis Buch verliebt, ja, ihm verfallen, bewies sie bisher Gespür und Sinn sowohl für Produktionsnotwendigkeiten als auch für den antiquarischen Erwerb. Während unseres Gesprächs in der Nische im hinteren Teil unter dem spätmittelalterlichen Tonnengewölbe lag eine 1630 in Paris veröffentlichte riesenformatige „Ecclesiasticae historiae“ vor mir, eines jener Wunderwerke der Buchherstellungskunst aus dem 17. Jahrhundert, das noch drei Säkula später jeden Betrachter der akribisch gemalten Farbillustrationen als auch des verwendeten Schrifttypus in Erstaunen versetzt – eben jener auf den eingangs genannten Aldus Manutius zurückgehende, auch „humanistische Kursive“ genannte Antiquakursive. Astrid Hermel weiß, dass sie den schwindelerregend kostspieligen Kauf nicht morgen schon gewinnbringend absetzen kann – und sie weiß ebenso, dass er eine Kapitalanlage ist. Gleich daneben lag aber auch das modern aufgemachte Bändchen „Foaie de suflet pentru un oraș transilvan“ mit meinen von rumänischen Studenten der Kronstädter Germanistikfakultät unter Anleitung der Bukarester Universitätsdozentin Dr. Mariana Lăzărescu 2005 aus dem Deutschen übersetzten Kronstadt-Essays.

Zu 95 Prozent, sagt sie, vertreibe und stelle sie deutschsprachige Titel her. Das sind seit Beginn der Aldus-Buchproduktion rund 180 Titel, davon 45 wissenschaftliche und zehn aus dem Bereich universitärer Publizistik. Sie hat dabei die Verschiebung und Umschichtung der Käuferkreise im Auge zu behalten, sie darf den Besuch der großen und kleinen Buchmessen nicht versäumen und muss sich davor hüten, dem Gewohnheitstrott zu erliegen, das heißt, sie muss jede Anregung zum neuen Kaufanreiz wahrnehmen. Was das in einer Umgebung heißt, die während der letzten anderthalb Jahrzehnte fast die gesamte deutsche Bevölkerung durch Abwanderung verlor, vermag sich jeder leicht auszumalen. Dennoch wurde z.B. 1998 zu einem Höhe- punkt der Verkaufslage. Waren es nach Beginn der Buchherstellung zunächst vor allem ältere Menschen, die auf den Regalen suchten, so sind es seit kurzem immer mehr Studenten. Hinzu kommen Touristen – vor allem aus Deutschland, aber auch aus Frankreich, Großbritannien, aus Italien, Spanien und den Niederlanden. Die 95 Quadratmeter Fläche, auf denen sich die vielsprachigen Büchersucher bewegen, haben, zugegeben, Atmosphäre – der alte, niedrige Raum, der über vier, fünf Stufen aus dem ebenfalls überwölbten Hofeingang des verschachtelten, geheimnisvoll wirkenden Gebäudekomplexes zu erreichen ist, lädt zur Muße ein: Der Mensch, der solche Räume schuf, war noch kein Gehetzter. Es war eine goldrichtige Entscheidung des Deutschen Forums Kronstadts, Astrid Hermel urkundlich verbriefte Anerkennung auszusprechen.
Besitz der Kronstädter Schwarze-Kirche-Gemeinde, wird hier zurzeit hinter und auf Baugerüsten totalrenoviert: Türen, Fenster, sanitäre Einrichtungen, Stromleitungen, Mauererneuerungen, Bodenrestaurierungen, Dachüberholungen und anderes dieser Art mehr – alles dazu angetan, chaotische Labyrinthe und die Fußknöchel gefährdende Zustände herbeizuführen. Doch das ist der lang ersehnte Hoffnungsschimmer, den nicht nur geschichtsträchtigen, sondern auch, verglichen mit unserer Glas-Stahl-Bau-Monotonie, in seiner Vielgestaltigkeit so menschlich wirkenden mittelalterlichen Baukörper zu neuem, schönem Leben zu erwecken. Dass er in seinem Inneren das Büchergehäuse Aldus birgt, ist abermals Fortsetzung eines geschichtlichen Erbes. Denn hatte nicht in dieser Stadt und mitten im Herzen dieser von ihm geschaffenen Kirchengemeinde der große Sohn Kronstadts, Johannes Honterus, früheste südosteuropäische Buchwerke geschaffen und mit vorausblickender Klugheit dem Buch im geistlichen Leben seiner Landsleute einen vorrangigen Platz zugewiesen und gesichert? So gesehen gibt es in Kron- stadts historischem Kern keinen sinnvolleren und für beide Seiten belebenderen Platz als den alten Bau der Kirchengemeinde. Wer sich in deutschen Städten mit mediävalem Zentrum umsieht, wird überall in unmittelbarer Nähe großer Gotteshäuser auch den Buchladen finden; das Gefühl gegenseitiger Ergänzung ist in beiden verwurzelt. Denn die Kirche wurde in unseren Tagen zum Kulturzentrum und trägt so auch Verantwortung.

Dass Astrid Hermels älterer Sohn Edmund gemeinsam mit seiner Frau Mihaela, einer bildenden Künstlerin, die über Rumäniens Grenzen hinaus von sich zu reden machen beginnt – wie etwa mit in Buntmetall nachgebildeten, in Kairo gezeigten altägyptischen Figurenreihen –, dem Aldus-Buch neue Impulse z.B. mit dem Plan der Eröffnung einer Aldus-Kunstgalerie in Kronstadt gibt, zeigt einmal mehr, dass im Glauben an die Zukunft des Unternehmens der Familie Hermel jene Bereitschaft zur Expansion lebt, die immer die Gewähr für Fortschritt und Entwicklung ist. Wer Kronstadt besucht, sollte den Weg zum Aldus Verlag nicht scheuen!

Hans Bergel

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 3 vom 20. Februar 2007, Seite 7)

Anschrift:
Aldus Antiquariat, Verlag und Druckerei
Piața Sfatului 17
RO-500031 Brașov,
Telefon und Fax: (00 49) 2 68-47 88 23
E-Mail

Schlagwörter: Verlag, Kronstadt, Burzenland, Frauen

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