15. November 2004

Daniel Thellmann

Nicht nur im Kreisvorort, sondern auch in der zweitgrößten Stadt des Kreises Hermannstadt gibt es seit den Wahlen im Juni einen deutschen Bürgermeister: Daniel Thellmann hat, wie bekannt, in Mediasch die Stichwahl mit über 75 Prozent der Stimmen für sich entschieden. Mittlerweile sind die ersten 100 Tage im Amt verstrichen für den Mann, der 1960 in Hunedoara geboren wurde und seit 1975 in der Kokelstadt beheimatet ist. Das folgende Gespräch mit dem neuen Bürgermeister führte Martin Ohnweiler.

Herr Thellmann, haben Sie sich das Amt vor der Wahl als Bürgermeister denn auch so vorgestellt?

Das Amt habe ich mir schon so vorgestellt, allerdings nicht mit all seinen Finessen. Erfahrung im Bereich der Verwaltung konnte ich in den letzten vier Jahren schon im Kreisrat von Hermannstadt sammeln. Diese Zeit hat mir Augen und Ohren geöffnet für das, was in der rumänischen Verwaltung jetzt so alles abläuft. Und zu diesen Räumlichkeiten, dem Mediascher Bürgermeisteramt, hatte ich einen ersten Kontakt gleich nach dem Umbruch bei der Gründung des damaligen provisorischen Rates. Ich muss jedoch hinzufügen, dass die Umstrukturierung und der rapide Wandel in der Verwaltung derzeit an uns ganz neue Forderungen stellen, die wir meistern müssen, obwohl uns hierfür oft die Ressourcen fehlen. Es ist das übliche Spiel: Die Zentralregierungen tritt die verschiedenste Kompetenzen an die Untergliederungen ab, ohne diese finanziell abzusichern. Doch davon habe ich gewusst, damit gerechnet.

Was ist anders, was ist völlig neu für Sie?

Das Novum in dieser Funktion ist die totale Öffnung, oder anders gesagt: das Bedürfnis an Kommunikation zwischen Bürgermeisteramt und Bürgern. Diese Transparenz in der Verwaltung, die erst jüngst gesetzlich festgeschrieben wurde, öffnet ganz neue, ich würde sagen europäische Perspektiven. Ich freue mich über diesen Dialog, da ich als kommunikativer Mensch gerne im Team arbeite. Ohne Kommunikation und Teamarbeit geht es in der Verwaltung nämlich nicht, denn hier müssen viele Interessen der Menschen auf den gleichen Nenner gebracht werden.

Womit haben sie auf alle Fälle gerechnet?

Zunächst einmal mit einem Desaster in der Finanzgebarung. Auf den ersten Blick war das auch so. Aber nach und nach konnte ich feststellen, dass meine Vorgänger im Amt die Finanzprobleme eigentlich richtig gestaffelt haben. Die Schulden des Mediascher Bürgermeisteramtes sind zwar reell, aber auch realitätskonform. Denn die meisten auf Pump durchgeführten Vorhaben funktionieren, etwa im Bereich der Infrastruktur, die Beleuchtung u.a.m. Die Bürger verdienen ein Mindestmaß an solchen Leistungen, damit das Leben in unserer Stadt auch lebenswert wird. Nach jeder Investition kommt freilich die Rechnung, die man bezahlen muss. Nur glaube ich nicht, dass die Zahlungsmoral der Bürger steigt, wenn die Misere größer wird.

Das ist natürlich ein Problem, wohl aber nicht das Einzige, mit dem Sie auf Anhieb konfrontiert wurden.

Richtig. Viel schlimmer bestellt ist es um den Sozialwohnungsbau. Wir haben ganz viele Sozialfälle, und der Fehler war bislang, dass man diese Fälle immer wieder versucht hat „durchzukämmen“ in der Hoffnung, dass einige davon im Sieb bzw. Kamm hängen bleiben. Das Ergebnis ist unverändert: Etwa 4 000 Bürger unserer Stadt leben unter einer akzeptablen Schwelle, also in großer Armut. Wir verfügen zurzeit nur über 400 Sozialwohnungen, die alle auf absehrbare Zeit besetzt sind. Damit müssen wir nun kämpfen.

Und womit noch?

Das Wohnungsproblem ist zwar das akuteste, aber weitaus gravierender ist der chronische Mangel an Arbeitsplätzen. Und hier schließt sich der Teufelskreis: Man kann keine Steuern erheben, wenn die Leute keine Arbeit haben. Und ohne Einnahmen kann man sich nicht weiter entwickeln.

Was ist nun zu tun?

Man kann etwas sehr schnell zerstören, aber nur langsam wieder etwas aufbauen. Und wenn diese Zerstörung 14 Jahre lang gedauert hat, dann stellt sich für uns die Frage, wie lange die Aufbauphase dauern wird. Diese Probleme in einer Amtsperiode zu lösen, ist natürlich ein Traum.

Wo könnte man ansetzen, wo sehen Sie eine zusätzliche Chance für Mediasch?

Eine weitere Chance ergibt sich durch den Kreisvorort. Bekanntlich wird Hermannstadt 2007 neben Luxemburg europäische Kulturhauptstadt sein. Mit Unterstützung des Bürgermeisters Klaus Johannis und des Kreisratsvorsitzenden Martin Bottesch kann Mediasch durchaus den Anschluss an dieses Event finden und dadurch mehr ins europäische Blickfeld rücken. Mediasch kann der Haupt- und Hermannstadt freilich nichts abnehmen, es sei denn, Hermannstadt will etwas abgeben. Das Losungswort in diesem Kontext wäre Kooperation. Die kulturelle Schiene wird nämlich in ganz Europa immer mehr genutzt, um die Attraktivität eines Ortes, einer Stadt zu unterstreichen. Diese einmalige Chance werden wir uns nicht entgehen lassen.

Was könnte Mediasch komplementär zu Hermannstadt bieten?

Ich denke beispielsweise an das lebendige Handwerk. Die Faszination Handwerk hat zurzeit ganz Europa erfasst. Überall wird althergebrachte Handarbeit wieder gepflegt. Und in diesem Bereich hatten wir nun mal Tradition. Im Kulturleben sollten wir - über das reichhaltige Angebot des Schullerhauses hinaus - auch neue Bereiche erschließen. Wir können sicherlich nicht in alle sieben Künste investieren, dafür reicht das Geld nicht. Mediasch hat aber beispielsweise keinen Kinosaal mehr. Wer einen Film sehen will, muss nach Hermannstadt oder Neumarkt am Mieresch fahren. Dafür spricht das Theater die Mediascher wieder an. Es gibt sogar eine Theaterbewegung bei uns, und wir versuchen, die Kommunikationskanäle zu dieser Kunst wieder zu aktivieren. Bei der jüngsten Vorstellung einer Bukarester Truppe erwies sich der Gewerkschaftssaal mit seinen rund 600 Plätzen als viel zu klein. Das macht Mut.

Hätten Sie von daher nochmals Mut, für dies Amt als Bürgermeister zu kandidieren?

Ja. Ich muss gestehen, dass ich im Jahre 2000 sogar nochmals an die Uni ging, um nicht nur meine politischen Kenntnisse zu festigen, sondern auch mit dem Ziel, im Jahre 2004 für das Bürgermeisteramt zu kandidieren.

Doch würden die Mediascher Sie, im Falle des Falles, mit gleichen Mehrheit wieder wählen?

Es ist viel zu früh einen möglichen Wahlausgang vorauszusagen. Im Kreis Hermannstadt wurden vielerorts Sachsen in Verantwortungsposten gewählt, weil sie für etwas stehen, was in einer Zeit der Armut und Not gefragt ist: Ordnung, Sparsamkeit, Disziplin, Ehrlichkeit. Genau in diese Marktlücke sind wir eingesprungen, jedoch nicht mit populistischen Versprechen, sondern vielmehr mit jenen Tugenden, die sich in 800 Jahren bei uns gefestigt haben. Die Sachsen haben schon immer eine Brückenfunktion erfüllt, sie konnten sich als Minderheit nicht zwischen zwei Mühlsteine stellen. Diese Mittlerfunktion hat sich auch in Hermannstadt seit 2000 bewährt. Die Stadtleitung unter Klaus Johannis hat ein klares Ziel ins Auge gefasst und mit der altbewährten sächsischen Konsequenz verfolgt. Das ist unser Kapital. Und die Wähler, vor allem in den siebenbürgischen Kreisen, wissen, was Sache ist und wer die Sachsen sind.

Sie sind nun Bürgermeister und gleichzeitig Verantwortungsträger im Forum mit Kontakten zur Heimatortsgemeinschaft Mediasch sowie ständiger Vertreter des Siebenbürgenforums mit beratender Funktion im Bundesvorstand der Landsmannschaft. Wie schaffen Sie das?

Ich habe mir anfangs tatsächlich überlegt, einige dieser Ämter abzugeben. Im Forum wären aber auf Stadt- und Kreisebene sowie auf Ebene des Siebenbürgenforums strukturelle Probleme entstanden. Deshalb mache ich so weiter, und es funktioniert. Die Kontakte zu den Landsleuten in der ganzen Welt finde ich sehr nützlich. Von dort kommen Ideen und neue Impulse. Jetzt schon haben das Mediascher Forum und die Heimatortsgemeinschaft in Deutschland das Sachsentreffen der Mediascher im kommenden Jahr besprochen, und es wird sicherlich ein Superfest. Und ebenso wichtig ist die beratende Funktion im Bundesvorstand der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland. Die Einladung zur nächsten Tagung im November liegt hier vor mir zusammen mit der Tagesordnung, die ich eingehend studieren werde, um mich in Neu-Isenburg in die Diskussionen einbringen zu können.

Link: Bürgermeisteramt in Mediasch

Schlagwörter: Interview, Politik

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