12. März 2006

Ernst Bruckner

Die Kürzung der Fremdrentenbewertung um vierzig Prozent ist bereits für Rentenzahlungen bei Rentenbeginn ab 1. Oktober 1996 in Kraft getreten. Zahlreiche Siebenbürger Sachsen mussten dadurch existenzielle soziale Einschnitte hinnehmen. Das Bundessozialgericht hat sich im Dezember 1999 in mehreren Verfahren von der Verfassungswidrigkeit dieser Kürzung überzeugt und zur Prüfung des Gesetzes dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorgelegt. Dort wurde bisher nicht entschieden. Über die bisherigen Leistungen der Interessengemeinschaft gegen Fremdrentenkürzungen und den aktuellen Stand der Rentenfrage führte Siegbert Bruss folgendes Interview mit Rechtsanwalt Ernst Bruckner, Bundesrechtsreferent der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen.

1996 haben sich zahlreiche Siebenbürger Sachsen auf Initiative der Landsmannschaft zu einer Interessengemeinschaft gegen Fremdrentenkürzungen zusammengeschlossen. Welche Ziele verfolgt die Interessengemeinschaft?

Die Interessengemeinschaft wurde gegründet, um die erheblichen Einschnitte in die Fremdrentenbewertung zu bekämpfen, die 1996 geplant waren. Als die intensiven Einflussnahmen auf Politiker und Abgeordnete aller Parteien erfolglos waren, blieb nur mehr der juristische Weg.

Zuerst mussten alle bereits Rentenberechtigten über die neue Rechtslage informiert und zu einem sofortigen Rentenantrag bewegt werden: Galt für sie doch die große Chance, dass ihre Fremdrentenzeiten noch ohne Kürzung blieben, wenn sie vor dem Stichtag 1.Oktober 1996 in Rente gingen - ganz entgegen der üblichen Meinung "je länger gearbeitet, desto mehr Rente".

Danach musste eine Strategie entwickelt werden, auf welchem juristischen Weg man am besten gegen die Kürzungen vorgeht: Verfassungsbeschwerden direkt in Karlsruhe einreichen oder den "Weg durch die Instanzen" mit vielen Benachteiligten gehen. Auf jeden Fall war klar, dass es sich um sehr schwierige und langwierige Verfahren handeln wird, die einen großen finanziellen Aufwand erfordern, den einzelne Beteiligte nicht aufbringen können. Durch den Zusammenschluss von vielen in einer Interessengemeinschaft sollten die zu erwartenden Kosten für Prozessvertretungen, wissenschaftliche Gutachten und mögliche Verhandlungen solidarisch aufgebracht werden.

Was hat die Interessengemeinschaft in den zehn Jahren seit ihrer Gründung geleistet?

Die Landsmannschaft und die Interessengemeinschaft haben sich nach intensiven Diskussionen in mehreren Sitzungen mit allen mitarbeitenden Rechtskundigen für den "Weg durch die Instanzen" entschieden, da eine direkte Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz als wenig erfolgversprechend eingestuft wurde. Wie sich später dann herausstellte, war es der richtige Weg, allerdings ein besonders langer und steiniger. Alle betroffenen Mitglieder der Interessengemeinschaft konnten ihre Rentenbescheide mit der 40-Prozent-Kürzung an uns senden und die "Interessengemeinschaft" hat dann sämtliche Schritte für sie durchführen lassen: Widerspruch, Klageverfahren am Sozialgericht, Berufung beim Landessozialgericht, Revision beim Bundessozialgericht und Betreuung der Fälle vor dem Bundesverfassungsgericht.

Es war unser Ziel, in ganz Deutschland mutige Richter zu finden, die - wie wir - diese 40-Prozent-Kürzung als verfassungswidrig einstuften und die Frage deshalb dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorlegen. Die Suche nach solchen Richtern war sehr umfangreich und arbeitsaufwändig, wir mussten in ganz Deutschland eine sehr große Anzahl von Prozessen nebst Rechtsmitteln über mehrere Instanzen führen, bis wir endlich ganz oben am Bundessozialgericht in Kassel nach einer mündlichen Verhandlung erfolgreich waren.

Meine Anwaltskanzlei betreute dabei den Großteil aller Fälle in ganz Deutschland und die Präzedenzfälle, so dass die Arbeit nach außen von einer Stelle aus koordiniert werden konnte. Intern gab es eine intensive Kooperation mit allen Beteiligten, insbesondere bei der Erarbeitung der Fragen für die Gutachter und bei der Besprechung und Auswertung der beiden Gutachten.

Im Auftrag der Interessengemeinschaft gegen Fremdrentenkürzungen wurden zwei Gutachten erstellt und in Musterprozesse eingebracht. Mit welchen Argumenten wurde die Kürzung der Fremdrentenbewertung um vierzig Prozent angefochten?

Das erste Gutachten stammt von den Professoren Dr. Dr. Podlech und Dr. Azzola sowie Rechtsanwalt Dieners. Es wurde von uns an sehr vielen Sozialgerichten vorgelegt und lag auch dem Bundessozialgericht bei seiner ersten positiven Entscheidung schon vor. Es beschäftigt sich intensiv mit sämtlichen hier auftauchenden Fragen. Am besten gefallen mir persönlich die Passagen über Artikel 116 Grundgesetz und die Folgerungen, die die Gutachter daraus ziehen: Wer als Deutscher nach Deutschland kommt, hat Anspruch auf eine seiner Lebensleistung entsprechende Versorgung - er muss sich nicht auf das niedrigste Niveau Sozialhilfe verweisen lassen.

Das zweite Gutachten stammt von Prof. Dr. Ulrich Becker und wurde von uns im Stadium der Richtervorlagen direkt an das Bundesverfassungsgericht eingereicht. Auch dieses Gutachten geht intensiv auf alle hier interessierenden und relevanten Rechtsfragen ein und kommt in Übereinstimmung mit dem anderen Gutachten und mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu dem Ergebnis, dass die Kürzung der Fremdrentenbewertung um vierzig Prozent verfassungswidrig ist.

Die wichtigsten Argumente gegen die Kürzung sind: Eigentumsgarantie, Gleichheitssatz, Vertrauensschutz (Rechtsstaatsprinzip) und die im vorhin erwähnten Artikel 116 des Grundgesetzes enthaltene Versorgungsgarantie.

Das Bundessozialgericht in Kassel hat in mehreren Entscheidungen 1999 die Vorschriften zur 40-Prozent-Kürzung der Aussiedlerrenten für verfassungswidrig befunden und das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet. Weshalb dauert dieses Verfahren bei der höchsten Gerichtsinstanz Deutschlands so lange?

Diese Frage können wir nicht konkret beantworten, da die Entscheidungsfindung und Zeitplanung in einem Gericht nicht von außen beeinflussbar ist. Es ist klar, dass es sich beim Fremdrentenrecht um eine komplizierte Materie handelt, die in letzter Zeit mehrere Änderungen zuungunsten der Vertriebenen und Aussiedler erfahren hat. Das Bundesverfassungsgericht versucht sicher, den gesamten Komplex in einer großen Entscheidung einheitlich und umfassend für die Vergangenheit und die Zukunft zu behandeln, so dass keine Zweifelsfragen mehr auftauchen können.

Ist bekannt, wann eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergehen wird?

Wir haben schon öfter eine Mitteilung des Gerichts darüber erhalten, wann mit einer Entscheidung gerechnet werden kann. Die Letzte lautet, dass das Gericht anstrebt, die Verfahren im ersten Quartal 2006 zu entscheiden. Bis die Entscheidungen dann mit Begründung schriftlich vorliegen, können natürlich noch ein paar Monate verstreichen - ich hoffe aber, dass wir im ersten Halbjahr 2006 mit einer Entscheidung rechnen können.

Reinhard Müller hat in einem Artikel in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 2. Februar 2006 zur Kürzung der "Fremdrenten" geschrieben, dass mit einer baldigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu rechnen sei. Welches ist Ihre Meinung über diesen Artikel?

Der Artikel ist einer der wenigen, die sich in der Presse außerhalb der Vertriebenenzeitungen mit den Rentenkürzungen befasst hat. Der Autor weist sehr objektiv darauf hin, dass Rentenkürzungen in Deutschland normalerweise ein politisches Tabu sind - nicht aber, wenn sie gegen Vertriebene und Aussiedler gerichtet sind; hier gab es schon drei Kürzungswellen. Dem Verfasser ist zuzustimmen, dass diese drei Kürzungswellen insbesondere mit den knappen oder fehlenden Übergangsvorschriften am Gleichheitssatz und am Vertrauensschutz gemessen werden müssen.

Es ist klar, dass die vierzigprozentige Kürzung von 1996 natürlich nicht nur "alle, die nach 1996 nach Deutschland kamen", erfasste, wie Reinhard Müller schreibt, sondern alle Rentner betrifft, deren Rentenbeginn nach dem 1. Oktober 1996 liegt - also auch solche, die vielleicht schon viele Jahre in Deutschland lebten und kurz vor der Rente standen oder die Rente erst künftig erhalten werden; sie werden von dieser Kürzung am meisten überrascht, da sie bisher mit einer erheblich höheren Rentenbewertung rechnen konnten. Und dies ist ja gerade die Rentnergruppe, für die die größten Chancen beim Bundesverfassungsgericht bestehen! Hier handelt es sich im Artikel wohl um ein Übertragungs- oder Redaktionversehen.

Welche Erfolgsaussichten sehen Sie für diese Verfahren beim Bundesverfassungsgericht?

Es ist klar, je näher jemand im Jahr 1996 vor der Rente stand, desto größer ist die Chance, die Kürzung wegzubekommen. Ich gehe davon aus, dass das Gericht Fallgruppen bilden wird und dann je nach Rentennähe im Jahr 1996 differenziert entscheiden wird.

Besteht Handlungsbedarf auch für Siebenbürger Sachsen, die heute in Rente gehen?

Ja, jeder neue Rentner muss seinen Rentenbescheid innerhalb eines Monats mit dem Widerspruch anfechten, wenn er um 40 Prozent gekürzte Fremdrentenzeiten enthält - bis eine endgültige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangen ist. Beim Widerspruch kann auf das laufende Verfahren des Verfassungsgerichts Bezug genommen werden - in Zweifelsfällen berät die Landsmannschaft nach wie vor kostenlos, insbesondere durch die im sogenannten Anwaltspool zusammengeschlossenen Rechtsanwälte.

Wie bewerten Sie diese bald zehn Jahre Arbeit und den Einsatz für die "Interessengemeinschaft gegen Fremdrentenkürzungen"?

Es war eine harte Zeit mit vielen Höhen und Tiefen, verbunden mit sehr viel Arbeit. Bewundernswert war die Solidarität der Betroffenen und der Unterstützer, die jeweils rund 50 Euro zur Verfügung gestellt haben. Auch die Landsmannschaft der Russlanddeutschen hat sich an der Finanzierung der Gutachten beteiligt. Unsere Landsmannschaft ist mit den vorhandenen Mitteln äußerst sparsam verfahren.

Lassen Sie mich aber noch den anderen Mitarbeitern in der Interessengemeinschaft, insbesondere dem Bundesrechtsreferenten Dr. Johann Schmidt, herzlich für ihre Unterstützung danken, ferner den Gutachtern, insbesondere dem selbstlosen Prof. Dr. Axel Azzola, der ohne Honorar tätig war, und nicht zuletzt meiner langjährigen Mitarbeiterin, Rechtsanwältin Maria Sabine Augstein, die in diesen Jahren zu einer Spezialistin für Fremdrenten und Grundrechtsfragen geworden ist.

Herr Rechtsanwalt Bruckner, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Link: Interessengemeinschaft gegen Fremdrentenkürzungen

Schlagwörter: Interview, Rechtsfragen, Rente, Verbandsleben

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